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Der Nachbarkontinent

Wo die Fördergelder nicht mehr hinkommen: Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert „Cinema Africa“, obwohl das Hoch des afrikanischen Kinos, als sich europäische Sender mit sperrigen Dorffilmen schmückten, vorbei ist

Der Schauspieler steht auf einer Bühne, um einen Gangster darzustellen. Im Auditorium hocken ein paar gelangweilte Figuren, die das Casting für eine TV-Serie machen. Der Schauspieler beginnt, ein bisschen mit den Extremitäten zu wackeln, bewegt sich dann im Entenmarsch über die Bühne – und bricht ab. Denn er hat keine Ahnung vom Sujet. Und er weiß es. Also macht er sich auf in die Vorstädte, um zu lernen, wie so ein Gangster denn lebt und was er tagein, tagaus treibt. Eine Szene aus „Hijack Stories“ von Oliver Schmitz, der die Widersprüche und extremen Gegensätze in der afrikanischen Bevölkerung Südafrikas bearbeitet. Die Szene wird sich noch einige Male wiederholen, aber der Schauspieler kann die Rolle nicht ausfüllen. Dabei hat er viel Gelegenheit, zu lernen. Denn die echten Gangster nehmen ihn mit beim Carnapping, und er ist ein gelehriger Schüler, der in die Kunst des Banküberfalls eingeweiht wird.

Das Filmland Südafrika ist mit einem Schwerpunkt beim Festival Cinema Africa vertreten. Das drängt sich beinahe auf, denn die Filmproduktion auf dem Nachbarkontinent hat sich in den letzten Jahren auf einige Produktionsinseln zurückgezogen. Das Hoch des afrikanischen Kinos, als sich europäische Sender mit sperrigen Dorffilmen schmückten, ist vorbei. Nacheinander waren Asien und, bis heute, Osteuropa die neuen Ziele europäischer Produktionsgelder. In vielen afrikanischen Staaten ist seit Jahren kein langer Spielfilm mehr entstanden.

Südafrika ist das reichste Land des Kontinents und hat eine ausufernde Produktion von TV- und Kinofilmen. Interessante AutorInnen haben sich dort allerdings noch nicht in größerer Zahl durchsetzen können. Im Senegal treffen sich Fördergelder aus zahlreichen europäischen Quellen, das Land ist sehr stabil und das kulturelle Klima dort ist offen und produktiv. Das bitterarme Burkina Faso schließlich hat eine Filmtradition, die bis in die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit zurückreicht. Das Filmfestival Fespaco ist das bedeutendste des Kontinents, allerdings sind die seit vielen Jahren geplante Cinematheque Africain und die längst wieder geschlossene Filmhochschule Inafec eine Nummer zu groß für das westafrikanische Binnenland.

„Karmen Gei“ von Joseph Gai Ramaka bearbeitet Merimées Novelle sehr frei. Karmen führt eine Bande von Piraten, die in der Bucht hinter der senegalesischen Hauptstadt Dakar Schiffe plündert. Es wird getanzt und gesungen wie gehabt, aber nicht nach Bizet, sondern auf Senegalesisch. Der Film ist sehr freizügig in Bezug auf Sex, Karmen nimmt sich manche Frau und manchen Mann mit nach Hause. So etwas hat das afrikanische Kino bisher nicht gesehen. Und das wird es so schnell auch nicht zu sehen kriegen. Die desaströse Distributionsstruktur verhindert, dass das Kino aus Senegal in Dakar und jenes aus Burkina Faso in Ouagadougou im Alltag zu sehen sind. Von der Provinz ganz zu schweigen.

Burkina Faso ist als Produktionsstandort noch nicht von der Landkarte verschwunden. Das ist in erster Linie auf die Hinterlassenschaft der Filmschule zurückzuführen. Es gibt viele ausgebildete Techniker im Land, Fachleute für Kamera, Ton, Beleuchtung und alles, was am Set anfällt. Das erleichtert die schwierige Produktion von Filmen in einigen Ländern Westafrikas ganz ungemein. Wenn dort jemand Geld für einen Film aufgetrieben hat, sind burkinische Techniker immer dabei. Sie verdienen weniger als importierte Europäer und kennen die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird.

Issa Serge Coelos „Daresalam“ ist ein Beispiel für diese Art Kooperationen. Der Film zeigt das Entstehen eines Bürgerkriegs in einem afrikanischen Land. Der Name Tschad fällt nicht, obwohl der Staat gemeint ist. Die beiden Protagonisten werden im Krieg getrennt und finden sich auf verschiedenen Seiten wieder. Coelo zeigt, dass es viele Gründe dafür gibt, dass sich Menschen für den Krieg entscheiden. Und er zeigt, dass es dadurch keine Erlösung geben wird. Am Ende bleibt nichts als das nackte Überleben. Im Abspann ist dann das Kulturministerium Burkina Fasos als Kooperationspartner aufgeführt. Dort sind all die Techniker angestellt …

Für eine internationale Kinokarriere hat „Hijack Stories“ die besten Karten. Er wurde vom unlängst verstorbenen Filmbüro NRW gefördert, und diese Tatsache wie die guten Kontakte, die Oliver Schmitz in Deutschland hat, sollten einem baldigen Bundesstart nicht im Weg stehen. Die meisten der anderen Filme werden Projekte für Festivals und die mitternächtlichen Filmfenster weniger TV-Stationen bleiben. Bei „Karmen Gei“ und „Daresalam“ war immerhin Arte beteiligt. MAX ANNAS

„Cinema Africa“ bis 15. Dezember im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten

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