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Der Handel mit Menschen boomt * Polizei und Bundesgrenzschutz stehen den Menschenhändlern hilflos gegenüberDer Handel mit Menschen boomt

■ Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa haben Menschenhändler und Schlepperringe Hochkonjunk

Der Handel mit Menschen boomt Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa haben Menschenhändler und Schlepperringe Hochkonjunktur. Die rechtliche Handhabe ist der neuen Situation völlig unangemessen. Menschenhändler können lediglich wegen Verstosses gegen Schwarzarbeitsbestimmungen belangt werden, und das BKA verfolgt lediglich Fälle, in denen Ausländerinnen zur Prostitution gezwungen werden. Alles andere ist Sache des Bundesgrenzschutzes.

BKA-Mann Peter Falk redet sich in Rage: „Wegen Menschenhandels wird doch in Deutschland kaum einer verurteilt, auch wenn die Polizei eine ganze Bande ausgehoben hat.“ Der Bundespolizist vom Referat Menschenhandel zeigt auf seinen Aktenberg — doch im Knast sitze kaum einer der professionellen Menschenhändler, die in den vergangenen Jahren vor allem Frauen aus Südostasien und Osteuropa in die Bundesrepublik verschleppt und zur Prostitution gezwungen haben. Nach dem Strafgesetzbuch (§ 181) ist nur der ein Menschenhändler, der andere mit List oder Gewalt in die BRD bringt und dort unter Ausnutzung der Hilflosigkeit sexuell ausbeutet. Nur dafür ist Falks Abteilung im BKA zuständig.

Die illegale Einschleusung ausländischer ArbeitnehmerInnen sei zwar „im Volksmund auch eine Art Menschenhandel“, doch das Strafgesetzbuch lasse da keinen Interpretationsspielraum. Selbst so spektakuläre Fälle wie die knapp 100 Sikhs, die in Niedersachsen im verschlossenen Container verschifft werden sollten, geht das BKA nichts an. Falk: „Da muß sich der Bundesgrenzschutz kümmern.“

Für den abgebrühten Oberkommissar, der in der BKA-Dependance im Wiesbadener Stadtteil Biebrich mit einer Handvoll Kollegen die „Vertriebswege“ der Menschenhändlerbanden nachzeichnet und an „Fallstatistiken“ arbeitet, geraten die Staatsanwaltschaften und die Gerichte vor allem deshalb in Beweisnot, weil aufgrund der Ausländergesetzgebung — nach der Zerschlagung eines Händlerrings durch die Polizei — die Opfer sofort abgeschoben werden und als Zeuginnen nicht mehr zur Verfügung stehen. Falk: „In den meisten Fällen werden die nach Deutschland verschleppten Frauen, die dann hier illegal der Prostitution nachgehen müssen, nach einem Verhör auf der Polizeiwache umgehend in ein Flugzeug in Richtung Heimat gesetzt — und die Gerichte haben das Nachsehen.“ Falls die Ausländerbehörden in Ausnahmefällen auf eine Abschiebung verzichteten, würden die Opfer der organisierten Schlepperbanden — die vielfach direkt mit Bordellbesitzern zusammenarbeiten — von den Zuhältern unter massiven Druck gesetzt: „Da gehen dann alle Schotten zu.“ (Falk)

Der Menschenhandel ist eine Wachstumsbranche. Seit im Osten die Grenzen offen sind, seien die „Thai-Importe“ (BKA) zwar zurückgegangen, doch der Markt werde heute von Frauen aus Polen und der CSFR „überschwemmt“ (BKA). Falks Kollege Jürgen Ammer war deshalb in Prag, um Kontakte mit den tschechoslowakischen Strafverfolgungsbehörden aufzubauen. Ammer: „Die Kollegen dort haben nach dem Umbruch allerdings andere Probleme.“ Vielfach würden die von Schleppern illegal in die Bundesrepublik verfrachteten und an Bordelle vor allem in Frankfurt und Hamburg verschacherten Frauen aus Selbstschutzgründen behaupten, aus wirtschaftlicher Not freiwillig die CSFR verlassen zu haben. In aller Regel, so Ammer, würden die jungen Frauen von den professionellen Anwerbern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Bundesrepublik gelockt. Vielfach seien auch unseriöse Heiratsvermittlungsinstitute die „Importeure“. Zur Tarnung würden die Frauen dann tatsächlich anfangs an angebliche „Hochzeiter“ weitergereicht, die die „lebende Ware“ ausprobieren dürften — wie bei Warengeschäften mit Rückgaberecht bei Nichtgefallen. Die dann mittellos an den „Importeur“ zurückgegebenen Opfer würden danach zur Prostitution gezwungen, oft mit dem Argument, daß sie ihre Schulden beim Vermittler abzuarbeiten hätten. „Wenn sich die Frauen weigern, werden sie von Zuhältern in die Mangel genommen“, sagt Ammer: „Wir hatten einen Fall, da wurde eine CSFR-Bürgerin in einer ostdeutschen Stadt fast totgeschlagen und dann nackt an der Grenze im Wald ausgesetzt.“ Den „Schlepperbanden sei kaum das Handwerk zu legen, denn „wir wollen doch nicht wieder rigorose Grenzkontrollen im Osten einführen“. Wichtig seien Aufklärungskampagnen in Polen und der CSFR, in Ungarn und auch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der „Frischfleischbedarf“ in den deutschen Bordellen, so Kollege Falk im zynischen Rambojargon, wachse stetig.

