: Der Kreis ist der Anfang
Das Tanzprojekt „Contextos“ bringt junge Berliner Tänzer*innen mit solchen aus der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena zusammen
Von Tom Mustroph
Körper sprechen miteinander. Das ist seit jeher die Überzeugung von Tanzenden und Choreografierenden. Den Praxistest dafür liefert aktuell in Berlin das Projekt „Contextos“ der Kompanie Memorias Danza Teatro aus der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena de Indias und des Berliner Kollektivs Schw3rpunkt, das aus der Kinder- und Jugendcompagnie von Sasha Waltz erwachsen ist. Sieben Tänzer*innen aus Kolumbien und drei aus Berlin treffen sich derzeit im Probenraum von Sasha Waltz im Dock 11 und lernen einander vor allem durch Bewegung kennen. „Es war schon eine Kollision der Kulturen“, beschreibt Gabriel Galindez Cruz das erste reale Aufeinandertreffen in Berlin nach diversen digitalen Meetings. Galindez Cruz tanzte einst bei Sasha Waltz, leitet inzwischen deren Kinder- und Jugendensemble und ist Initiator des Projekts. Er stammt selbst aus Kolumbien. „Es gab keine Konflikte“, stellt er gegenüber der taz klar. „Aber es wurde eben deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven auf viele Dinge sind, wie schwer für die einen etwas ist, was den anderen selbstverständlich vorkommt.“
Als Beispiel nennt er, dass die Performer aus Kolumbien unmittelbar vor den Proben erst einmal viel miteinander reden, während die Berliner sich ganz still in sich zurückzögen. „Ja, wir tratschen und schnattern, das gehört einfach zu uns“, bestätigt lachend der Choreograf Alex May, der das Memorias Danza Teatro leitet.
Ein Hindernis dabei ist, dass er und seine Tänzer*innen kaum Englisch können. Galindez Cruz vermittelt dann und Johanna Paul vom Schw3rpunkt-Kollektiv, die ein Jahr in Medellín verbracht hat, übersetzt auch. „Vor allem aber verstehen wir uns über den Tanz“, sagt sie. „Gemeinsam entwickeln wir so etwas wie ein neue Sprache.“ So finden dann sehr unterschiedliche Tanzsprachen zueinander. Während Paul viel mit Kontaktimprovisation und Partnering arbeitet, operiert Memorias Danza Teatro mit afrokolumbianischen Rhythmen. „Wir nennen das ‚Tanz des Lebens‘, ‚Tanz des Alltags‘“, erklärt Alex May.
Sein Ensemble agiert vor allem als Community-Dance-Projekt, bezieht Jugendliche der Insel Tierra Bomba und den in der Peripherie gelegenen Barrios Cartagenas ein. In den Projekten werden Geschichten der afrokolumbianischen Kultur erzählt. „Tierra fertil“ etwa war eine Hommage auf den einflussreichen Schriftsteller Manuel Zapata Olivella. Dessen (noch nicht auf Deutsch erschienenes) Hauptwerk „Changó“ folgt den Spuren der Sklaverei vom afrikanischen Kontinent bis in die Karibik.
Nach Berlin hat May Praktiken des Tanzes auf Straßen und öffentlichen Plätzen mitgebracht. So bilden jetzt im Probenraum alle Performer einen großen Kreis und beginnen mit individuellen Bewegungen. Dann tritt eine Person in die Mitte, eine zweite gesellt sich dazu, nimmt Bewegungen der ersten auf, verändert sie dabei. Ein forschender Dialog entwickelt sich, der von einer weiteren Person unterbrochen wird. Sie tritt in den Kreis, geht zwischen die beiden, löst den ersten Tänzer ab und wird in Folge eines immer dynamischer werdenden Wechselspiels später selbst abgelöst.
Im Verlaufe der Session löst sich die Kreisstruktur komplett auf. Paare und Dreierkonstellationen ergeben sich, fließen ineinander, bilden neue Konfigurationen. Wie genau die Struktur des finalen Stücks sein wird, lässt sich noch gar nicht absehen. Elementar aber ist die Aufmerksamkeit füreinander und die Lust, gemeinsam etwas ganz Neues zu kreieren.
„Contextos“ wird erstmals im Rahmen des Plataforma Festivals im Acud präsentiert (4. bis 6. September) und geht danach auf eine unter anderem vom Goethe Institut geförderte Gastspielreise nach Kolumbien.
Acud, 4. bis 6. September
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