Der Klang von Neuköllln: "Lärm ist ein kulturelles Phänomen"
Der Geräuscheforscher Yukio van Maren King versucht mit seinem Projekt "Klang im Kiez" den Richardplatz in Neukölln wiederzubeleben.
taz: Herr King, der Senat hat gerade Lärmkarten erstellt, in denen die akustische Belastung der BerlinerInnen straßenweise verzeichnet ist. Was halten Sie davon?
YUKIO VAN MAREN KING, 27, ist Amerikaner mit japanischen und niederländischen Wurzeln. Der Stadtplaner studiert in Berlin Sound Studies.
Yukio van Maren King: Grundsätzlich finde ich es sehr gut, dass diese Karten erstellt worden sind, und ich finde es erschreckend, dass fast 400.000 Berliner von gesundheitsgefährdendem Lärm betroffen sein sollen.
Für wie aussagekräftig halten Sie die ermittelten Werte?
Es ist sehr schwierig, die Lärmbelastung zu erheben. Dezibel sind ein physikalischer Wert. Aber die Frage, ob wir etwas als laut oder leise empfinden, ist auch eine kognitive Frage. Lärm ist etwas zutiefst Subjektives.
Wie man zum Beispiel daran sieht, dass sich die EU-Kommission nicht auf einen Richtwert einigen konnte?
Ganz genau. Das Verständnis der Finnen und der Italiener von Lärm war einfach zu verschieden. Lärm ist ein kulturelles Phänomen und kann nicht wirklich physikalisch definiert werden.
Warum ist Lärm mehr als ein physikalisches Phänomen?
Es kommen viele Faktoren ins Spiel, die die Wahrnehmung des Menschen beeinflussen - wie das allgemeine Befinden oder auch die Toleranz. Wir befinden uns hier an der Sonnenallee. Was uns hier normal vorkommt, würden wir in Zehlendorf als üblen Lärm wahrnehmen.
Ist für Sie Lärm also nicht grundsätzlich etwas Negatives?
Stadtklang kann etwas Interessantes, Identitätsstiftendes sein. Geräusch wird zu sehr in den Kategorien laut und leise wahrgenommen. In der Stadtplanung sollte Geräusch als gestalterisches Element genutzt werden.
Wie denn das?
Man kann zum Beispiel versuchen, positive Klänge in einen Kiez einzubringen. Durch den Klang kann man den Raum formen. Der Richardplatz in Neukölln zum Beispiel klingt relativ tot. Auf dem Platz passiert fast gar nichts.
Wie kann man diesen Platz beleben?
Klang hat sehr viel mit Wohlfühlen zu tun. Man könnte zum Beispiel einen Wochenmarkt auf dem Platz schaffen oder den Kiosk am Platz zu einem richtigen Straßencafé ausbauen. Dadurch verändert sich die ganze Atmosphäre eines Platzes.
Was kann man denn noch tun?
Ein Brunnen etwa schafft selbst in lauter Umgebung einen eigenen akustischen Raum, ein Gefühl von Ruhe. An Orten, die sonst unbelebt und unattraktiv sind, scharen sich die Menschen stets um den Brunnen. Etwa auf dem Neuköllner Rathausplatz. Das alles findet unbewusst statt. Ich gehe ja nicht bewusst an einen bestimmten Ort, weil es dort so gut klingt, man hat halt dort ein gutes Gefühl.
Der Klang wird also zu wenig in der Stadtplanung berücksichtigt, weil die Wahrnehmung von Geräuschen unbewusst stattfindet?
Ja, aber es gibt erste Ansätze. Für mein Projekt "Klang im Kiez" bin ich auf das Quartiersmanagement in Neukölln zugegangen. Zuerst war man dort skeptisch, aber mittlerweile haben wir ein sehr gutes Verhältnis. Wir wollen beide soziale Ziele erreichen.
Inwiefern?
Wir wollen eine bessere Form von Zusammenleben im Kiez erreichen. Mit einem belebten Platz, wo man sich begegnet und ein soziales Gefüge entwickelt, eine gemeinsame Identität. Dort begegnen sich unter anderem türkische, arabische und deutsche Nachbarn. Man lebt nicht mehr ganz aneinander vorbei und das ist schon eine ganze Menge.
Gibt Klang auch einer ganzen Stadt eine Identität?
Auf jeden Fall gibt es Klänge, die man total mit Berlin identifiziert. Die Geräuschkulisse am Ostkreuz zum Beispiel, das brachiale Durcheinander ist wahnsinnig. Das Hämmern der Züge, die vielen Menschen. Die schlechte Tonqualität der Ansagen. Das ist schon etwas Besonderes.
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