: Der Popper und die Pionierin
DDR/BRD In „Westwind“ erzählt Robert Thalheim von der Sommerliebe zwischen einer ostdeutschen Ruderin und einem westdeutschen Abiturienten
VON WILFRIED HIPPEN
1988 ahnte ja noch keiner, dass ein Jahr später die Mauer fallen würde. Dadurch erhält jede Ost/West-Geschichte, die in diesem, eine Epoche abschließenden Jahr angesiedelt wird, einen ironischen Dreh. Für die 17jährige Isabel ist es ein heroischer Akt, ihr Land, ihre Zwillingsschwester und ihre Karriere als Ruderin hinter sich zu lassen, um mit dem angehenden BWL-Studenten Arne aus dem Trainingslager in Ungarn heraus Republikflucht zu begehen. Was im November des nächsten Jahres passieren wird, macht ihr Tun nicht kleiner oder gar vergeblich, doch es wird dadurch in eine andere Perspektive gerückt. Wir als Zuschauer denken dies immer mit, ohne dass es (abgesehen von einem kurzen Schriftzug am Ende) je direkt im Film thematisiert würde. Robert Thalheim hat offensichtlich ein gutes Gespür für solche „schwangeren“ gesellschaftlichen Situationen. Seinen Film „Am Ende kommen die Touristen“ inszenierte er in der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz. Auch hier schwang zwangsläufig bei jeder Szene viel Ungesagtes (und Unsagbares) mit.
Zudem scheint Thalheim eine Affinität zu Feriencamps zu haben. „Westwind“ spielt fast ausschließlich in einem Pionierlager am „Balaton“ in Ungarn. Für Westdeutsche war und ist dies immer noch der „Plattensee“ und mit dieser unterschiedlichen Benennung sind wir schon bei einem der Grundthemen des Films. Ja, es geht wieder um die Unterschiede zwischen den Ost- und den Westdeutschen. Man sollte meinen, darüber wären schon genug Witze gerissen, Romane geschrieben und Filme gedreht worden. Aber Thalheim, der 1974 in Berlin geboren ist, hat ein gutes Ohr für Zwischentöne, und so ist bei ihm der Zusammenstoß der Kulturen nicht plakativ sondern zum Teil erstaunlich subtil. Dass die einen „Strohhalm“ und die anderen „Trinkröhre“ sagen, ist dabei eher eine Kuriosität, aber Thalheim trifft auch atmosphärisch ziemlich genau (und manchmal dann auch komisch) die unterschiedlichen Mentalitäten. Während bei den einen Depeche Mode aus dem Walkman tönt, spielen sich die anderen selbst komponierte Lieder am Lagerfeuer vor. Sehr schön, weil rein filmisch erzählt, ist auch der Moment, in dem man an den Blicken der beiden Mädchen erkennt, dass sie gerade ihre erste Coca Cola trinken. Verhauen hat Thalheim sich (soweit der westdeutsche Kritiker dies beurteilen kann) nur einmal: Selbst ein Mitglied der Jungen Union hätte 1988 nie eine Disco anerkennend mit dem „Hobbykeller von Ronald Reagan“ verglichen.
Mit solchen eben nicht coolen Sprüchen wollen Arne und Nico aus Hamburg die beiden Rucksackträgerinnen beeindrucken, die sie mit ihrem VW-Käfer auf der Straße aufgabeln. Schnell wird klar, dass die beiden Zwillingsschwestern Isabel und Doreen aus der DDR kommen und ihr Zusammentreffen später von dem Trainer der jungen Frauen als verdächtiger „Westkontakt“ angesehen wird. Dabei ahnt er gar nicht,wie recht er damit hat, denn während Isabel sich auf ihr Training als zukünftige Ruder-Olympionikin konzentriert, verliebt sich Doreen in den Jungen mit dem netten Lächeln.
Und dadurch, wie präzise und komplex Thalheim dieses Lebensgefühl der ersten großen Liebe einfängt, wird sein Film erst wirklich sehenswert. Statt zu romantisieren zeigt er, wie intensiv das junge Paar diese Zeit durchlebt und wie ihre Sehnsucht nacheinander sie über sich selber hinauswachsen lässt. Da die Geschichte fast gänzlich aus der Perspektive der Mädchen erzählt wird, hat Friedericke Becht dabei das Hauptgewicht zu tragen (Franz Dinda hat dann doch ein wenig etwas vom schönen Prinzen). Sie ist mit ihrer intensiven, immer absolut natürlich wirkenden Verkörperung von Doren die Entdeckung des Films. Aber auch sonst erwischt man kaum einen Darsteller in diesem Film bei Schauspielern. Und das ist nicht nur im deutschen Film eher die Ausnahme als die Regel.