: Der Herr der Lichterketten
Beleuchtungstechniker Andreas Boehlke hat über 130 Kilometer festliche Girlanden in der Stadt aufgehängt – und will noch mehr. Wir versuchten ihn zu stoppen – vergeblich
taz: Herr Boehlke, bitte stoppen Sie diesen Wahnsinn.
Andreas Boehlke: Was meinen Sie? Unsere Lichterketten erzeugen doch eine wunderbare Stimmung. Sie machen jeden simplen Einkaufsgang zu einem weihnachtlichen Erlebnis.
Auf dem Ku’damm haben Sie sich richtig ausgetobt.
Absichtlich haben wir in diesem Jahr schwächere Lämpchen genommen. Sieben statt fünfzehn Watt. Das spart erstens Strom, zweitens erreichen wir so eine sehr warme und weiche Lichtfarbe.
Aber diese winkenden Weihnachtsmänner – hätten die wirklich sein müssen?
Bewegte Objekte lieben besonders die Kinder. Ein Freund erzählte mir neulich: „Mensch, im letzten Jahr konnte sich mein Sohn am Nussknacker gar nicht satt sehen.“ In den Bäumen blinken jeweils 300 Lichtpunkte, auf den Mittelinseln stehen Lichtbäume. Die komplettieren das ausgewogene Gesamtbild. Natürlich braucht jede Straße eine eigene Komposition ...
... zum Beispiel die Friedrichstraße.
Richtig. Da haben wir durch eine exakte Statikberechnung eine Überspannung hinbekommen, eine Art Sternenhimmel. Die Anordnung der Elemente könnte aber noch dichter sein. Wer dort durchfährt, muss einen tunnelartigen Eindruck bekommen. Ein Tunnel voller Licht. Das wäre was für die kommenden Jahre – man müsste über Ankerösen in den Hausfassaden nachdenken, um die Laternen nicht überzubelasten.
Reden wir über Fakten. Wieviel Glitzerkram haben sie in der Stadt verteilt?
In Berlin hängen von unserer Firma etwa 130 Kilometer Lichterketten. 170.000 Glühbirnen mit sieben Watt, dazu rund 40.000 15-Watt-Birnen. Nicht zu vergessen die 14 Kilometer Lichtschläuche, 3.000 Weihnachtskugeln, hunderte von Schleifen ...
Eine elektrische Stimmungsoffensive.
Wir bewegen da schon Massen. Es gibt ja noch die Lichtnetze. Allein am neuen Kranzlereck hängen um die 150.000 Lichter in den Bäumen.
Was empfehlen Sie Menschen, die Weihnachten nicht mögen? Zu Hause bleiben?
Sie könnten zum Beispiel nach Spanien fliegen. Vor zwei Jahren war ich in Gran Canaria, die arbeiten sehr wenig mit Licht. Da kriegen Sie von Weihnachten nicht viel mit.
Schön und gut, aber direkt vor meinem Fenster blinkt eine Kette. Wie kann ich das verdammte Ding sabotieren?
Sie können den Stecker ziehen. Dazu müssten Sie sich allerdings eine Leiter besorgen. Pro Baum gibt es eine Stromzuleitung mit einem Dreier-Abgang, die die drei Ketten versorgen. Wenn Sie die Richtigen rausziehen, bleibt Ihr Baum dunkel.
Reicht es nicht, ein einzelnes Lämpchen rauszudrehen?
Dann leuchten die anderen weiter, weil sie parallel geschaltet sind. Laienhaft ausgedrückt: Es gibt ein Kabel, welches die Unterbrechung überbrücken würde.
Hm. Sie haben die halbe Stadt erleuchtet – was kann Sie eigentlich noch reizen?
Auf dem Weihnachtsmarkt am Alex würde ich – um im Bild zu bleiben – gerne noch ein paar Highlights setzen. Mit dem Fernsehturm könnte man auch tolle Sachen machen, wenn man Sponsoren fände.
Sie machen uns Angst ...
In Wolfsburg zum Beispiel hat eine befreundete Firma vier Kerzenflammen, jeweils 15 Meter hoch, auf Schornsteine neben der Autostadt gesetzt. Und an jedem Adventssonntag zünden sie eine an.
Was müsste die taz Ihnen zahlen, damit Sie in Berlin alles Weihnachtliche wieder abhängen?
Das geht leider nicht. Ich bin nur die ausführende Kraft. Sie müssten sich an City West wenden und sagen: Ich gebe euch eine halbe Million, und dann nehmt ihr es runter. Einziger Trost für Sie: Anfang Januar beginnen wir mit dem Abbau der Illumination, weil im Februar die Bäume austreiben.
INTERVIEW: ULRICH SCHULTE
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