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■ Der Richtungsstreit in der SPD spiegelt die Krise politischer Parteien wider, in denen keine Politik mehr stattfindetZwischen Machern und Miesmachern

Klare Signale kommen nicht aus der SPD. Das macht es nicht nur den Medien schwer zu verstehen, was dort vor sich geht. Bettina Gaus hat es „Wirrwarr“ genannt (taz, 4. 8.), Claus Koch schreibt unter der Überschrift „Parteiendämmerung“ den Parteien „Meutecharakter“ zu (taz, 5. 8.). Dabei geht es bei dem so genannten Richtungsstreit um viel mehr als um das Geplänkel von Politikern, das normalerweise das Sommerloch füllt. Hinter den Statements verbirgt sich ein Nachdenken darüber, wie das zukünftige politische System der Bundesrepublik aussehen soll. Und es ist ein Hoffnungsschimmer für die SPD, dass endlich einige wenige ihren Verfassungsauftrag wieder ernst nehmen.

Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, heißt es im Artikel 21 des Grundgesetzes. Dankbarkeit oder gar Beifall haben diejenigen, die sich äußern, nicht zu erwarten – aber Aufmerksamkeit sollten sie wenigstens finden. Auch wenn es Mühe macht, ausgetretene Pfade des Politik-Lifestyles zu verlassen, um zu verstehen, worum es bei dem – zugegebenermaßen nicht besonders deutlichen – Gemurmel in der SPD geht.

Der bisherige Konsens über Aufgaben und Funktionen von Parteien in der Bundesrepublik hat – bei aller Kritik – nie infrage gestanden. Erst der Politikstil Schröders und seiner Generation kündigt ihn auf. In atemberaubendem Tempo durchläuft das politische System einen tiefgreifenden Wandlungsprozess, und nur wenige nehmen das zur Kenntnis – was angesichts des Politikstils, den Schröder erfolgreich kreiert und an den sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit gewöhnt hat, auch nicht allzu verwunderlich ist.

Der Kandidat Schröder hat sich gegen seine Partei profiliert. Angesichts weit verbreiteter Parteienverdrossenheit in den 80er- und 90er-Jahren gehörte dazu nicht viel Mut. Durch personelle, teils persönliche Polarisierungen hat Schröder die Medien auf sich aufmerksam gemacht. Politische Inhalte hat er nie bedient, durch innovative oder herausragende Leistungen ist er nicht aufgefallen.

Der Bundestagswahlkampf spiegelte diese Leere wider. Aber an dieses Wahlkampfmerkmal war das Publikum gewöhnt. Einen Unterschied gab es, denn es trat erstmals jemand an, der sich um das Programm seiner Partei nicht scherte. Und nicht nur das, die SPD ließ ihn gewähren ohne zu fragen. Noch war Lafontaine der Garant für eine Verbindung zwischen Schröder und seiner Partei. Wer Schröder kennt, weiß, dass er an diesen Kompromiss von Anfang an nicht glaubte. Die mangelnde Substanz seiner Politik verdeckt er mit einem Politikstil, der politische Inhalte ideologisiert und vor allem polarisiert und personalisiert. Das Begriffspaar „Traditionalisten und Modernisierer“ nährt das Bedürfnis der Öffentlichkeit, Politik als eine Art Boxkampf zu begreifen, in dem sich Personen gegenüberstehen, die nur sich selbst verpflichtet sind. Die SPD hat zu diesem Vorgang lange geschwiegen und gelähmt dem Spiel zugeschaut. Betört und beduselt vom langersehnten Wahlsieg überließ die Partei das Diskussionsfeld dem Wahlsieger.

