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Der Jungbrunnen des PunkEs gibt kein Morgen

Stürmisch, aber nicht grob: Kalifornische Künstler wie Ty Segall, Dum Dum Girls oder Thee Oh Sees befeuern die Energie des Punk.

Auf dem Sprung: Ty Segall. Bild: Annabel Mehran

Auf der Bühne sieht er aus, als wäre er von einem schrecklichen Geist besessen. Der 25-jährige Kalifornier Ty Segall schreit sich die letzten Töne aus der Lunge, während sich die Musik zu frenetischer Geschwindigkeit aufbäumt. Kurz bevor man denkt, alles kulminiert in der Zerstörung der Instrumente, lenkt Segall mit lockerer Hand in ein souliges Midtempo ein.

Segall erinnert nicht zufällig an Iggy Pop, dessen Band The Stooges auch Meisterschaft entwickelte im Aufheulen und Abbremsen, in der Ausgestaltung eines rohen, verzerrten Rocksounds, der mit schnellen Harmonien und Rhythmen hantiert und daraus unmittelbare Energie bezieht. Die Stooges gelten als Proto-Punkband. „Search & Destroy“ heißt einer ihrer größten Songs.

Destruktion ist das Kernthema des Punk geblieben, auch 45 Jahre nach den Stooges erfreut sich das Genre großer Beliebtheit. Und das zu Recht, wie junge US-Künstler wie Thee Oh Sees, Dum Dum Girls, Mikal Cronin oder Ty Segall belegen. Sie beleben den Punk, dessen Klangmuster relativ simpel gebaut ist, und lassen ihn dennoch schlau klingen.

Oft steht zu lesen, der Sound dieser Bands sei einerseits modern und lehne sich andererseits an Traditionen an. Aber was kann innovativ sein an einem Genre, dem es gar nicht um technische Innovationen, sondern ausschließlich um das Klangmaterial geht – oder gar die Zerstörung desselben?

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Ty Segall ist ein Beispiel für die schönen Blüten, die der Punkrock wieder tragen kann. Bereits als Teenager hat er seine ersten Alben veröffentlicht, war Mitglied in zahlreichen Bands der kalifornischen Garagepunk-Szene, bevor er 2008 anfing, solo aufzutreten. Sein sechstes Album „Twins“ erscheint gerade. Es beginnt mit einem lässigen Gitarrenriff und Segalls sonnenhell grundierter Stimme, die gleichzeitig einen leicht quengeligen Unterton hat. Damit steht sie in Kontrast zur rauen Instrumentierung, die in den folgenden Songs immer mehr zur Geltung kommt. Da zerwühlen sich irrlichternde Gitarrenriffs mit einem ungestümen Schlagzeug, und trotzdem wirken die Songs noch in ihrem größten Lärm wohlgesetzt.

Modern und traditionell

Ty Segalls Version von Punk ist stürmisch, aber nicht grob. Sie speist ihre Wirkung aus den Gegensätzen, zwischen denen er oszilliert. Mal wird die Energie aus rhythmischen Steigerungen oder psychedelisch zerfransten Soundexperimenten gewonnen, dann wieder aus den harmonischen Gegebenheiten von Segalls Gesang. Dadurch, dass sich die Gesangsmelodien ihre Berechtigung immer wieder im Kampf mit den überbordenden Instrumenten erringen müssen, erzielen sie stärkere Wirkung als in einem glatten Popsong. „Twins“ zeigt auf, wie komplex das Songwriting von Punkrock heute sein kann.

Kulturwissenschaftler würden an dieser Stelle einwerfen, dass es bei Punk nie nur um die Musik ging. Dass er sich hingegen aus einem komplex verwobenen Gebilde zusammensetzt, das ökonomische und gesellschaftliche Faktoren mit einschließt, die letztlich eine größere Rolle spielten als sein Sound.

Punkrock ist schließlich auch nur ein Ausläufer von Pop. Dementsprechend wäre er vor allem eine Jugendkultur, die sich von der Gesellschaft abgrenzen will, woraus gerissene Manager, wie etwa Sex-Pistols-Impressario Malcolm McLaren, ein Geschäft machten. Dieser Argumentation zufolge wäre Punkrock die Pop-Spielart, bei deren Bewertung Musik die kleinste Rolle einnimmt. Doch im Grunde sind weder historische noch gesellschaftliche Faktoren entscheidend, um einen Punksong positiv zu beurteilen. Letztlich geht es auch beim Punk immer nur um das klangliche Material.

