Der Messedirektor: Außen Kaufmann, innen kreativ
Die vergangenen drei Jahre waren nicht leicht für Oliver Zille. Wie angefasst er davon war, die Leipziger Buchmesse dreimal pandemiebedingt absagen zu müssen, zeigte sich etwa, als er im vergangenen Jahr die Pop-up-Buchmesse besuchte, die als Alternative recht spontan von kleinen und mittleren Verlagen organisiert worden war. Oliver Zille streifte durch die Halle, besah sich die Stände, kaufte Bücher. Melancholie, dass die große Messe wieder nicht zustande gekommen war, umgab den 1960 geborenen Zille. Aber auch die Freude an dem Interesse für Bücher und dem Selbstbehauptungswillen der Branche, die sich hier in Leipzig zeigte.
Oliver Zille sagte damals, die Pop-up-Messe sei „eine kreative Antwort auf die schwierige Situation im Moment, aber auch ein klares Statement, wie sehr die Leipziger Buchmesse fehlt und dringend wieder gebraucht wird“. Darin schwingt mit, was man auf die Situation der deutschen Buchbranche insgesamt anwenden könnte. Ein trotziges Beharren auf die Dringlichkeit, mit der sie gebraucht wird. Und ein Bekenntnis dazu, dass man kreative Antworten finden muss. Das ist weit weg von einem managerhaften Rechnen und Effizienzdiskurs.
Oliver Zille ist in der DDR aufgewachsen. Er lernte Buchgroß- und Außenhandel und absolvierte ein Studium der Außenwirtschaft in Berlin. „Buch“ und „außen“ – dass diese beiden Wörter in der DDR schillernd miteinander verbunden waren, mag ein Klischee sein; es ist ebenso gut auch eine historische Tatsache und für Oliver Zille lebensentscheidend. Wie weit man bei der gesellschaftlichen Selbstreflexion gehen konnte, wie weit man auch die herrschenden Zustände in der DDR hinterfragen konnte, wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern immer wieder neu ausgetestet. Die Leipziger Buchmesse mit ihrer großen Tradition bis fast an den Beginn des Buchdrucks zurück war auch ein Schaufenster, in dem DDR-Bürger sich darüber informieren konnten, was im westlichen Ausland gedacht und geschrieben wurde. Die großen Westverlage konnten in Leipzig ausstellen und ließen sich bereitwillig von den Besucher*innen ihre Messe-Exemplare klauen. In der Berliner Zeitung erinnerte sich Zille gerade an diese Zeit zurück: „Das war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“
Seit 30 Jahren leitet Oliver Zille die Leipziger Buchmesse. Der Umzug aus der Innenstadt in die Glashalle fiel in diese Zeit. Nachdem eine Fernseh-Literaturshow à la Oscar-Verleihung arg floppte, setzte Zille auf den Preis der Leipziger Buchmesse als PR-Zugpferd. Die Arbeit der literaturkritischen Jury dazu verfolgt er mit großem Interesse, aber ohne sich inhaltlich einzumischen.
Was treibt Oliver Zille an? Wenn er einem im Restaurant gegenübersitzt, kann er einem sehr gut vermitteln, wie wichtig gesellschaftlich offene Debatten sind. Dass Leipzig in der DDR zu einem Zentrum der Opposition und dann auch zu einem Hotspot der friedlichen Revolution wurde, hat für ihn etwas mit der Leipziger Buchmesse zu tun. Und jetzt kämpft er darum, diesen Marktplatz der Ideen und Debatten auch unter marktwirtschaftlichen Umständen zu behaupten.
Wie sehr in der Gestalt des Kaufmanns und PR-Profis ein literaturaffines Herz schlägt, zeigte sich auch im vergangenen Jahr, als er die Verleihung des Leipziger Buchpreises in seinem Grußwort mit Lyrik veröffentlichte. Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, und Zille zitierte mit bebender Stimme die Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja: „Lange blieb das Unheil aus. Lange Zeit …“ Existenzielle Betroffenheit war in diesem Moment spürbar. Und zugleich trotz aller aktuellen Hilflosigkeit ein tiefes Vertrauen in die zivilisierende Kraft der Literatur.
Dirk Knipphals
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