Das Schröder/Blair-Papier sollte die inhaltliche Leere der selbst ernannten „Modernisierer“ füllen. Unter dem Deckmantel des positiven Begriffes „modern“ wurden angestaubte liberale Ideen ideologisch aufgewärmt. Die FDP freut sich zu Recht darüber, denn ihr wird eine Vorlage geliefert, sich aus der Talsohle zurückzumelden. Schröder dagegen schreibt den SPD-Mitgliedern einen Brief, der ohne Wenn und Aber das Abnicken des verkündeten Sparprogramms einfordert. Eine Diskussion findet nicht statt, lautet die Botschaft. Ein neues Begriffspaar wird geprägt: Das von den „Machern und den Miesmachern“.

In den Aktivitäten des Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden ist bisher eines deutlich geworden: Politik findet nicht mehr in den Parteien statt. Politik ist ein Spiel in den Medien geworden, das mit festem Blick auf die Umfrageergebnisse des Politikbarometers über die Bande aller Parteien geführt wird. Von den eigenen Mitgliedern werden Gefolgschaft, Disziplin und Gehorsam gefordert. Das heißt, dass Parteien nur noch für Wahlkämpfe benutzt werden. Das genau meint der Artikel 21 nicht. In den Parteien soll über Alternativen geredet werden, sie sind Diskussionsforen, in denen sich Meinungspotential ausbreiten kann. Wo die Verfassung Vielfalt vorschreibt, macht sich durch den Politikstil von Schröder und Co. allmählich Eintönigkeit breit.

Daran ist nichts, aber auch gar nichts „modern“. Auch der Blick in die USA und eine Art Amerikanisierung der deutschen Politik, die Schröder vorschweben mag, spiegeln sich in diesem Politikstil nicht wider. Eine Infrastruktur an Demokratie, die resistent gegen die Allmachtsfantasien einzelner macht, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Die deutsche Geschichte verfügt über Traditionen, die es schon häufiger Einzelnen leicht gemacht hat, sich über Parteien hinweg in das Licht der Aufmerksamkeit einer Öffentlichkeit zu heben, die den Aufgaben von Parteien mit Unverständnis und Unwissenheit begegnet.

Parteien sind nicht per se Garanten der Demokratie, sie sind auch nicht unantastbar. Kritik an ihnen ist notwendig und wünschenswert. Wer sie allerdings überflüssig machen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich in den Parteien nicht nur Karriereplaner befinden. Die so genannten 68er und die jungen Aufsteiger sollten nicht vorschnell von sich auf andere schließen.

Die Mehrheit der Mitglieder und Sympathisanten sind Menschen, die für die Demokratie eintreten möchten und die sich einer Verantwortung bewusst sind. Zum Erhalt der Demokratie ist diese – wenn auch kleine – Gruppe von einigen Millionen Menschen notwendig. Wer ihnen bedingungslose Gefolgschaft verordnet, zerstört die demokratische Kraft der Mitglieder, die in Wahlkämpfen von denjenigen bemüht wird, die ihr Bild gerne auf Plakaten an jeder Litfaßsäule sehen möchten.

Die vorsichtige SPD-Kritik am Politikstil Schröders und seiner Generation ist der Versuch, aus der Sackgasse der Polarisierungen herauszukommen. Bleibt zu wünschen, dass auch die Medien begreifen, dass es um mehr geht als um den üblichen Streit von Personen. In der Bundesrepublik hat ein politischer Wandlungsprozess begonnen, der die Grundlagen unserer Demokratie berührt. Parteien, die allein dazu benutzt werden, individuelle Karriereplanungen zu realisieren, sind überflüssig.

Wenn aber Parteien nicht mehr gebraucht werden, wenn tatsächlich einzelne wenige einen Politikzirkus veranstalten, um ihren Karrierewunsch zu befriedigen, was bleibt dann noch demokratisch am politischen Prozess? Das ist eine Frage, die wir nicht nur diskutieren, sondern auch beantworten müssen. Beate Kasper

Schröder ist nie durch innovative oder herausragende Leistungen aufgefallenParteien, die nur individuelle Karriereplanungen realisieren, sind überflüssig

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