Der Hausbesuch: Für immer Cowboy
Auf einer kleinen Ranch in einem brandenburgischen Dorf lebt Peter Lüttich. In seinem früheren Leben war er Stuntmen, einer der ersten in der DDR.
Schon in seiner Jugend war Peter Lüttich ein glühender Wildwest-Fan. Seine Leidenschaft wurde zum „Familienzirkus“, wie er sagt.
Draußen: Streganz in Brandenburg. Ein 200-Einwohner-Ort. Entlang der Dorfstraße reiht sich Hof an Hof. Zwei ehrliche Menschen wohnen hier, sonst nur Banditen – sagt einer, dessen Haus nicht so recht in die Gegend zu passen scheint. Dort, wo einst das Streganzer Feuerwehrhaus stand, befindet sich heute Peter Lüttichs Blockhaus, umringt von Autos, die aus US-amerikanischen Filmen der 70er Jahre stammen könnten. An der Fassade hängt ein Kanu, an einem Mast die Fahne von Texas. Das Blockhaus ist aus Kiefernstämmen zusammengesteckt wie ein Puzzle. Manche der Bäume seien 120 Jahre alt gewesen, sagt der Bewohner.
Drinnen: Über einen Kuhfellteppich schreitet der Hausherr zur Terrassentür und öffnet die Fliegengitter. Mitten im Zimmer windet sich eine entrindete Kiefer bis an die Decke. Ein massiver Flachbildfernseher pendelt an einer Eisenkette vom zweiten Stock herunter. Ein Hometrainer steht im Raum. Geweihe, Rinderhörner und ein echtes Bisonfell schmücken die Wände.
Der stolze Exot: Unter dem Bisonfell habe er bei minus 20 Grad schon mal geschlafen: „Das Fell nur darüber, wie ein Sandwich“, erzählt Lüttich, auf einem Korbstuhl vor seinem Haus thronend, ganz stolzes Familienoberhaupt, ein Stuntman im wohlverdienten Ruhestand – der Exot im Dorf.
Wild West: “Wir waren böse dran“, erinnert sich Lüttich, und sein weißer Schnauzer wippt, als er lacht. Die auffälligen Cowboy-Klamotten, damals in der Brandenburger Provinz: Die Nachbarn verstanden das nicht. „Der Herr Lüttich“ – er spricht von sich in der dritten Person – „geht nicht arbeiten und baut und baut“. Aber Streganz sei ein Volltreffer, genau der richtige Ort für sein Hobby, das mit der Zeit „ein bisschen ausgeartet“ sei: „Es ist eine Macke, das kann man schon sagen“. Schon als Kind habe er viel im Wald herumgetobt und Cowboy gespielt. Die Sehnsucht nach einer fernen Welt: Vielleicht habe sie etwas mit den Grenzen zu tun gehabt, mit denen man im Osten aufgewachsen sei.
Die Jugend: Die Großeltern und Eltern waren Landwirte, die nicht auf Kühe, sondern auf Pferde setzten, um ihre Äcker zu bewirtschaften. Gemeinsam mit seinem Cousin probiert er das Reiten aus. „Da habe ich gleich einen Narren dran gefressen“, sagt Lüttich. „Von der Pike auf“ habe er alle Reittricks dann in einem Verein gelernt.
Zum Film: Eigentlich arbeitete er als Wasserwerksfacharbeiter. Ein Kumpel hat Kontakte und schleppte ihn mit zum Film. Lüttich machte einen Deal mit der Sekretärin im Betrieb: Die Urlaubszettel ließ sie diskret verschwinden, die häufigen freien Tage verbrachte der junge Mann fortan am Filmset. Als das rauskam, hatte er längst schon seinen „großen Durchbruch“ geschafft. 1982 war das, sagt Lüttich. „Nein, du musst viel älter gewesen sein“, korrigiert ihn seine Tochter und schenkt ihm Kaffee in ein Cocktailglas ein. Diana, sonnengebräunt, blond, Karohemd, ist 47 und wohnt nur ein paar Häuser weiter. Wenn sie über die Wiese läuft, klackern die Sporen an ihren Cowboystiefeln.
Die Tochter: Sie war das Nesthäkchen, sein jüngstes Kind. Einmal war ein Doku-Regisseur zu Besuch, der eigentlich einen Film über Haflinger-Pferde drehen wollte, erzählt Lüttich. Da beobachtete der Regisseur, wie das kleine Mädchen immer wieder auf ein Pferd kletterte, herunterfiel, plärrte, und wieder aufstieg. „Na dit is doch ein guter Vorspann“, habe der Regisseur gesagt, und so bekam Diana ihre erste Filmrolle, mit vier. Auch sie trat dem Reitverein bei. „Weil du keine Zeit für mich hattest“, sagt die erwachsene Tochter zum Vater, verschränkt die Arme, lächelt milde und lehnt sich zurück. Ihr Hund hat sich an ihren Füßen unter dem Tisch eingerollt. Damals sei ihr Vater immer viel beschäftigt gewesen.
