Durchs Dröhnland
: Der Sänger und sein bißchen Seele

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Daß sich selbst Hardcore beständig weiterentwickelt und sich immer weiter von den Punkwurzeln entfernt, hat natürlich die üblichen Verräter-Vorwürfe zur Folge. „Verweichlicht“, meint das Info von Sick Of It All, sei die New Yorker Szene, und läßt das eigene Quartett weiter spröde gegenbolzen. Seit gut zehn Jahren gibt es die Band, seit gut zehn Jahren hat sie alle Hände voll damit zu tun, das Leben, das komplizierte, in möglichst einfache, plakative Sätze zu pressen. Dieses Unterfangen gestaltet sie sehr erfolgreich und geht gut ab dabei, hysterische Rhythmuswechsel inklusive.

Heute, 19 Uhr, mit Snapcase, Alte TU-Mensa, Hardenbergstraße 34, Charlottenburg.

Schnellen, überschnappenden Punkrock mit reichlich übertriebenen melodischen Sixties-Harmonien spielen Hitmen 3, die allerdings zu viert sind. Das ist wohl finnischer Humor, ebenso wie die Legende, man habe sich als „Karikatur einer Punkband gegründet“ und sei durch den überwältigenden Erfolg quasi dazu gezwungen worden, weiterzumachen.

Heute, 22 Uhr, K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg.

Wer die Young Gods schon für schwerverdaulich hielt, ist mit Nine Inch Nails erst richtig bedient. Da kopuliert übelstes Sampling mit gemeingefährlichen Schweinebratzgitarren, kotzt der Sänger sein bißchen Seele raus, und dann plötzlich passiert wieder überhaupt nichts. Über den Humor der vier Herren aus Los Angeles soll diese Anekdote Zeugnis ablegen: Ein Teil des aktuellen Albums „The Downward Spiral“ wurde im „Le Pig“ in Beverly Hills aufgenommen. Dasselbe Hotel, in dem Charles Manson und seine Kollegen Sharon Tate umbrachten.

Heute, 21 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln.

Ungleich gesündere Erholung trotz des Namens bieten dagegen Tequila PG aus Hamburg. Das Trio entstand aus den Resten der als Live-Band berüchtigten Hullabaloo und fügt deren Rock nichts Wesentliches hinzu.

Morgen, 22 Uhr, Schoko-Laden, Ackerstraße 169/170, Mitte.

Auch in dem schönen Städtchen Braunschweig ist man des Buchstabierens des Wörtchens Rock mächtig. Die Shifty Sheriffs bevorzugen allerdings eine etwas lahmarschigere Gangart, grooven dafür schön schwer, und der Sänger tut ganz böse. Das Gruseln mag sich zwar nicht recht einstellen, aber über solch satte Gitarren freut man sich immer wieder.

Am 5.6., 21 Uhr mit Young & What und Take That Cake, Huxley's Junior.

Daß hierzulande ein geradezu unstillbares Bedürfnis nach britischer Seele herrscht, beweisen nicht nur die allgegenwärtigen Irish Pubs, sondern auch der Erfolg der Pogues et al. Nachdem der Folkrock auf den Inseln in letzter Zeit aber ziemlich abkackte, konnten die Levellers in diese Lücke stoßen. Die waren auch noch so schlau, von ihren Singles Remixe für den Tanzboden fertigen zu lassen, und erreichten so ein zusätzliches Puzblikum. Für seligen Guinness- Hop sind sie allemal gut. Die Inspiral Carpets tun sich zuletzt schwer wie alles aus Manchester sonst auch. Die Rave-O-Lution zu überleben stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Also versucht man es mit Rückbesinnung auf rockige Wurzeln. Ebenso wie bei Primal Scream darf die Manchester-Legende Mark E. Smith auch bei den Inspirierenden Bodenbelägen mittun und die remixte Single knödeln.

Am 6.6., 19.30 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.

Bisher endete der Versuch, sogenannter World-Music einen modernen Anzug zu verpassen, wie bei Ofra Haza meist in übler Discomucke mit ein wenig orientalischem Zierat. Bei Aisha Kandisha's Jarring Effects dagegen wird dem marokkanischen Shabee souverän vor allem viel passender Dub und – dem Produzenten verpflichtet – Avantgardistisches zugefügt. Und der Produzent heißt Bill Laswell, was man glücklicherweise nur sehr selten hört, einem aber an dem miesen Ruf Laswells als wenig einfühlsamer Mixer doch mal zweifeln läßt.

Am 7.6., 21 Uhr, BKA-Zelt an der Philharmonie, Potsdamer Straße, Tiergarten.

Das Positivste, was man über Nina Hagen und ihre neue Platte sagen kann, ist: schön, daß es sie noch gibt. Leider hat sich die Hagen immer noch nicht von den Ausflügen auf den Dancefloor abgewandt, aber läßt auch ihren Schweinepunkrock aus der Frühzeit nicht sein. Beides befindet sich definitiv in den Niederungen der Zeit, da leg' ich mir schon lieber „Du hast den Farbfilm vergessen“ noch mal auf. Und immer noch dieses Kieksen.

Am 9.6., 20 Uhr, Tempodrom.

Nachdem Chumbawamba für „Shhh“ all die Samples, die sie gerne verwendet hätten, von den zuständigen Plattenfirmen verboten wurden, spielen sie auf „Anarchy“ den ganzen Kram einfach nach. Ansonsten alles beim alten, die Band aus dem Hausbesetzerumfeld in Leeds ist und bleibt die letzte ernstzunehmende Hoffnung, daß man mit Pop und den flotten Polit-Grooves (Wer, bitte schön, sind die Pet Shop Boys?) vielleicht doch noch die Welt wird verändern können. Mit auf Tour kommen Credit To The Nation, ein elegantes HipHop-Projekt, mit dem Chumbawamba schon seit längerem verbandelt sind. So einen Abend werdet Ihr den Rest des Jahres nicht mehr finden.

Am 8.6., 19 Uhr, Alte TU- Mensa.

Ich wußte, daß noch irgendwas fehlte in diesem monströsen Kosmos aus diversen Siebziger-Revivals. Selig haben die letzte Marktlücke gefunden: Paisleyhemden, Wurlitzer Piano, Extremschlaghosen, WahWah-Pedal und dazu deutsche Texte. Wundervollerweise funktioniert diese Absurdität der durchaus zeitgenössischen Musik, weil der Krautrock irgendwo links liegen bleibt. Statt dessen machen diese fünf Hamburger mit dem hübschen Namen, weil der sowohl tot wie besoffen bedeuten kann, einen Pop, der mit den besten Momenten offiziellen DDR-Staatsmusikantentums ebenso mithalten kann wie mit manchem, was an den frühen Siebzigern die Zeiten überdauert hat. Mehr als so ein Is-schon- okay-Gefühl bleibt zwar auch nicht übrig bei Selig, aber genau das ist eben auch okay.

Am 9.6., 21 Uhr, mit Anger 77 und Feierabend, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg. Thomas Winkler