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Der Nachtigall auf der SpurLiebesgesang im Tiergarten

Berlin gilt als Hauptstadt der Nachtigallen. Bei einer nächtlichen Exkursion kommt es noch zu anderen Begegnungen.

Die Nachtigallen fühlten sich durch die Marschierer nicht gestört Foto: plu

Berlin taz | Nachtigallenforscherin Kim Mortega hat zur nächtlichen Exkursion in den Tiergarten geladen. Berlin gilt als Hauptstadt der Nachtigall, mehr als 3.000 Vögel verbringen hier Frühjahr und Sommer. Zum Vergleich: In Großbritannien leben nur noch 5.000 Exemplare.

Einmal im Jahr zur Paarungszeit macht Mortega im Namen des Naturkundemuseums Berlin diese Führung. Die auf 15 Personen beschränkte Veranstaltung in der Nacht vom vergangenen Samstag zu Sonntag war schnell ausgebucht. Sogar aus Manchester war ein ornithologisch interessiertes Paar angereist.

Anders als üblich ist die Wissenschaftlerin im Tiergarten dieses Mal nicht allein mit ihrer Gruppe. Schon von Ferne sieht man das Leuchten. Dunkle Gestalten mit Stirnlampen, die ihnen die Anmutung von Grubenarbeitern geben, strömen an den Nachti­gallfreunden vorbei. Teilnehmer des Mammutmarsches, wie sich auf Nachfrage herausstellt. Von 3.000 Teilnehmern ist die Rede. 100 beziehungsweise 75 Kilometer von Potsdam nach Berlin und zurück gehen sie innerhalb von 24 Stunden zu Fuß.

Ein herzzerreißendes Flöten dringt aus dem dunklen Gebüsch. Ein Nachtigallmännchen, das um ein Weibchen wirbt, erklärt Mortega. Nachtigallen, die Mitte Mai noch in der Nacht singen, blieben für den Rest der Saison oftmals solo. Männchen, die verpartnert sind, singen nur noch tagsüber – um das Weibchen auf dem Gelege zu bespaßen und den Küken nach dem Schlüpfen das Singen beizubringen.

Kleiner, unscheinbarer Vogel

Mortega klappt in der Dunkelheit ihren Laptop auf, das Bild von einem kleinen braunen unscheinbaren Vogel leuchtet auf. Kaum 25 Gramm wiegt der Zugvogel, der auf der Flugstrecke nach Ghana, dem Winterquartier, 7.000 Kilometer zurücklegt. Je früher die Männchen im April zurück in Berlin seien, umso größer, die Chance, durch Gesang ein Weibchen zu erweichen. Nachtigallen seien saisonal monogam, sagt Mortega. Was die Weibchen aber nicht hindere, sich auch von anderen Männchen begatten zu lassen. Untersuchungen der Eier hätten das bestätigt.

Grelles Licht und monotones Schlurfen deutet das Nahen von weiteren Mammutmarschierern an. Schweigend ziehen sie vorbei. Ein Mann klagt über die Blasen an seinen Füßen. Mit dem Tiergarten haben sie die erste Hälfte der Etappe zurückgelegt. Der Weg nach Potsdam, wo sie Sonntagfrüh ankommen sollen, ist noch weit. Die Nachtigallenfreunde machen ihnen bereitwillig Platz.

Der Marsch, der einmal im Jahr stattfindet, erfreut sich offenbar zunehmender Beliebtheit. „An die persönlichen Grenzen gehen und einen Mix aus Natur und Großstadt erleben“ – so lautet die Werbung.

Mortegas Nachtigallentour dauert bis 1.30 Uhr. Sechs Männchen belauscht die Gruppe bei ihrem Liebesgesang. Zum Schluss liefern sich zwei Vögel in der gleichen Frequenz ein ergreifendes Battle.

Offenbar gibt es noch viele Singles. „Die Nachtigallen haben uns begleitet“, zeigt sich eine Teilnehmerin des Mammutmarsches, die Potsdam um 7 Uhr morgens erreicht, beglückt.

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