Selbstbestimmung ist heilig

Was uns wieder zurück zu Ty Segall bringt, dessen ungestümer Anklang sich vor allem live entfaltet. Bei Auftritten wird Segall unter anderem vom ebenfalls aus Kalifornien stammenden Musiker Mikal Cronin unterstützt, der letztes Jahr sein selbst betiteltes Solodebütalbum veröffentlichte. Segall und Cronin, die gemeinsam zur Schule gingen, scheinen ihre Musik in dem gleichen Zauberkessel zu brauen, denn auch bei Cronin kondensieren die Töne zu einer eingängigen Melange aus Harmonie und Destruktion.

Bei einem Konzert der beiden Musiker ist überall Bewegung, und die Songs werden zur körperlich spürbaren Erfahrung, bei der man viele spontan abgewandelte Songs erst im Refrain erkennt. Während sie einen augenblickhaften Charakter bekommen, vertraut das Publikum den Tönen ihren eigenen Sinn an, die Bewegungen werden unkontrolliert, das Konzert zum Happening: „There is no tomorrow“, singt Segall.

Was ist daran nostalgisch, was modern? Stellt man dem Künstler diese Frage, erklärt Segall, dass er in seiner Musik etwas von beidem spürt. Gleichzeitig macht er deutlich, dass es ihm in Hinblick auf seine Vorbilder vor allem um deren Do-it-yourself-Haltung geht. Selbstbestimmung ist ihm heilig. Glaubwürdigkeit ist für die Rezeption von Punk sicherlich ein entscheidender Faktor. Seine gesellschaftlich bedingte Entstehung und die ungeheure politische Wut, die sich im Klangmaterial widerspiegelte, sind historisch aufgeladen.

Sicherlich lassen sich auch heutzutage politische Gründe für das Funktionieren von Punk finden. Und dennoch: Ein Song von den Stooges klingt heute genauso wütend und mitreißend wie vor vierzig Jahren. Umgekehrt hätte Ty Segall sicherlich auch 1970 schon die Punkfans am Schopfe gepackt.

Die zeitliche Abfolge ist Zufall. Obwohl Popmoden an bestimmten Zeiten gebunden sind, kann ihre Qualität nicht nach dieser Kategorie bewertet werden. Was guter Popmusik gemein ist, erzeugt letztlich nichts anderes als Gefühle beim Hörer. Im besten Fall geht ein Riss durch den Alltag und lässt mit der Melodie eine Empfindung aufkommen, die ihre Hörer anders hinterlässt, als sie sie vorgefunden hat.

Erfreulich, dass in diesem Herbst neben „Twins“ noch zwei weitere erwähnenswerte Alben erscheinen, die den Faden von Punkrock wieder aufnehmen und weiterspinnen. Dazu gehört „Putrifiers II“ vom ebenfalls aus San Francisco stammendem Quartett Thee Oh Sees und „End of Daze“ von den ursprünglich in Los Angeles gegründeten Dum Dum Girls, für deren Bandname ein Song von Iggy Pop Pate stand.

Punk mit Zuckerguss

Die Dum Dum Girls wurden 2008 von der Sängerin Dee Dee Penny gegründet, die ihren Künstlernamen dem Bassisten Dee Dee Ramone entlehnt hat. Seitdem hat die Band zwei Alben veröffentlicht, nun erscheint ihre neues Werk „End of Daze“. Während sich ihre energetischen und zugänglichen Harmonien anfangs noch auf ein schrammeliges Instrumentenbett legten, das meistens so klang, als höre man die Band durch die Hintertür eines Kohlenkellers, räumen sie inzwischen auch ihrem Sound mehr Bedeutung ein.

Die Dum Dum Girls haben den Punk vor allem um melodische Nuancen ergänzt, ihn mit einer Art Zuckerguß überzogen, der sich aus dem beherzten Willen zu leichtfüßigen Melodien speist. Gleichzeitig verbergen sich hinter der Musik Texte, die um das Verlassenwerden und den Tod kreisen, weswegen ein Dum-Dum-Girls-Song immer einen bittersüßen Nachgeschmack hinterlässt.

Bluesiger, aber auch brachialer klingen da Thee Oh Sees aus San Francisco. Sie üben sich noch mehr in einem Spiel mit Rhythmen und Tonfolgen, das meistens die verzerrten Gitarren für sich entscheiden. Dazwischen nölt, falsettiert oder grummelt Songwriter John Dwyer in Abwechslung mit der süßlichen Stimme von Brigid Dawson.

Allen genannten Künstler zeigen, dass Punkrock fantasiebegabt ist und quicklebendig. Das kann man auch von Iggy Pop sagen. In dem Dokumentarfilm „Call me Iggy“ sitzt er auf einem Stuhl und schwelgt in den Erinnerungen seiner Jugend. Viele seiner Freunde sind bereits gestorben, auch Iggy hat sich mit dem Gedanken an den Tod angefreundet. Etwas Gewichtiges hält ihn davon ab, darüber verbittert zu sein. Er hat es geschafft, aus dem Jungbrunnen des Punk zu schöpfen, um Songs zu schreiben, die übermorgen genauso überwältigend sein werden wie früher.

■ Ty Segall, „Twins“ (Drag City/Rough Trade) ■ Dum Dum Girls, „End of Daze“ (Sub Pop/Cargo) ■ Thee Oh Sees, „Putrifiers II“ (In The Red/Grand Harbour) ■ Ty Segall live: 29. 11. in Leipzig, 1. 12. in Köln

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15 Kommentare

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  • K
    Kernthema

    @Alix

    Herrlich, wie leicht du dich provozieren lässt :)) Danke für die bierernste klugsch-Showeinlage!

  • A
    Alix

    Was ist das denn überhaupt für ein selbstgefälliges Punkerproletariat in den Kommentaren? Gibt es jetzt nur noch den Gegensatz aus intellektuell - ja was, dumm und ohne Argumente?

     

    Man kann wohl nicht antiessentialistisch gegen etwas schreiben, das keine fest definierte Essenz hat.

     

    Erinnert mich an die "Diskussionen", die ich mit 13 Jahren und blauen Haaren mit meinen Punkerfreunden geführt habe - wer ist jetzt mehr Punk? Ich - nein ich! Also ich habe "Please Kill Me" gelesen, ich weiß es jetzt und bin ein echter Punk! Ja aber, der Onkel von der Bekannten von meinem Vater hat mal die Band Crime gesehen und die sind viel mehr Punk als die ollen Sex Pistols!

     

    Trottel.

  • C
    Crossover

    Ich finde meinen Sound auch super, aber Punk ist something different.

    Yours sincerely

    T. Segall

  • B
    Betoncombo

    Geh nach Hause, du Punkbeamtentroll.

    Wäre schön, wenn Ty Segall MEHR in Radio gespielt würde.

  • A
    Alix

    Guter Text. Also wenn Ty Segall der Radiosound 2012 wäre, wäre unsere Welt um einiges schöner! Aber klar, man kann sich natürlich hinter seinen "Pöbel & Gesox, Oi-Bands" verschanzen und alles, was darüber hinausgeht, verurteilen. Schade.

  • S
    StumpfiSumpfiBumsi

    " Da zerwühlen sich irrlichternde Gitarrenriffs mit einem ungestümen Schlagzeug, und trotzdem wirken die Songs noch in ihrem größten Lärm wohlgesetzt."

     

    Ich lach mich scheckig. Soviel zu einem insgesamt recht bravem Radio-Sound 2012. Die Autorin, zara und auch X Ray Spex haben keinen blassen Schimmer, worüber sie sich auslassen. Aber Hauptsache man darf sich mal intellektuell-aniessentialistisch-performativ zu irgendetwas äußern :D

  • S
    StepPauli

    Dum Dum Girls sind ein prima Revival der grossen "The Primitives", ein prima Tipp. Und ein feiner Artikel über die "andere" Musik, handgemacht, rotzig, darf auch poppig, nicht dieses Kiss-FM-Geseibere. Manchmal schwer zu fassen, aber dadurch aufwühlend-anstupsend. Thee Oh Sees muss ich heute abend erstmal noch in Ruhe verdauen, aber ich bleibe dran.

    Und was "Gender" betrifft, sorry, ich will Musik vorgestellt bekommen, was dann wie ist kann ich dann je selbst als freier Hörer entscheiden, punk(t).

  • XR
    X Ray Spex

    Hanebüchen, was hier für Stumpfos Posten. Klasse Video. Und der Text erklärt dien Sound. Bürgertöchterchen soll ihre essentialistischen Behauptungen mal vergessen.

  • Z
    zara

    Wer sinnerfassend lesen kann, dem dürfte auffallen, dass dieser Artikel eine Hommage an Punk und dessen Revival ist. Schon klar, Punk war nie und nimmer, zu keinem Zeitpunkt tot; Ich kenne die "Punk's not dead"-Buttons, die auf Lederjacken direkt über dem Herzen durch die Welt getragen werden. Der Kernpunkt: Punk und seine Elemente sind zurück und im Begriff, die zuletzt vorherrschende Synthie-Welle abzulösen, welche über die Musiklandschaft geschwappt ist und allerorts Chillwave-Bands aus dem Boden sprießen ließ wie Unkraut. Langsam aber sicher schwappt diese Welle aus, denn die Leute haben die Schnauze voll von der ganzen Zuckerwatte, die ihnen in den Ohren klebt. Sie haben wieder Bock auf Musik, die fetzt. Bands wie Ty Segall und Thee Oh Sees treffen den Zeitgeist: Sie bedienen dieses Verlangen und sind gleichzeitig Vorreiter einer neuen Strömung, die auf Punk beruht und ihn gleichzeitig wiederbelebt. Ich prognostiziere außerdem, dass Punk salonfähig werden wird, also holt schon mal eure Taschentücher raus oder wischt euch eure Tränen weg mit einem Sex Pistols T-Shirt von H&M.

     

    Übrigens: Aus diesem Text beschissene Gender-Referenzen zu ziehen sagt mehr über diejenige Person aus als über den Artikel selbst.

  • S
    Swen

    Schließe mich Bürgertöchterchen an. Die Autorin sollte bei Diskurs-Pop und Blubb bleiben, dann darf sie bestimmt auch mal für Spex schreiben.

  • AH
    Anne H.

    Ich verstehe nicht, warum die Punkauffassung vom Autor hier so kritisiert wird. Punkrock ist ein emotional ungemein aufgeladener Begriff und die Grenzen von so einem Genre sind sowieso fließend, das heißt, wer die erste Punkband war, durch welche Elemente es definiert wird kann nie bestimmt werden. Das kann nur von einzelnen Autoren individuell begründet werden und ich finde die obige Begründung schlüßig.

  • P
    Plattenputzer

    Bürgertöchterchen hat recht. Der Schreiber dieser "Kririk" hat Punk nicht verstanden und sieht seine Bedeutung nicht.

  • GS
    günter sünder

    Ty Segall und Brigid Dawson haben definitiv mehr Zuckerguss als Bonnie Vectgarden je haben wird.

  • BV
    Bonnie Vectgarden

    Wenn Frauen Punk machen, dann mit Zuckerguss, klar. Sind ja Frauen. Aber Melodien hatten schon die Sex Pistols, die Clash erst Recht. Aber da sprach keineR von Zuckerguss. Es fällt immer wieder auf: egal ob Männlein oder Weiblein über Musik schreiben: den männlichen Musikern wird viel mehr Respekt entgegengebracht, ihnen wird Komplexität und Virtuosität zugeschrieben, die Frauen hingegen machen - angeblich - irgendetwas Zuckriges, was mit Melodie und so. Was eher Seichtes. Hören sie doch endlich mal die Musik und nicht immer das Geschlecht. Danke!

  • B
    Bürgertöchterchen

    " Die Stooges gelten als Proto-Punkband. „Search & Destroy“ heißt einer ihrer größten Songs.

     

    Destruktion ist das Kernthema des Punk geblieben"

     

    Sie haben den Song nicht verstanden, sie haben den Geist der Punkbewegung und die Bandbreite der Punkmusik nicht erfasst. Warum schreiben Sie dann darüber? Weil Sie sich dann schrecklich cool vorkommen können?