Der Retter der wilden Äpfel: Verliebt in den knubbeligen Schwarzen

Die Äpfel im Supermarkt gehen auf eine, maximal zwei Sorten zurück. Dabei gibt es über 500. Frank Schelhorn verteidigt sie - auf regionaler Ebene.

Bild: svenja bergt

Alles begann mit einem Apfel. Keinem großen, rot-gelb leuchtenden mit perfekter Rundung. Sondern einem kleinen, knubbligen, mit dickem Stielansatz. Seine Schale glänzte in so dunklen Rot- und Grüntönen, dass er von weitem fast schwarz aussah. Wer in ihn heineinbeißen will, braucht richtig gute Zähne.

Keine zehn Jahre war Frank Schelhorn alt, als er sich im tiefsten Winter in diesen Apfel verliebte. "Der Apfel war wie Sommer, wenn man da hinein gebissen hat, hat man auch an was anderes gedacht."

Doch der Apfel war unerreichbar: Die Bäume wuchsen im südlichen Thüringen, direkt an der Grenze zu Bayern. In den 60er Jahren war das ein streng bewachtes Gebiet. Einzig einige Väter seiner Mitschüler, die in der Gegend Landwirtschaft betrieben, hatten Zugang zu den Bäumen. Und so entwickelte sich der seltene Apfel in der Schule als Zahlungsmittel: Ein Pausenbrot gegen einen Apfel, ein halbes, wenn der Apfel klein oder wurmstichig war.

40 Jahre ist das jetzt her. Wenn Schelhorn die Anekdote erzählt, ist er seinem Erweckungs-Apfel, den er liebevoll "den Schwarzen" nennt, ein ganzes Stück näher gekommen. Schelhorn steht auf einem Grundstück im süd-thüringischen Landkreis Hildburghausen. Der Platz ist ungeeignet für den Apfelanbau: eine extreme Hanglage und das auch noch in fast 600 Meter Höhe. Wein sollte man hier anbauen, keine Äpfel. Schelhorn macht es trotzdem. Schuld daran ist auf der einen Seite "der Schwarze". Und auf der anderen Seite sein Wissen über die ungewisse Zukunft der Äpfel.

500 bekannte Apfelsorten gibt es in Deutschland. Dazu kommen etliche Sorten, die unbestimmt sind, also zu keiner bekannten Sorte gehören. Ihre Bäume wachsen wild. Keiner kümmert sich um sie und auch nicht um die Apfelsorten, die sie tragen. Währenddessen gehen die Äpfel, die im Supermarkt liegen, alle auf eine, maximal zwei Sorten zurück. Und richten sich auch noch nach der Mode: War in den neunziger Jahren das Knallgrün und der etwas saure Geschmack des Granny Smith gefragt, geht derzeit der Trend zu den rot-goldenen, milderen Sorten. Was sie alle gemeinsam haben: Sie sind groß, glänzend und perfekt.

Die wilden und unbestimmten Sorten, die auf Wiesen und Gärten in Deutschland stehen, geraten derweil in Vergessenheit. Dabei können sie tolle Sachen: Manchen Sorten fehlt zum Beispiel ein Allergen, das bei Allergikern dazu führt, dass sie Äpfel nicht vertragen. Es gibt Sorten, die kommen mit weniger Wasser zurecht oder vertragen Frost. Andere halten sich als Lageräpfel über Jahre hinweg. Wieder andere schmecken überhaupt nicht, wenn man sie pflückt, eignen sich aber perfekt als Saft oder Wein. Und einige kann man in den Ofen schieben und als Bratapfel essen. Doch langsam sterben die Sorten aus.

Und deshalb kümmert sich Frank Schelhorn um sie. Mehr als 30 Sorten aus der Gegend um den Thüringer Wald hat er bis jetzt, auch solche, die niemand kennt. Als den großen Sortenretter sieht er sich nicht. Im Vergleich liegt er mit 30 Sorten tatsächlich nicht an der Spitze. Das Institut für Obstzüchtung bringt es auf einige hundert Apfelsorten - auch aus anderen Ländern Europas. Ein Tomaten-Züchter pflanzt 2.000 Tomatensorten aus aller Welt an. Und nimmt mittlerweile Eintritt, weil die Verbraucher nur noch die Supermarkt-Tomate kennen. Doch das will Schelhorn gar nicht. Er ist der Retter der regionalen Sorten.

