Der Hausbesuch: Wenn nichts ist, dann macht er was
Anton Bahtinov lebt in Hamburg und veranstaltet mit vier Freunden ein Festival in der süddeutschen Provinz. Ein Schwingen zwischen Distanz und Nähe.
Die Veranstaltung, sagt er, habe nur deswegen Erfolg, weil einer weggegangen und einer dageblieben ist. Anton Bahtinov, 27, ist der, der gegangen ist. Zurück kommt er oft, und vielleicht irgendwann wieder ganz. Mittelfristig („wenn zwei Kinder dann mal auf der Welt sind“), will er wieder an einen Ort, „wo das Haus größer, das Gras grüner“ ist.
Draußen: Direkt an den Landungsbrücken in Hamburg schieben sich Touristen und Grundschüler in Warnwesten an der Elbe entlang, auf Fähren hinauf, von Fähren herunter; in Außenbereichen vor Restaurants sitzen Leute mit Espresso und Zigaretten. Zwischen zwei solcher Restaurants im „Portugiesen-Viertel“ liegt der Eingang zum Treppenhaus, das zu Anton Bahtinovs Wohnung führt.
Drinnen: Im vierten Stock, Südseite, lebt der 27-Jährige in einer Wohngemeinschaft mit einer Frau, die er beim Surfen auf Fuerteventura kennengelernt hat. Es ist ein heißer Tag. Die leichten Vorhänge sind zugezogen, Musik von Niklas Ibach, einem Stuttgarter Produzenten und DJ, tönt durchs Zimmer. An der Wand eine lesende nackte Frau, gemalt von einer Freundin aus der Heimat. 45 Autominuten von Stuttgart entfernt liegt der Ort, den Anton Bahtinov sein „Zuhause“ nennt: Heubach, eine kleine Stadt im Ostalbkreis. Aber Hamburg ist kurz davor, eine „zweite Heimat“ zu sein, hier will er sich seinen ersten Job suchen.
Das macht er: Zwei Tage vorher hat er die Note seiner Masterarbeit, mehr aus Zufall, im Uniportal gesehen. Ein „Sehr gut“ ohne Wenn und Aber („Ich war selbst überrascht“), Marketing hat er studiert. Darauf hat er am Abend zuvor an der Alster angestoßen. Jetzt bügelt er einen Wassertropfen auf ein weißes T-Shirt auf, das Logo des „Wasser mit Geschmack“-Festivals, das er 2012 gemeinsam mit vier Freunden gegründet hat. Der Tropfen fällt wenige Minuten später vom Shirt ab, das Festival selbst hat Bestand. Zum siebten Mal wird es dieses Jahr in Heubach stattgefunden haben, viertausend verkaufte Tickets waren das Ziel. Im ersten Jahr waren es wenig mehr als hundert Leute auf einer Obstwiese.
Die Idee: Es war dunkel, kalt und regnerisch an einem Tag im Herbst 2012. Die fünf Freunde saßen am Esstisch in Antons Elternhaus, sie holten mehr und mehr Wein der Eltern aus dem Keller, im Hintergrund lief ein Elektro-Set. Da hatte einer die Idee, das, was sie da hörten, nach Heubach, in ihre Heimat, zu bringen („keine Schnapsidee, sondern eine Rotweinidee“). Bahtinov sagt: „Hätte ich gewusst, was ein solches Festival bedeutet, hätte ich mir das damals nicht zugetraut.“ Zu der Zeit hatte er eben seinen Bachelor in Pforzheim begonnen.
Musik aus der Dose: Elektronische Musik den „Leuten auf dem Land“ nahezubringen, war das Warum. Ein „Projekt von und für Freunde“ bis heute das Darum. „Davor war das Leuten in großen Städten vorbehalten“, sagt er. „Berlin, Hamburg, Amsterdam waren die Orte, wo Elektro gespielt wurde, aber ganz sicher nicht in Heubach.“ Das war der Ansporn für ihn, gerade in den ersten Jahren. „Wir wollten was anderes machen, deshalb war uns klar, dass es Musik aus der Dose sein muss“, erklärt er. Veranstaltungen mit Livebands kannte man auch in der ländlichen Region – ein Elektro-Festival damals, vor sieben Jahren, noch nicht. Selbst in seinem Freundeskreis habe zu der Zeit fast niemand elektronische Musik gehört.
Schätzen und pulsieren: Weggehen, Inspiriert-Werden, Zurückbringen, Zurückgeben, das ist Anton Bahtinov. Das ganze Projekt, ihr Festival, ist eigentlich ein ständiges Schwingen zwischen Distanz und Nähe. Würde einer der Freunde („Michi, der älteste der Gründer“), nicht vor Ort in Heubach wohnen, sei alles nicht möglich. Er trifft sich mit dem Bürgermeister und präsentiert dem Gemeinderat Ideen, ist Ansprechpartner vor Ort.
