Der Lissabon-Vertrag vor dem Verfassungsgericht: Linke im Schatten Gauweilers
Die Bundesregierung verteidigt den Lissabon-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht, aber die Richter scheinen deren Argumente kritisch zu sehen.
Wer klagt eigentlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Lissabon? Einer der prominenten Beschwerdeführer in Karlsruhe ist der Europa-Kritiker und CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, der den Vertrag vor allem als undemokratisch bezeichnet. Zudem glaubt er, das in Lissabon ausgehandelte Reformwerk schränke den Einfluss des Bundestages ein. Mit ihm klagt auch der Ex-Europaabgeordnete der CSU, Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, jüngster Sohn des Hitler-Attentäters. Unter denjenigen, die den jüngsten EU-Reformvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht ablehnen, sind zudem der Thyssen-Chef Dieter Spethmann, der Tübinger Europarechtsexperte Joachim Starbatty, der Berliner Wirtschaftsjurist Markus Kerber sowie der ÖDP-Vorsitzende Klaus Buchner. Außerdem klagt die Bundestagsfraktion der Linkspartei mit ihrem Vorsitzenden Oskar Lafontaine vor dem Zweiten Senat des Verfassungsgerichts. Auch er argumentiert, der Vertrag sei nicht ausreichend demokratisch legitimiert.
CSU-Querkopf Peter Gauweiler hat gestern nicht zum Widerstand aufgerufen. Aber wenn das Verfassungsgericht den EU-Vertrag von Lissabon nicht stoppe, so Gauweiler, entstehe eine Situation, die ihn zum Widerstand zumindest berechtige. Kläger Gauweiler warnte davor, dass der Bundestag bald nicht mehr viel zu entscheiden habe. Dann sei Deutschland kein richtiger Staat mehr und das Wahlrecht entleert. Bewaffneter Widerstand gegen die EU? Starker Tobak. Doch immerhin die vier konservativen Verfassungsrichter im achtköpfigen Zweiten Senat schienen gestern, zu Beginn der zweitägigen Verhandlung über Gauweilers Klage, seinen Argumenten nicht abgeneigt. So fragte etwa der federführende Richter Udo di Fabio, ob die zunehmende EU-Integration "in der Tendenz freiheitsgefährdend" sei.
Der Vertrag von Lissabon soll der Europäischen Union im Wesentlichen effizientere Strukturen bringen. So soll im Ministerrat häufiger als bisher mit Mehrheit abgestimmt werden, das Europäische Parlament bekäme mehr Einfluss, die europäische Außenpolitik würde besser koordiniert, europäische Grundrechte sollen in einer Charta ausdrücklich garantiert werden. Bundestag und Bundesrat haben dem Vertrag bereits im Mai mit jeweils großer Mehrheit zugestimmt.
In Karlsruhe sind gestern vier Klägergruppen aufgetreten. Neben Gauweiler hat auch die Bundestagsfraktion der Linken geklagt sowie der ÖDP-Vorsitzende Klaus Buchner und vier eher neoliberal ausgerichtete Professoren um den Ex-Thyssen-Chef Dieter Spethmann.
Verteidigt wurde der Vertrag unter anderem von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der davor warnte, sich in "nationale Schneckenhäuser" zurückzuziehen. Steinmeier betonte, dass der Nationalstaat mit Aufgaben wie dem Klimaschutz oder der Bewältigung der Finanzkrise überfordert sei. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte, dass das Grundgesetz schon immer eine europafreundliche Verfassung war. Heute sei es sogar ein Staatsziel, auf ein vereinigtes Europa hinzuwirken. Regierungsvertreter sagten zudem, dass der Lissabon-Vertrag kaum neue Kompetenzen auf die EU übertrage. Der CDU-Abgeordnete Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europa-Ausschusses, erinnerte an wichtige politische Debatten der jüngsten Zeit: Erbschaftsteuerreform, Onlinedurchsuchungen, Mindestlöhne. Das seien alles "Themen, die heute und auch in Zukunft im Bundestag behandelt werden".
Umstritten war gestern vor allem der Bereich innere Sicherheit. Um den sensiblen Charakter dieser Materie zu betonen, konnte dort bislang nur einstimmig abgestimmt werden, das Europäische Parlament hat nichts zu sagen. Künftig gibt es Mehrheitsabstimmungen, und das EU-Parlament kann dann mitwirken. Die Regierungsvertreter sahen darin einen Gewinn an Demokratie. Doch für Gauweilers Rechtsvertreter, den Freiburger Professor Dietrich Murswiek, ist die Beteiligung des EU-Parlaments eher bedenklich, weil kleine Staaten relativ mehr Abgeordnete haben als Deutschland. Auch Linke-Chef Oskar Lafontaine glaubt, dass das EU-Parlament "keine demokratische Legitimation herstellen" könne, da es kein Initiativrecht habe.
Ansonsten blieb die Linke gestern eher im Schatten von Gauweiler. Lafontaine rügte zwar ausführlich den neoliberalen Charakter der Europäischen Union, der im Lissabonner Vertrag nun auch noch festgeschrieben werde, doch der Neoliberalismus-Vorwurf wurde seltsam kontrastiert durch den Vorwurf der neoliberalen Professoren, die EU-Kommission versage bei der Durchsetzung des freien Wettbewerbs.
Beobachter rechnen nicht damit, dass die Verfassungsrichter den Lissabon-Vertrag scheitern lassen. Die Kläger haben auch überwiegend Argumente vorgebracht, die die Europäische Union generell betreffen und mit dem neuen Vertrag wenig zu tun haben. Die Richter könnten allerdings Vorgaben für weitere Integrationsschritte machen. Die Verhandlung wird heute fortgesetzt. Das Urteil soll erst in einigen Monaten verkündet werden.
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