: Der Regenschirm ...
■ Wilde Iren und Afrobeat auf der Weltbühne der Breminale
Auch in Seattle/Washington regnet es viel, und auch dort gibt es im Sommer ein Open-Air-Festival, das regelmäßig ins Wasser fällt. Dort war man aber so pfiffig, einen aufgespannten Regenschirm als Logo der Festivitäten zu wählen, und vielleicht wären auch die Organisatoren der Breminale gut beraten, sich solch ein Schutzsymbol zu suchen.
Gewinnen können sie gegen das Wetter nicht, aber sie können mit der Solidarität der Viertelbewohner rechnen. So wirkte es zumindest am Samstag abend im Zelt der Weltbühne. Kaum hatte der Regen aufgehört, schon kamen viele über den Osterdeich und sich dann ausgerechnet von einem Iren auf der Bühne sagen lassen, wie schlecht denn hier das Wetter wäre. Sein Dudelsack leide unter der Feuchtigkeit, beklagte sich dieser junge Wilde aus Dublin. Ich möchte nicht wissen, wieviel Guinness schon darüber vergossen worden ist, aber egal!
Das Ostertorviertel traf sich also wieder vor der Weltbühne, die Alt-Alternativen, Zotteligen, Schicken und am Bierstand auch ein paar ortsbekannte Zecher, und für dieses allgemeine Hallo spielte „Kla“ genau die richtige Begleitmusik. Irische Tanzmusik, immer mit vollem Tempo und laut, ein bisschen rockiger vielleicht als gewohnt, aber keinesfalls so anspruchsvoll oder gar avantgardistisch, dass man genau hätte zuhören müssen. Als „die jungen Wilden der irischen Folk/Crossover-Szene“ wurden die sieben Musiker angekündigt. Von der sympathisch, rebellischen Attitüde her mag das stimmen, aber musikalisch war da nicht viel Junges, Wildes zu hören. Fast jedes Stück hatte den gleichen drive, eine ähnliche Basslinie, den gleichen Sound (Flöte, Dudelsack, Gitarre, Bass, Bodhran und Schlagzeug), aber das störte überhaupt nicht. Man sah einander und wurde gesehen, wippte auch ein wenig mit den Gliedern, und unterhielt sich in erster Linie (na worüber schon), über das Wetter und die arme Breminale.
Zum nächsten Konzert hatte sich das Publikum merklich geändert. Viele Afrikaner waren zu sehen, auch offensichtlich mehr ZuhörerInnen, die gezielt zu diesem einen Auftritt auf die Breminale gekommen waren. Und mit der nigerianischen Band „Lagbaja“ gab es hier auch einen, wenn nicht den Höhepunkt der diesjährigen Breminale zu erleben. Die 13-köpfige Band hat alleine sechs Perkussionisten, davon vier an der traditionellen Talking-drum, und diese spielten durchgängig solch einen mitreissenden, heissen und komplexen Rhythmus, dass kaum eine Hüfte im Zelt nicht zucken mußte. Der namenlos bleibende Leader und Saxohonist der Band trug den ganzen Auftritt lang ein Maskenkostüm, das die Gesichtslosigkeit des „einfachen Menschen“ (“common man“) in Afrika symbolisieren sollte. Doch von dieser ständig ins Auge springenden Geste abgesehen war das Konzert alles andere als eine politische Demonstration (über die in nigerianisch gesungenen Texte läßt sich natürlich nichts sagen).
In welch un-norddeutsche Zustände sich die Breminale-Besucher versetzten ließen, machte am besten ein technischer Fehler deutlich: Die ZuhörerInnen waren gerade zum Mitsingen animiert worden (nicht zufällig mit einem an Harry Belafontes „Deo/De-e-e-o“ erinnernden Chorus), da blieb der Soundanlage für etwa eine Minute der Ton weg. Aber das Publikum sang inzwischen so laut und rhythmisch, dass das Stück genau im Takt blieb und nahtlos weitergespielt werden konnte. Genauso reibungslos wurde afrikanische mit afro-amerkanischer Musik vermischt: Ein Stück wechselte von einem Beat auf den anderen von traditionellen Yoruba-Rhythmen in eine Funk-Sequenz und wieder zurück. Zu alldem sang der Bandleader und spielte ein sehr eruptives Jazzsaxophon, das noch am ehsten an den argentinischen Bläser Gato Barbieri erinnert, der ähnlich Jazz mit der Musik seiner Heimat verband. Die Sängerin steigerte sich so in einen ihrer Tänze, dass sie in Trance und dann in Ohnmacht fiel. Es war ein wilder, ekstatischer, wunderschöner Auftritt: auf der Bühne herrschten afrikanische Zustände – bis die Bestimmungen des Ordnungsamtes berührt wurden und die Band pünktlich um Mitternacht ohne Zugabe die Bühne verlassen mußte. Da wurde man dann abrupt in die Bremer Nacht gestossen, aber die war nun zumindest trocken.
Wilfried Hippen
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