■ Der Publizist und Autor Allister Sparks im Gespräch: Südafrika, Labor der Welt
Der 60jährige Allister Sparks zählt seit Jahrzehnten zu den exponiertesten publizistischen Kritikern des Apartheidsystems. In den 60er Jahren arbeitete er u.a. für die legendäre Tageszeitung „Rand Daily Mail“. Sparks ist als liberale weiße Stimme auch für die Außensicht auf Südafrika wichtig gewesen, da er häufig für amerikanische und auch deutsche Medien arbeitete. Sein jüngstes Buch „The Mind of South Africa“ (1990) hat noch keinen deutschen Verlag gefunden. Das Gespräch wurde in Berlin geführt.
taz: Es gibt Stimmen, die für einen Rückzug Europas aus den Krisenherden der Welt sind. Was hängt „für uns“ vom Ausgang des Friedensprozesses in Südafrika ab?
Allister Sparks: Das südafrikanische Experiment ist die Welt im kleinen. Hier stehen sich 1. und 3. Welt in den nahezu gleichen Proportionen wie global gegenüber: drei Viertel der Weltbevölkerung sind dunkelhäutig und arm, das andere Viertel ist weiß, entwickelt und im Wohlstand lebend. Den wollen sie beihalten, die Armen sollen draußenbleiben. Man will deren Misere nicht sehen. Hier und da im Fernsehen, ja, willkürlich, und dann schickt man Hungerhilfe nach Äthiopien oder Somalia. Man kann das für eine bestimmte Zeitspanne tun, und Südafrika hat dies ein halbes Jahrhundert getan. Aber jetzt können wir unserer Dritten Welt nicht mehr entrinnen, sie ist da, sie hat uns eingeholt, sie läßt sich nicht länger aussperren.
Wie kann man eine solch hermetische Einstellung der Weißen, diese globale Wagenburg, ändern?
Letztlich entscheidend ist der Imperativ des Überlebens. Wenn man die, wie ich sie nenne, „Verzweifelten der Erde“ ignoriert, wird uns dies irgendwann destabilisieren, das nenne ich „Chaos- Macht“. Immer wieder verwundert sich die Welt, daß es Figuren wie Saddam Hussein oder Gaddafi oder ethnischen Nationalismus und religiösen Fundamentalismus gibt. Meteoren gleich schießen diese Phänomene über den Radarschirm, und man sagt: „Großer Gott, was ist das denn!“ Bald wird die Nuklearkontrolle zusammenbrechen, und dann geschieht vielleicht noch Schrecklicheres.
Vollzieht de Klerk also etwas, was uns noch bevorsteht, ist er, verkehrte Welt, gar der Progressive?
Er hat nichts getan, was diese Bezeichnung verdiente. Alles, was ich sage, ist: Paßt auf! Südafrika, das man als so etwas wie einen internationalen „Jurassic Park“ betrachtet, als eigentümliches Relikt der Kolonialära, liegt nicht 30 Jahre im Hintertreffen, sondern ist euch 20 Jahre voraus! Es kämpft mit den Problemen, die die euren des 21. Jahrhunderts werden. Und dennoch schaut man auf uns wie auf ein Museumsstück herunter. Doch ohne große Gabe oder moralischen Impetus könnte dieses so zurückgebliebene System durch den Druck des Überlebensimperativs zu einem Modell, zu einem Labor ethnischer und ökonomischer Koexistenz werden.
Wie schätzen Sie auf dieser Basis die Beziehung zwischen de Klerk und Mandela ein?
Es ist der Druck im Angesicht des Abyss, der beide zusammenbrachte. Gleichzeitig zu verhandeln und Wahlkampf zu führen, zu kämpfen und Konzessionen zu machen — das ist wahrlich keine angenehme Beziehung! Es ist wohl klar, daß die beiden keine Liebe füreinander hegen. Aber sie haben keine Wahl. Die Alternative wäre der Tod.
Gegenwärtig sind weder rechte Weiße noch separatistische Schwarze in den Verhandlungsprozeß einbezogen. Ist deren destruktive Kraft nicht enorm?
Diese Leute sind sehr gefährlich. Aber noch gefährlicher ist der Unwille der Sicherheitskräfte, mit ihnen ins Gericht zu gehen. Wenn der Sicherheitsapparat dies täte, könnte man diese Gefahr schnell eindämmen. Hier fehlt de Klerk der Wille, des Ganzen Herr zu werden. Eines ist klar: Wir können nicht zur Apartheid zurück, auch die Rechten können das nicht. Denn wir sind nicht nur ökonomisch voneinander abhängig, sondern auch ethnisch miteinander verwachsen. Man kann keinen „reinrassigen“ Burenstaat errichten. Es gibt keinen einzigen Quadratkilometer in Südafrika, der eine weiße Mehrheit hätte.
Kann angesichts der Polarisierung in Südafrika überhaupt so etwas wie eine „mentale Détente“ erreicht werden?
