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■ Der Name dieser Kolumne steht zur DebatteGhettoblaster oder Ghettolaster?

Vergangene Woche berichteten wir an gleicher Stelle von der Kontroverse um den Titel dieser Kolumne: Die Redaktion hatte Berliner AutorInnen ausländischer Herkunft eingeladen, jeden Dienstag Begebenheiten und Ereignisse aufzuschreiben, die ihnen in ihrem Alltag aufgefallen sind. Viele AutorInnen fanden diese Ideen gut, einige stießen sich jedoch am Titel der Rubrik. Letzten Dienstag stellten wir die Überlegungen der Redaktion dar, heute sagen uns zwei Autoren von Radio MultiKulti ihre Meinung. Beide Beiträge wurden am vergangenen Freitag von Radio MultiKulti/Sender Freies Berlin ausgestrahlt.

Contra

Hilfe, rettet mich! Ich bin offensichtlich taub geworden, weil ich bei dem Wort „Ghettoblaster“ keinerlei Musik höre. Es ist weder Geige noch Loreleiengesang. Und Trommel ist es auch nicht. Was klingt also in meinem tauben Ohr bei dem Wort Ghettoblaster?

Ich assoziiere damit eindeutig jemanden, der in einem Ghetto steckt und kräftig bläst, pfeift oder ähnlichen Krach macht. Aber: Verstehe ich es vielleicht falsch? Wahrig, Duden, Brockhaus, amerikanischer Meriam Webster und auch die begehrte multimediale Encarta 99 liefern mir keine Definition. Trotzdem gibt es genügend Erklärungen auf deutsch und englisch, was das Wort Ghetto heißt und was das englische Wort „Blaster“ heißt: Jemand pfeift, bläst oder macht ähnlichen Lärm.

„Ghettoblaster“ ist ein Slangwort für die riesigen tragbaren Radio- Kassettenrecorder, mit denen die schwarzen Jungs auf den Straßen von Harlem ihre Breakdance- Shows veranstalten. Um die Ghettogrenzen zu sprengen, versuchen sie dasselbe auch im Central Park. Aber da vertreibt die Polizei sie wegen Ordnungsstörung.

Ich bin nicht in New York aufgewachsen, sondern in Warschau, wo das Wort „Ghetto“ noch ein kleines bißchen schlimmer klingt als für jeden Amerikaner.

Wenn mich heute geschichtsbewußte und mit der kulturellen Bedeutung des Wortes vertraute Zeitungsredakteure für ihre Rubrik mit dem Titel „Ghettoblaster“ gewinnen möchten, lehne ich das ab.

Sorry, friends, steckt mich bitte nicht in euer imaginäres Ghetto. Ihr habt eure Grenzen noch nicht überwunden. Aber blasen würde ich in dem Fall nicht empfehlen, sondern mitdenken, mitfühlen und mitreden. Ohne Krach zu machen.

Joanna Wiórkiewics

Pro

Als ich jünger war und noch in der Sozialistischen Republik Rumänien lebte, kam es öfter mal vor, daß mir mein Kassettenrecorder aus der einheimischen, volkseigenen Produktion mickrig vorkam. Mit dieser kommunistischen Attrappe von Kassettenrecorder auf die Straße zu gehen war lächerlich.

Was hätte ich damals nicht alles für einen echten Ghettoblaster gegeben. Mit dem hätte man so richtig aufdrehen können, auf dem Korso der Stadt. Aufdrehen, bis denen das Hirn von der Musik erschüttert wurde, den Spießern wie den Parteifunktionären.

Das war ein Traum von mir.

Ich lebte damals im Grenzgebiet zu Jugoslawien, und das Tito-Fernsehen, das wir alle sahen, zeigte manchmal die schwarze Musik. Nicht oft und auch nicht viel davon, immer nur einen Zipfel, wie der Titoismus das eben so machte. Von allem ein Zipfel, bis der große Krieg beisammen war.

Ich sah die Schwarzen mit ihren Ghettoblastern und dachte mir: So ein Neger möchte ich auch gern sein. Seine Kommentare lautstark abgeben und darauf pfeifen, was die Herrschenden davon halten. Die Weißen, die Bullen, die Inländer. Die Schönen und die Reichen, die Liberalen und die politisch Korrekten. Ich möchte auch heute noch so ein Neger sein. Und deshalb finde ich Ghettoblaster gut. Die Rubrik sollte weiter so heißen.

Richard Wagner

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