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Der Job ist noch nicht erledigt

Ist ja schwer was los im Land. Die Grünen gehen uneins in eine Weiter-so-Koalition mit den Schwarzen, Corona hält uns im Würgegriff, die Rechten gewinnen an Boden, die Klimakatastrophe bedroht die ganze Welt. Und Kontext feiert. Geht’s noch?

Karikatur: Oliver Stenzel

Von Susanne Stiefel und Anna Hunger↓

Corona macht aus Plänen unerfüllbare Wünsche. Wir hätten so gerne zu einem großen Fest geladen, um mit all den Menschen, die uns unterstützen, mit uns streiten, uns kritisieren, rauschend zu feiern. Schließlich fühlt es sich manchmal an wie ein Wunder, dass es Kontext, diesen Pionier in Sachen gemeinnützigen Journalismus, nun schon seit zehn Jahren gibt. Kritisch, aufmüpfig, ohne Verlag, ohne Anzeigen, aber mit dem Engagement und der Leidenschaft so vieler.

Wir hätten gerne wie 2018 auf der Kulturinsel Feiern und Diskutieren verbunden, in einem zweiten Pressefestival über die gesellschaftliche Rolle der sogenannten Vierten Gewalt diskutiert, über die Zukunft des Journalismus, über die vielfältigen Versuche, kritische Medien einzuschüchtern und darüber, ob und wie die Welt gerechter werden könnte. Wir hätten gerne wieder KollegInnen und UnterstützerInnen, PolitikerInnen und Leserinnen, KünstlerInnen und AktivistInnen persönlich getroffen zum analogen Gedankenaustausch und – ja, auch zum Tanzen und Trinken und Musik hören und Bilder anschauen, und um gemeinsam zu basteln an einer besseren Welt.

Hätte, hätte, Pandemie

Aber spätestens als wir unsere geplante Veranstaltung „Aufrecht gegen Rechts“ zum dritten Mal absagen mussten, war uns klar: Wir feiern erst im nächsten Jahr, wenn Corona nicht mehr das ganze Land im Würgegriff hält. Elf Jahre Kontext im Jahr 2022 – das große Fest, die doppelte Schnappszahl, endlich wieder Treffen – das ist der Plan. All das nachholen, was wir uns jetzt verkneifen müssen.

Aber so ganz ohne Erinnerung an den 6. April 2011 wollen wir die Zeit auch nicht verstreichen lassen, an den Tag vor – fast genau – zehn Jahren, als die erste Kontext online ging. Eine Zeit, kurz nach dem Schwarzen Donnerstag, als DemonstrantInnen gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 mit Wasserwerfern weggespritzt worden waren, als man noch dachte, gute Argumente und Wissen könnten den Bau des sinnlosen und überteuerten Riesenprojekts verhindern oder zumindest verbessern. Die Grünen, getragen von der Fukushima-Katastrophe und der Bewegung gegen Stuttgart 21, stellten nach 58 Jahren CDU-Herrschaft erstmals in Deutschland einen Ministerpräsidenten. Baden-Württemberg wurde in dieser Zeit zum „Labor“, zum vielbeobachteten Ort eines möglichen Transfers in eine neue politische Zeit. So dachte man damals.

Damals wie heute war der politische Aufmacher: Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Frisst das schwäbische Revolutiönchen womöglich am Ende seine Kinder?“, fragte Kontext damals. Die Frage stellt sich zehn Jahre später, mit einer Neuauflage von Grünschwarz, umso dringlicher.

Kontext bleibt dran. Auch und gerade in der Jubiläumsausgabe. Ein Gedächtnis ist wichtig, um die Gegenwart zu verstehen, um die Zukunft zu planen und um den Finger in die Wunden zu legen. Auch und gerade bei den Grünen. Wie sagt die taz-Chefredakteurin Barbara Junge so treffend in ihrem Beitrag: „Der Job von Kontext hat sich noch nicht erledigt.“ Wir sind stur.

Wir, die Ameise

Aber wir bleiben auf dem Boden, schließlich sind wir Schwaben. Wir sind der David gegen Goliath, oder wie es der Kollege Norbert Thomma sagt: die Ameise unter den Big Five der Presselandschaft. Und wir freuen uns, dass Kontext nicht mehr die einzige Ameise in der Medienlandschaft ist. Einst hat uns der Schweizer Journalist Constantin Seibt zum Dreijährigen beneidet um die eigene Zeitung, heute gibt es mit der „Republik“ in der Schweiz ebenfalls ein ambitioniertes Zeitungsprojekt. Und in Deutschland sind mit „Correctiv“, „netzpolitik.org“ oder „investigate europe“ längst weitere gemeinwohlorientierte Projekte unterwegs. Es sollten mehr werden, zum Wohle der Demokratie. Deshalb engagieren wir uns mit ihnen gemeinsam und mit Unterstützung der Rudolf Augstein Stiftung und der Schöpflin-Stiftung im Forum gemeinnütziger Journalismus.

Wir haben KollegInnen und MitstreiterInnen verloren in diesen zehn Jahren. Mancher Abschied war schmerzhaft, mancher eine Erleichterung. Mal gab es Uneinigkeit wegen einer Spende der Wiedeking-Stiftung, mal ging es um journalistische Standards und um Haltung, manchmal aber auch um den journalistischen Stein der Weisen, was oftmals nicht zu unterscheiden war von der Frage aller Männerfragen: Wer hat den Längsten? Heute gibt es nicht nur eine, sondern genauso viele Frauen wie Männer in der Redaktion, und das ist gut so. Wir streiten weiter und werden das auch in Zukunft tun. Intern und mit unseren LeserInnen. „Kritik und Protest ist die Ressource für die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Demokratie“, schreibt der Kollege Heri­bert Prantl von der „Süddeutschen“. Das gilt auch für eine Zeitung. Und für einen Pionier wie Kontext ganz besonders.

Kontext-Chefredakteurin Susanne Stiefel (links) und Stellvertreterin Anna Hunger. Fotos: Joachim E. Röttgers

Wir haben Fehler gemacht, das bleibt nicht aus, wenn man jenseits ausgetrampelter Pfade unterwegs ist. Über manches lachen wir heute, manches würden wir anders machen. Aber manches eben genauso.

Und dazu gehört die Veröffentlichung der menschenverachtenden, rassistischen Chatprotokolle eines Mitarbeiters zweier AfD-Abgeordneten im Landtag. Beide sitzen nach der jüngsten Landtagswahl nicht mehr im Plenum. Doch das gerichtliche Nachspiel ist noch längst nicht beendet. Auch, wenn uns das Oberlandesgericht Karls­ruhe im einstweiligen Verfügungsverfahren recht gegeben hat: Am 6. Mai 2021 steht nun das Hauptsacheverfahren in Frankfurt an. Schriftlich, wegen Corona. Vor drei Jahren stand der Artikel „‚Sieg Heil‘ mit Smiley“ in Kontext. Und noch immer schwebt das Damoklesschwert der gerichtlichen Auseinan­der­setzung mit hohen Schadensersatzforderungen über uns. Aber wir bleiben zuversichtlich. Nicht zuletzt, weil uns so viele unterstützen und stärken. Wir lassen uns nicht einschüchtern.

Viele tolle Menschen halten Kontext am Laufen

Ganz schön üppig geworden, diese Ausgabe, wo wir doch erst im nächsten Jahr feiern wollten. Ja, stimmt, diese Jubiläumsausgabe ist gewachsen im Laufe der Planung. Und das ist symptomatisch. Denn sie zeigt schlicht, wieviele Menschen daran beteiligt sind, Kontext am Laufen zu halten. Die vielen Freien, deren Leidenschaft und Expertise in Kontext einfließen. Der ehren­amtliche Vorstand, der die Gelder verwaltet, der Redaktion den Rücken freihält. Die Fotografen, die KolumnistInnen, die treuen Leser- und UnterstützerInnen, die in unserem Gästebuch sagen, was ihnen passt und was nicht. Und nicht zuletzt die taz, die uns von Anfang an Platz freigeräumt hat am Wochenende und mit einer monatlichen Lizenz­gebühr unterstützt.

Kontext ist einseitig? Ja, und das werden wir auch in Zukunft sein. Einseitig für Völkerverständigung, für einen schonenden Umgang mit der Erde, für eine gerechte Welt, in der die Armen nicht ärmer und die Reichen nicht immer reicher werden, für Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Ist das ein Vorwurf? Dann her damit. In diesem Sinne gibt es noch viel zu tun.

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