Südafrika hat einige Vorteile im Konzert all der vielen Nachteile. Einer ist, daß seine Institutionen stark sind, daß sie die Apartheid überlebten. Etwa die Kirchen, die Gewerkschaften, die Studentenorganisationen, Teile der Medien. Im kolonialen Afrika war die einzige institutionell mächtige Einrichtung die Befreiungspartei. Einmal an der Macht, beherrschte sie die Gewerkschaften, die Presse, das Fernsehen. In Südafrika gibt es all diese starken zivilen Institutionen, und sie werden sich nie von einer einzigen Partei vereinnahmen lassen.
Drei lange Jahre wurde in Südafrika verhandelt. Wie würden Sie die Ergebnisse einschätzen?
Drei Jahre Verhandlungen ließen eine regelrechte Verhandlungs-Kultur und -Expertise entstehen. Südafrikaner sind Meister dieses Geschäfts geworden! Man einigte sich eben nicht nur auf allgemeine Prinzipien, sondern bis hin zu juristischen Detailfragen bei fünf großen Gesetzesvorhaben, darunter die Verfassung und eine bill of rights. Wir hatten keine UNO hier oder schüttelten Hände auf dem Rasen vor dem Weißen Haus!
Was aber nutzt die beste Verfassung, wenn Teile der Gesellschaft nicht mitmachen?
Das stimmt nicht. Buthelezi und die rechten Weißen machen gerade einmal 15 Prozent aus. Bei den Gesprächen sind also immer noch fast alle existierenden politischen Organisationen beteiligt. War das Resultat des ausländischen Drucks?
Alles zusammen. Man kann nicht solche simplen Ableitungen machen. Es geschah auch nicht, weil de Klerk Gorbatschow sein wollte. Was brachte Gorbatschow dazu, die Veränderungen zu unternehmen? Man beginnt etwas, ohne dessen Ende abzusehen. Als Gorbatschow die Perestroika einführte, wollte er doch nicht das Ende der UdSSR. Als de Klerk begann, dachte er auch nicht im Traum daran, daß in vier Jahren ein Schwarzer Präsident sein würde! Er wollte die Sache bestimmen, schließlich ist er ein cleverer Politiker. Aber man weckt Kräfte, die man nicht mehr kontrollieren kann.
Die Deutschen gönnen sich, verglichen mit Osteuropa, den Luxus der Vergangenheitsaufarbeitung. Wird in Südafrika über die Staatsverbrechen geredet werden, die Morde des Sicherheitsapparates, aber auch die Verbrechen des ANC? Oder wird alles vergeben und vergessen werden?
Wenn man vergeben will, kann man gerade nicht vergessen. Sie haben in Ihrer jüngeren Geschichte zweimal versucht, die Vergangenheit zu thematisieren, aufzuarbeiten. Vielleicht sind Sie darin so etwas wie Experten, und wir sitzen hier zusammen mit unserer jeweils furchtbaren Geschichte! Sie hatten einen rapiden Wandel, Ihre Bürger konnten Stasi-Zentralen besetzen und die Zerstörung von Dokumenten verhindern. Unsere Unterdrücker arbeiteten sicherlich mit einer vergleichbar teutonischen Akribie, ich befürchte aber, es wurden schon viele Dokumente in Reißwölfen vernichtet. Doch in Südafrika wurde niemand besiegt. Am Ende eines Verhandlungsprozesses kann man keine Nürnberger Prozesse veranstalten. Was geschieht nun mit den Leuten, deren Hände blutig sind? Soll die Gesellschaft Rache nehmen? Ich bin vom chilenischen Weg sehr fasziniert. Die dortige „Wahrheits- und Gerechtigkeits-Kommission“ will die Tatsachen an den Tag bringen, doch ohne Bestrafung. Sie urteilt, aber sie verurteilt nicht. Was mich immer wieder überrascht, ist diese große afrikanische Kraft der Vergebung.
Gesellschaften, die neue Wege und Identitäten suchen, bewegen sich auch im Feld symbolischer Politik. In Deutschland erlebten wir gerade heftige Auseinandersetzungen um eine zentrale Toten- Gedenkstätte in Berlin.
Das mindeste, was wir Südafrikaner tun müssen, ist, Mahnmale, Monumente und Museen zu errichten, die glaubwürdig machen, wie unsere Geschichte wirklich verlaufen ist. Wir brauchen Orte wie etwa in Leipzig das Stasi- Denkmal: faszinierend, wie alles dokumentiert wird, was überlebte. Denkmäler an Orten wie jenem, wo Steve Biko, der berühmte schwarze Oppositionelle, ermordet wurde: Seine Zelle muß Gedenkstätte werden, ein Platz, wo all die Akten und Materialien über Mord und Folter des Sicherheitsapparates ausgestellt werden. Auch das Gefängnis von Robben Island, die Insel vor Kapstadt, wo die prominentesten politischen Gefangenen um Mandela über zwanzig Jahre gefangengehalten wurden, ist solch ein Ort.
Wir müssen symbolische Orte suchen und finden. Ich wollte immer unsere Lubjanka, den John Vorster Square in Johannesburg, gesprengt wissen. Aber wir sollten vielleicht besser ein Museum daraus machen. Und den Namen behalten. Man muß die Namen behalten, dies soll die Erinnerungsstätte an John Vorster (Apartheidpolitiker der späten 60er und 70er Jahre, d. Red.) sein, für all das, was in diesem schrecklichen Haus geschah ... Interview: Andrea Seibel
und Michael Sontheimer
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