Die Karriere: Eine der ersten großen Stuntshows in der DDR habe er betrieben, mit allen Tricks: Stürze mit und vom Pferd, gespielte Schlägereien, Hechtsprünge aus Fenstern. Die Wohnzimmerwände sind mit Luftgewehren und allerlei Abzeichen dekoriert. Etwas größenwahnsinnig seien sie damals schon gewesen, er und seine Stuntkollegen, es habe Aufträge „ohne Ende“ gegeben. Nach der Wende drehte er nicht mehr im Freien, nur noch im Studio. Da war „der Herr Lüttich kein armer Ossi“, sagt er. Tochter Diana schenkt einen Schwaps Milch in seinen Kaffee, im Hintergrund plätschert ein Teichbrunnen.
Ein Familienbetrieb: Kurz vor der Wende wurde Diana eingeschult. Später machte sie eine Ausbildung als Tierarzthelferin. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von ihr auf einem Pferd, mit einem Gewehr in der Hand. Sie trägt die viel zu große Uniform ihres Bruders, hat ihre Augen zum Zielen zusammengekniffen. 17 war sie da. Mittlerweile hat sie die Pferdezucht ihres Vaters übernommen, ungezählte Tiere habe sie schon für Stuntaufnahmen in verschiedenen Filmen ausgebildet, zuletzt für „Bibi und Tina“. „Das ist wie beim Zirkus mit uns“, sagt Peter Lüttich. Nur seine erste Tochter mache „etwas Vornehmes“, sie sei Lehrerin. Sein Sohn, den er einst in die Filmstudios von Babelsberg mitgeschleppt hat, verdient sein Geld mit Autostunts. „Er hat es noch wesentlich weiter gebracht als ich.“
Erinnerungsstücke: In der Küche, die genauso gut eine Bar sein könnte, hängt eine Schwarzweißfotografie eines Reiters mit Fellhut und Sonnenbrille. Das Pferd sei tot. „Der da drauf sitzt, lebt aber noch, der bin ich“, sagt Lüttich und lässt seinen Bart wieder wippen, lachend. Über dem Tresen stehen Obstbrände, Rum- und Whiskyflaschen. „Fusel trinke ich kaum noch“, erklärt der weißhaarige Mann, die Hände in die Hüften gestemmt, „nur wenn die Verrückten kommen“. Durch zwei Salontüren geht es in sein Arbeitszimmer. Auf einem Bock liegt ein Ledersattel. Daneben steht ein Schreibtisch, obendrauf eine Matte, auf der ein Tiger zu sehen ist, der sein Maul aufreißt. Und hinter Plexiglas wieder: Pferdefiguren.
Ruhestand: Bilder zeigen, was er alles geschafft hat: Stunt-Koordinator bei der deutschen Oper war er, eine eigene Show hatte er in Babelsberg laufen, getourt ist er durch ganz Deutschland. Seit zehn Jahren aber sei „der Lüttich“ im Ruhestand, sagt „der Lüttich“. Acht Jahre sei es nun her, dass er das letzte Mal über einen drei Meter langen Tisch geflogen sei. Langsam spüre er, dass er nicht mehr ganz so leistungsfähig sei wie früher, nicht unsterblich, öfters müsse er sich jetzt mal hinsetzen. „Man merkt von Jahr zu Jahr, dass es schneller geht.“
Umsatteln: Statt durch die Luft zu fliegen, repariert Peter Lüttich nun öfter Sattel oder restauriert Kutschen. Das Schweißen möchte er lernen. In seiner Werkstatt steht ein E-Roller, den er sich zu einer Art Harley umgebaut hat. Um den Teich im Garten führt eine Modelleisenbahn, hier hat er die Filmkulisse von „Spiel mir das Lied vom Tod“ nachgebaut, eine Hollywood-Schaukel steht davor. Es dauere noch ein bisschen, bis das Miniatur-Filmset ganz fertig sei, sagt Lüttich auf dem Weg zur Pferdekoppel. Der Weg führt vorbei an Apfelbäumen. Ein Mofa knattert die Dorfstraße entlang.
Verzicht: Auf die Frage, worauf sie verzichten könnten, kann Lüttich nicht gleich antworten. Er überlegt. „Die vier, fünf Autos?“ Auch so eine Macke. „Aber alles zu Fuß gehen, nee, dit geht nich.“ Auf den Fernseher? „Icke, ja, du nicht.“ Die Tochter lacht. Sie könne bei ihren Touren nicht auf ein Hotel mit Frühstück verzichten, sagt Diana. Ihr Vater aber könnte immer noch unter einer Plane schlafen, wenn es drauf ankäme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin