berliner szenen: Der Hauch eines Lächelns
Da ich ein paar Tage Ferien machen will, schlängle ich mein Auto durch Berlin und kurz vor Ankunft durchs aus Berliner Sicht schier unpassierbare Dickicht eines Privatwegs. Am Ziel, einem kleinen Gehöft, begrüßt mich vor der Einfahrt zum Parkplatz absurderweise ein Bus, der so groß ist wie ein flügelloser Airliner. Leider unbesetzt. Doch in Nullkommanix erscheint die Fahrerin. Mein Fensterheber ist defekt, auf ihre sparsame Geste hin öffne ich meine Tür. „Ick schiebe zurück“, sagt sie knapp. „Sie fahren rechts in die Bucht. Dann ick wieder vor – ick lasse Sie raus – und dann könn’Se uffn Parkpatz.“
Fix erklettert sie den Fahrerthron. Als sie den Bus anlässt, betrachte ich durch unser beider Frontscheiben ihr Gesicht. Blassfeste, unbewegliche Züge, betonierte Fahrbahnen regelrecht. Ich lese da vom Straßenstress mit Busladungen voller Hitzköpfe, öden Tankstellenstullen, hölzernen Schlüsselanhängern trostloser Rasthaustoiletten, vielleicht noch anderen Lebensunbilden.
Sie schiebt zurück, neues Wort für mich – langsam, links und rechts jähe Böschung. Ich hebe zum Dank meinen Arm, da huscht ihr ein Lächeln übers Gesicht, eidechsenschnell, und sei’s auch nur versehentlich. Zum Glück. Denn jetzt erahne ich, dass es in ihrer Welt doch noch ein, zwei für sie spürbare Lichtblicke gibt. Dinge, die sie vom rauen Pflaster zu sich selbst zurücklocken, ein Fünkchen Leben aus ihr herauskitzeln nach den zahllosen, sie über die Jahre zweifellos ausmergelnden Staus, Pflichten, Abreibungen. Vielleicht ein blühendes Blaukissen am Balkon, ein Nasenstüber ihres Stubentigers, vielleicht die nicht in Worten zu fassende Wonne, in ein frisch bezogenes Bett zu sinken.
Ihr Schiebe-Plan klappt wie am Schnürchen. Tags darauf sehe ich, wie sie ihre Schülerschar fast lautlos Richtung Hauptstadt zurückrollt. Felix Primus
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