Es ist August. Die Äpfel hängen schon an den Bäumen. Zu früh für die Ernte, aber früh genug, um die Sorten zu bestimmen. Frank Schelhorn läuft über eine wilde Obstwiese im Thüringer Wald "Interessant, ein Glockenapfel", murmelt er an einer Stelle, an einer anderen pflückt er ein paar Früchte. Zu einigen Bäumen wird er im nächsten Jahr wiederkommen, um ein paar Zweige mitzunehmen und zu "sichern". Sichern heißt, dass er den Zweig auf einen anderen Stamm auf einer seiner Wiesen aufsetzt - veredelt. "Sichern" sagt Schelhorn oft und meist klopft er dabei auf einen Baumstamm: "Die Sorte ist erstmal gesichert."

Dass Schelhorn Sorten sichert, hat sich herumgesprochen. Mittlerweile muss er nicht mehr auf gut Glück Wiesen besuchen. Menschen, die einen sterbenden Apfelbaum im Garten haben, melden sich bei ihm. Wie im Fall des Oettingshausener Apfels. Auf einer Veranstaltung, auf der Schelhorn Apfelsorten bestimmte, kam eine Frau auf ihn zu. Sie erzählte, dass es bei ihr im Ort eine sonst unbekannte Apfelsorte gebe. Schelhorn glaubte ihr nicht - schließlich kennt er sich in der Gegend gut aus - fuhr aber trotzdem hin. "Apfeldorf Oettingshausen" stand am Ortseingang und Schelhorn fühlte sich auf den Arm genommen. "Doch dann habe ich gesehen, dass die Äpfel im Ort alle alt oder schon am Sterben waren. Jahrzehntelang hat sich keiner darum gekümmert." Wie in so vielen Dörfern, Gärten und Wiesen. Schelhorn nahm zwei Zweige mit - die Sorte ist gesichert.

"Was ich mache, ist etwas für die Nachwelt", sagt Schelhorn deshalb. Für den Tag, an dem die Menschen die immer gleichen Äpfel im Supermarkt zu teuer oder leid sind. Ein bisschen hofft Schelhorn darauf. Auch wenn es ihm lieber wäre, dass die Menschen nicht so lange warten, bis ein Kilo Äpfel im Supermarkt unerschwinglich wird. Eine Chance, dass seine Hoffnung sich erfüllt, die gibt es. Denn bei ein paar Produkten setzt bereits ein Umdenken ein: Zum Beispiel bei Milch und Käse setzten einige Supermarktketten zunehmend auf regionale Produkte. Bei Äpfeln ist es aber noch nicht so weit. Sie werden aber weiterhin aus Chile und Neuseeland importiert. Dabei hat Schelhorn zahlreiche Ideen, wie sich ein regionales Vertriebsnetz aufbauen ließe, damit die Menschen auch an die Äpfel kommen, die nicht um Supermarkt liegen. Wenn er über Straßen- und Marktverkauf, über Entfernungen und Einkaufsgemeinschaften nachdenkt, kommt zum ersten Mal der Träumer unter dem sonst so bodenständigen Landbewohner durch.

Ein Vertriebsnetz wäre das mindeste, das Schelhorn bräuchte, um seine Arbeit rentabel zu machen. Denn momentan steckt er deutlich mehr Zeit und Geld in seine Apfelbäume, als er heraus bekommt. Die Bäume müssen bewässert werden und beschnitten, die Äpfel gepflückt oder zumindest vom Baum geschüttelt. Das Ganze muss zu Saft, Wein oder Marmelade verarbeitet werden und wird derzeit noch verschenkt.

Zukunftsmusik findet Schelhorn alles was darauf hindeuten könnte, dass er eines Tage mit seinen Äpfeln seinen Lebensunterhalt verdient - und den seiner Familie. Er freut sich, einmal etwas nicht deshalb machen zu müssen, weil es Geld bringt. Und dann zeigt Schelhorn seinen Schatz: Den Standort der fünf Bäume, die die schwarzen Äpfel seiner Kindheit tragen. Sobald die Grenze gefallen war, ist er so lange über die Wiesen gestreift, bis er die Bäume gefunden hatte. Auch von ihnen hat er natürlich ein paar Äste gesichert. Zwar gilt die Sorte immer noch als unbestimmt. Doch vielleicht gibt es ja eines Tages den Schelhorn-Apfel zu kaufen - natürlich nur in der Region.

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