„Es ist sehr wichtig, die Stadt hinter uns zu wissen“, erklärt Bahtinov. Im Ostalbkreis gehe das nur dadurch, dass man sich kennt („Man kennt und schätzt sich“). Wäre er selbst nicht weggezogen, sei das alles ebenso wenig möglich. „Dass ich aus Heubach weg bin, hat mir erst Türen in diese Szene eröffnet“, sagt Bahtinov, der entscheidet, welche Acts für das Festival gebucht werden. „Da muss jemand sein, der weiß, was in den großen Städten pulsiert, wenn du in Heubach wohnst, bekommst du das nicht unbedingt mit.“
Fünf Freunde: Gemeinsam an einem Tisch sitzen sie, aber meist nicht physisch. Sie organisieren alles, das gesamte Jahr lang, über Videotelefonie, Textnachrichten, Online-Organisationsplattformen. In den ganzen Jahren habe er viel gelernt. Er neige oft dazu, Dinge allein machen zu wollen. „Aber niemand wirft einem was vor, wenn man um Unterstützung bittet, das habe ich lernen müssen.“ Die Veranstaltung auf die Beine zu stellen, funktioniere nur, weil sie Freunde sind. Denn es brauche Vertrauen. „Gleichzeitig ist dann aber auch das Festival der Grund, warum wir beste Freunde sind“, überlegt Bahtinov. „Denn dadurch hören wir jeden Tag im Jahr voneinander.“
Besser im Verein: In Heubach haben die fünf gemeinsam Handball gespielt. Das Vereinsleben sei wichtig für Jugendliche im ländlichen Raum, findet Bahtinov. Und das sei ein großer Unterschied zum Leben in der Großstadt. Handball in Heubach sei für die Amateur-Spieler wie Profisport gewesen. „Die Halle war immer voll, immer voller Drive, die Stadt stand hinter uns Spielern.“ In seiner Mannschaft in Hamburg seien sie froh, „wenn mal die Freundin eines Spielers mitfährt zu einem Auswärtsspiel“.
Das denkt er: Gerade im ländlichen Raum müsse es Raum für junge Leute geben, „zu machen, zu bewegen, zu gestalten“, sagt Bahtinov. Sie haben einen Kunst- und Kulturverein in Heubach gegründet, der Workshops anbietet und die Deko für das Festival bastelt. „Jeder ist, wer er ist, und tut, was er kann“, das sollte die Devise sein, findet er. Immer. „Und im Ländlichen ist dann sogar mehr Platz dafür, solche Ideen umzusetzen“, sagt er. In Heubach sei das vor allem auch dem jungen Bürgermeister zu verdanken, der ihnen und auch anderen auf Augenhöhe begegne und an ihre Ideen glaube. Und das sei nicht nur für den Ort selbst wichtig: „Wenn es diese Möglichkeiten gibt, gehen da am Ende andere Leute raus, sie wachsen zu anderen Persönlichkeiten heran.“
Kein großer Bruch: Seine Eltern haben sich getrennt, als er zwölf Jahre alt war. Aber „das ging easy von der Bühne, das war für mich kein großer Bruch“. Er hat einen Bruder, zwei Stiefschwestern, zwei Halbgeschwister. Als es auf dem ersten Festival einen Engpass gab, habe seine Mutter Alkohol im Supermarkt nachgekauft; die Schwiegermutter Schinken-Muffins gebacken.
Der Macher: „Ich bin zufrieden, mit dem was war“, sagt er, „ich hatte das Privileg, einen Masterabschluss machen zu dürfen, ich darf mit meinen besten Freunden ein Festival auf die Beine stellen.“ Eigentlich hatte er Medienwirtschaft an einer anderen Uni studieren wollen, dann wurde er nicht angenommen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Am Ende sei sein Bachelorstudium in Pforzheim der „Glücksgriff schlechthin“ gewesen. Pforzheim habe einen „schlechten Ruf, ein schlechtes Image, wenig Angebot“, gebe Studierenden aber viele Freiräume, sich zu entfalten, findet er. „Es gab keine Partys, wir mussten unsere eigenen machen.“ Seinen Master hat er zuerst in Dänemark angefangen, aber die Inhalte dort waren ihm zu theoretisch. Er sei mehr praktisch veranlagt – „Ich bin mehr der Hands-on-Typ“, sagt Bahtinov dazu. Deshalb ist er nach Hamburg gewechselt.
Lebenssinn: „Es kommt, wie es kommt“, sagt er, mit einem Grundvertrauen ins Leben. Mit welchen Inhalten, Tätigkeiten er sein Leben füllen will, hat er angelehnt an ein japanisches Konzept (Ikigai, „Lebenssinn“): Er will etwas tun, worin er gut ist, was ihm Spaß macht, womit er Geld verdient („denn die Miete ist nicht günstig“) und etwas, was andere Leute glücklich macht. „Das Festival ist da eigentlich schon ziemlich nah dran, nur das Monetäre ist nicht ganz gegeben“, sagt er. Am Ende habe jeder der Organisatoren ein „kleines Taschengeld davon, mit dem man kurz in den Urlaub kann“. Aber auf den Weg, wo es dann ums Geld geht, wolle er das Festival auch nicht bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen