■ Der Innenminister schließt eine neue Volkszählung aus: Gezügelte Sammelwut
„Im Jahre 2001 soll es in Deutschland wieder eine Volkszählung geben“, schocken die Agenturen. Die Meldung ist falsch. „Zu teuer und mit erheblichen Akzeptanzproblemen verbunden“, heißt es im Bonner Innenministerium. Eine neue Datensammlung werde es nicht geben, die Auswertung der Melderegister von Städten und Gemeinden reiche völlig.
Die Einschätzung ist realistisch: Seit der letzten reibungslosen Volkszählung 1970 waren derlei Vorhaben Spiegel für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Das Bundesverfassungsgericht stoppte 1983 das große Datensammeln in letzter Minute. Ein umstrittenes Volkszählungsgesetz ermöglichte 1987 ein gigantisches Datenprojekt. 600.000 Zähler klingelten an den Türen von 25 Millionen Haushalten und stellten 33 scheinbar banale Fragen. Mit welchem Verkehrsmittel fahren Sie zur Arbeit? Welchen Schulabschluß haben Sie? Das alles geht weder den Mann mit dem Fragebogen noch den Staat etwas an, meinten erstaunlich viele Bürger. Zwei Drittel der Bevölkerung standen der Volksaushorchung kritisch gegenüber. Die GegnerInnen befürchteten „illegalen Datenverbund“, vorbereitete Rasterfahndungen und einen Big-Brother-Staat.
Gegen die öffentliche Meinung setzte die Bundesregierung eine riesige PR-Kampagne, sie drohte Auskunftsunwilligen drakonische Geldstrafen an. Der „weiche Boykott“ – Falschangaben und geknickte Bögen – hat wohl die Validität der damals erhobenen Daten eingeschränkt. Nutzen ließen sich die riesigen Datenberge anschließend kaum. Überflüssig waren sie sowieso: Die Basisdaten erfassen die zuständigen Ämter, Hochrechnungen informieren über sozialen Wandel.
Im Vordergrung des Mikrozensus stand: Die prinzipielle Verfügbarkeit privatester Angaben für den Staat sollte demonstriert werden. Deshalb bestand die Bundesregierung 1987 auf der Volkszählung. Deshalb verbuchte sie die teure Durchsetzung trotz des erheblichen politischen Schadens als Sieg.
Ein solcher Sieg scheint Manfred Kanther 2001 nicht wiederholbar. Undurchführbar ist heute, was vor zehn Jahren noch Gesetzesänderung und Millionenaufwand wert war. Manfred Kanther vermutet, daß es eine starke Minderheit in dieser Gesellschaft gibt, die den Zugriff des Staates auf ihre Privatsphäre prinzipiell verweigert. Es wird keine neue Volkszählung geben – und das ist gut so. Robin Alexander
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen