: „Der Mann gehört vor Gericht“
■ Interview mit Neratin Ceka, Chef der Demokratischen Allianz, über Präsident Berisha, die Wahlen und die Zukunft Albaniens
Der 56jährige Archäologe Neratin Ceka war nach dem Zusammenbruch des stalinistisch-kommunistischen Systems 1991 Vizepräsident der Demokratischen Partei von Präsident Sali Berisha. Er gründete aber schon im Herbst 1992 zusammen mit anderen parteiinternen Gegnern des Präsidenten die Demokratische Allianz. 1993 verlor er aus politischen Gründen seine Professur an der Universität Tirana. Anders als Berisha gehörte Ceka nie der Partei des alten Regimes an.
taz: Berisha war vor fünf Jahren der Hoffnungsträger Albaniens schlechthin. Letztes Jahr hat seine Partei noch die Wahlen gewonnen. Nun wünschen ihn alle zum Teufel. Was hat er falsch gemacht?
Neratin Ceka: Berisha war von Anfang an ein Populist, ein Demagoge und ein Pragmatiker. Das Volk wollte einen Führer, und es wollte schnell reich werden, und Berisha hat ihm erfolgreich vorgegaukelt, daß es das mit ihm würde. Er hatte aber kein politisches Programm. Er hat die Herausbildung parteiunabhängiger staatlicher Institutionen nicht zugelassen. Die Verwaltung und die Polizei waren von seiner Demokratischen Partei kontrolliert. Es gab keine unabhängige Justiz.
Berisha hat die politische Verantwortung für die Krise. Ist er auch strafrechtlich zu belangen?
Ja. Er hat zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern, vor allem mit dem Chef des Geheimdienstes Shik, einen Krieg gegen den Süden geplant, also einen Bürgerkrieg. Er wollte 25.000 Leute, Artillerie, Luftwaffe und auch chemische Waffen einsetzen. In Gjirokastär ermittelt nun die lokale Justiz gegen ihn, auch in Vlorä. Der Mann gehört in der Tat vor Gericht. Er hat den Tod von Hunderten von Menschen zu verantworten.
Weshalb konnte er seinen Plan nicht verwirklichen?
Unsere Armee hat in Albanien nie gegen das Volk gekämpft, auch die Polizei nicht, nur der Geheimdienst. Und auch Berisha hat nur ein paar hundert Geheimdienstler für Kommandoaktionen gewonnen und sie in den Süden geschickt. Die hatten keine Chance.
Verteidigungsminister Vukaj warnte jüngst vor neuen geheimen Plänen des Geheimdienstes, die Rebellion im Süden militärisch zu beenden.
Die Gefahr besteht nicht mehr. Berisha hat keine Armee, nur ein paar Banditen unter seinem Befehl. Er hat es versucht, es hat nicht geklappt. Und jetzt sind zudem die multinationalen Friedenstruppen im Land.
Berisha sagte jüngst, solange die Rebellen im Süden nicht entwaffnet seien, könnten die für Ende Juni vorgesehenen Wahlen nicht stattfinden.
Die Rebellen haben die Autorität der neuen Regierung der nationalen Versöhnung akzeptiert. Unsere Regierung hat kein Problem mit dem Süden. Die lokale Polizei dort ist unter dem Befehl des Innenministers. Die lokale Verwaltung funktioniert. Es gibt bewaffnete Banden, die gibt es es aber auch im Norden. Mit den Komitees der Aufständischen haben die nichts zu tun. Die Leute haben aus Angst vor der Regierung zu den Waffen gegriffen, nicht um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Die Angst hält an, solange Berisha an der Macht ist, und so lange werden die Leute auch die Waffen nicht zurückgeben. Im übrigen hat auch jeder Schweizer ein Gewehr zu Hause, auch in Amerika gibt es doch fast in jedem Haus eine Waffe. Dort wird auch gewählt.
Berisha hat gesagt, er trete nur zurück, wenn bei den Wahlen seine Demokratische Partei verliert. Das neue Parlament könnte ihn ja nur mit einer Zweidrittelmehrheit absetzen.
Am besten träte er gleich zurück und würde einen Neuanfang ermöglichen. Aber Berisha hat zwei Drittel Albaniens zerstört, nun will er auch noch das dritte Drittel zerstören. Er ist ein Krimineller. Wenn er bleiben will, was ich befürchte, sollte das Parlament ein Absetzungsverfahren einleiten.
Soll man nach den Wahlen die jetzige Allparteienregierung fortsetzen?
Es muß eine breite Koalition geben, um dem Land eine Verfassung zu geben [Berisha wollte eine Verfassung durchsetzen, die das Volk im Referendum abgelehnt hat; die Red.]. Es geht darum, den Staat neu aufzubauen. Die Demokratische Partei Berishas aber gehört erst mal in die Opposition.
Am stärksten ist nun offenbar die Sozialistische Partei, gewendete Nachfolgerin der Kommunisten. Ist eine von ihr geführte Regierung eine Gefahr für die Demokratie?
Eine Alleinregierung der Sozialisten wäre gewiß eine Gefahr, wie auch die Alleinregierung der Demokratischen Partei ja eine war. Die Basis der Sozialisten hat durchaus autoritäre Tendenzen. Da gibt es die Gefahr der Revanche. Man muß aber realistisch sein. Die Sozialisten werden die stärkste Partei sein, aber sie dürfen nicht allein regieren. Wir wollen auch deswegen das Mehrheitswahlrecht durch ein Verhältniswahlrecht ersetzen, damit die Sozialisten im Parlament keine absolute Mehrheit haben, sondern die Parteien nach ihrer Stärke repräsentiert sind.
Berisha will aber am Mehrheitswahlrecht festhalten.
Weil es Blut und Chaos verspricht. Da stehen Kandidaten gegeneinander. Die werden ihre Clans organisieren, und die haben Kalaschnikows.
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