Doch der eigentliche Wachtumsmarkt ist der Menschenhandel, der nach deutschem Recht gar kein Menschenhandel ist. Illegale Arbeitsverhältnisse deutscher Groß- und Kleinunternehmer mit den zu Dumpinglöhnen arbeitenden Polen und Tschechoslowaken häufen sich — und sie werden von vielen Arbeitgebern noch immer unter der Rubrik „Kavaliersdelikte“ gehandelt. Dabei sind es längst nicht mehr nur „Touristen“, die sich in den rheinischen Weinbergen oder auf den Baustellen in Ost- und Westdeutschland aus wirtschaftlicher Not für Sklavengehälter weit unter den Tariflöhnen verdingen, wie der Sprecher des zuständigen Grenzschutzes bei der Direktion Koblenz, Krause, auf Nachfrage erklärt. Gezielt sorgen inzwischen Schlepperorganisationen aus dem In- und Ausland dafür, daß illegale ArbeitnehmerInnen in ganz Westeuropa arbeiten können. Zwar werden die Schlepper nicht als Menschenhändler verfolgt, dennoch unterlaufen Täter und Opfer ein ganzes Bündel gesetzlicher Bestimmungen. Das reicht von Verstößen gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz über Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung bis hin zu Verstößen gegen das Arbeitsförderungsgesetz und das Schwarzarbeitsgesetz. Und vielfach ist dabei auch Gewalt im Spiel.

So berichtete etwa die Organisation „agisra“ in Frankfurt von philippinischen Mädchen, die über Schlepper als „Haushaltshilfen“ an US- amerikanische Familien in Europa verdealt werden. Die mittellosen und sprachunkundigen Mädchen seien dann in der Fremde ihren „Besitzern“ schutzlos ausgeliefert und würden vielfach wie Sklaven behandelt. Geht eine amerikanische Familie nach Hause zurück, hat das oft fatale Folgen für die betroffenen Frauen: „Die setzen ihre gedemütigten Hausmädchen vor dem Abmarsch dann aus wie andere vor dem Urlaub ihre Hunde“, berichtet Christa Weber von agisra.

Der Menschenhandel mit ausländischen Arbeitskräften, die speziell für den deutschen Markt angeworben und von Schlepperorganisationen illegal eingeschleust werden, firmiert beim Bundesgrenzschutz unter dem Arbeitstitel „grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung“. Im vergangenen Jahr wurden den Grenzschützern sogenannte Verleihfirmen in den Niederlanden, in Frankreich, in Polen und der CSFR bekannt. Von diesen Firmen werden bundesweit Arbeitskräfte aus Ost- und Südeuropa „vermittelt“ — an Baufirmen, für Arbeiten in der Land- und Forstwirtschaft und für das Kfz- Gewerbe. Als Eldorado für Verleihfirmen gelten die Niederlande. „Gut und straff organisiert“ sei dort die Verleihszene. Der Kontakt mit deutschen Firmen und die Aufsicht über die ausländischen Arbeitnehmer werden von sogenannten Vertretern im Abnehmerland ausgeübt. Nur in ganz seltenen Fällen würden noch „Geschäftsunterlagen“ bei Grenzkontrollen aufgefunden, denn längst seien die Verleiher auf unauffällige Kuriere, vielfach Frauen mit Kindern, umgestiegen. Mit welch enormen Gewinnspannen deutsche Firmen kalkulieren können, die illegal ausländische Arbeitnehmer beschäftigen, belegt der Fall einer vom Grenzschutz enttarnten albanischen Verleihfirma mit Staatsbeteiligung. Die hatte sich an deutsche Vermittler gewandt und albanische Arbeitskräfte für einen Tagessatz von 10 DM angeboten, die direkt an den albanischen Staat hätten überwiesen werden sollen. Den Arbeitskräften selbst müsse kein Lohn gezahlt, sondern nur Unterkunft und Verpflegung geboten werden.

Grenzschutzmann Krause will dennoch nicht von Menschenhandel sprechen — auch nicht im Fall der indischen Sikhs, die von einem Vermittler in einen Container eingeschlossen wurden und nach Kanada verschifft werden sollten. Es werde doch in der Regel keiner gezwungen, sich für teures Geld von professionellen Schleppern in angebliche Arbeiterparadiese verbringen zu lassen, meint Krause. Im BKA würde man es dagegen begrüßen, wenn der alte Menschenhandelsparagraph im Strafgesetzbuch im Sinne einer Erweiterung reformiert würde — mit der Übernahme der entsprechenden Freiheitsstrafen. Auch ohne Verstoß gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht werde doch versucht, aus der Notlage von Menschen Kapital zu schlagen. Entsprechende Gespräche mit Bonn, so BKA-Mann Falk, seien „am laufen“. Bis zu einer solchen Reform sammeln die Bundespolizisten weiter Daten und eruieren Vertriebswege im Milieu — und die Sittenpolizei macht Jagd auf ausländische Prostituierte, die dann nach deutschem Ausländerrecht umgehend abgeschoben werden. Die eigentlichen Hintermänner werden — Analogie zum Drogenhandel — nur selten gefaßt. Der Grenzschutz, so Krause abschließend, habe bislang ohnehin nur die „Spitze des Eisberges“ freigelegt.

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