piwik no script img

Der Norddeutsche kennt nur zwei Jahreszeiten, den Sommer und eine art warmen Winter. Ist der Sommer kühl, verliert der norddeutsche den MutSo ein Druck an den Schläfen

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Das Wetter ist eines der beliebtesten Themen. Man kann es gut beschimpfen, es wehrt sich nicht, es ist nicht beleidigt. Man kann sehr viel dem Wetter in die Schuhe schieben, was das eigene Leben beschwert. Wie man sich fühlt, zum Beispiel. Dieses Wetter macht mich ganz fertig. Ich bin nur noch müde. Ich schaffe überhaupt nichts. Kopfschmerzen, sexuelle Unlust, Heißhunger, liegt alles am Wetter.

Ich wünschte, es gäbe kein Wetter. Dann ginge alles viel besser. Aber worüber spräche ich dann mit der Frau, die ich unten manchmal mit ihrem gelben Hund treffe? Über Hunde? Über Hunde kann man auch gut reden. Aber manchmal hat sie den Hund nicht dabei, und dann?

„Wie ist denn das Wetter bei euch?“, fragt mich meine Mutter immer ganz am Anfang jedes Telefonates, um mir dann gleich über ihr Wetter zu berichten, denn ihr Wetter ist ihr sehr wichtig. Meines eigentlich nicht so. Mein Wetter interessiert sie nur, um sich mit ihrem Wetter von meinem Wetter abzugrenzen, die Unterschiede herausarbeiten zu können. Windig ist es auch, ja, aber nicht so besonders. Es geht nur ein kleiner Fön, deshalb Kopfschmerzen, so ein Druck an den Schläfen.

Besonders wichtig ist das Wetter aber im Sommer. Der Norddeutsche ist Kummer gewohnt, er erträgt einen verregneten Herbst, Winter, Frühling, der Norddeutsche kennt ja überhaupt nur zwei Jahreszeiten, den Sommer und eine Art warmen Winter. Aber wenn auch der Sommer kühl ist, dann verliert der Norddeutsche vereinzelt den Mut.

Besonders trifft es den Freibadbetreiber, der schon im Mai auf den ersten heißen Tag hinfiebert, dann auf den Juni hofft, den Juli, im August denkt: „Das kann es doch noch nicht gewesen sein“, und sich dann entschließt, später als sonst zu schließen, nicht wegen des guten Wetters, sondern weil er nicht aufgeben will.

Der norddeutsche Freibadbetreiber ist einer der optimistischsten Menschen der Welt, berufsbedingt. Dieses Jahr, dieser Sommer 2017, soll nun besonders schlecht gewesen sein. Und da wird gar nicht mehr gesagt, das Wetter wäre schlecht gewesen, da wird gesagt, der ganze Sommer wäre schlecht gewesen, durchwachsen, lese ich, schlechtester Sommer seit sieben Jahren, oder gleich schlechtester Sommer überhaupt. Denn ein Herbst und ein Winter kann aus vielem bestehen, ein Sommer besteht hauptsächlich aus Wetter. Ein Sommer muss sonnig sein. Wenn er nicht sonnig ist, dann ist er schlecht.

Die Freibäder in Schleswig-Holstein hatten kaum Besucher. Die Leute gehen nicht draußen baden, wenn es ihnen nicht warm ist. Sie liegen nicht gern auf der Liegewiese rum, wenn ein kalter Wind weht. Am Nordseestrand ist das was anderes. Da zieht man sich die Windjacke über, schliddert durchs Watt und trinkt hinterher einen heißen Tee mit Rum in einem reetgedeckten Lokal. Man genießt die Atmosphäre. Man ist direkt ein bisschen stolz auf das schlechte Wetter, auf den kalten Sommer.

Mit den Freibädern ist das so: Man benutzt sie spontan und nach Bedarf, wie einen Handtrockner oder ein Taschentuch. Ist einem Heranwachsenden heiß, radelt er ins Freibad. Er schreit rum, beschmiert sich mit Eis, lässt sich von einer Wespe stechen und erfreut sich an Brüsten und Hintern. All das ist ein großer Spaß, aber nur, wenn es heiß ist. Wenn es kalt ist und regnet, sieht der Heranwachsende, und das ist nun mal der typische Freibadbesucher, lieber fern oder YouTube.

Darum ist tatsächlich dieser Sommer ein sehr schlechter Sommer gewesen, für die Freibäder in Schleswig-Holstein. Aber ich glaube ganz fest daran, dass sie nicht zugrunde gehen werden. Ich hoffe es. Und ich ermuntere jeden einzelnen meiner Leser, doch wenigstens noch ein einziges Mal in dieser ausgehenden Saison ein Freibad zu besuchen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen