Der Hamburger SV und seine Trainer: Das Mantra von der Kontinuität
Beim HSV wünscht man sich sehnlichst einen Trainer, der länger als ein Jahr bleibt. Aus dem englischen Team-Manager-Modell mit entsprechender Machtfülle erwächst auch nicht zwangsläufig ein Dauerengagement.
Dietmar Beiersdorfer, der sportliche Leiter, murmelt es. Bernd Hoffmann, der Vorstandsvorsitzende, posaunt es aus. Der Aufsichtsratsvorsitzende Horst Becker brummt es: Kontinuität. Beim Hamburger SV spricht man von Kontinuität auf der Trainerposition. Weil sie nicht da ist.
Frank Pagelsdorf (heute: Al-Nasr Sports Club Dubai): Juli 1997 bis September 2001. Schaffte 2000 Rang drei und beim 4 : 4 gegen Juve ein "Jahrhundertspiel". Mit 4,1 Millionen DM abgefunden.
Holger Hieronymus (DFL-Geschäftsführer): 18. September bis 3. Oktober 2001. Der HSV-Sportdirektor war Interimstrainer.
Kurt Jara: Von Oktober 2001 bis Oktober 2003. Gewann den DFB-Pokal. Flog 2006 in Salzburg wegen "Ungereimtheiten bei Spielertransfers". Zum HSV holte er die Mit-Österreicher Richard Kitzbichler und Michael Baur .
Klaus Toppmöller: Oktober 2003 bis Oktober 2004. Behandelte alle Medien gleich und hatte so Springer gegen sich. Musste gehen, als der HSV Letzter war und Barbarez Verteidiger spielte.
Thomas Doll (Gençlerbirligi Ankara): Oktober 2004 bis Februar 2007. Wurde vom Amateurcoach zum Profitrainer befördert. Rettete den HSV vor dem Abstieg, wurde 2006 Dritter. Dann ohne Leistungsträger in die Saison, viele Verletzte, Pech: flog nach 15 Punkten aus 19 Spielen.
Huub Stevens (Red-Bull Salzburg): Februar 2007 bis Juni 2008. Brachte einen Abstiegsgefährdeten HSV mit Defensive und taktischer Disziplin in den UI-Cup, später in den Uefa-Cup. Ging dann überraschend zum PSV Eindhoven.
Martin Jol (Ajax Amsterdam): Juli 2008 bis Mai 2009. Wollte nach verspieltem Pokal, Champions League-Platz und Meisterschaft Verstärkungen und mehr Kompetenzen. Bekam die Kündigung.
Bruno Labbadia: 1. Juli 2009.
Mit Thomas Doll, der, so war es mal geplant, auch 2009 noch beim HSV auf der Bank sitzen sollte, und in diesen Tagen den mittlerweile schon übernächsten Job - diesmal in der ersten türkischen Liga bei Gençlerbirligi Ankara - antritt, mit Huub Stevens, der nun bei Red Bull Salzburg arbeitet, und mit Martin Jol, der zu jedes niederländischen Trainers Traumverein Ajax Amsterdam wechselte, hats nämlich nicht geklappt mit der Kontinuität.
Der HSV hat das übliche Durchlauftempo, das teuer kommt, weil man Trainern, die man loswerden will, Geld geben muss, und für die, die man haben will, Ablösesummen zahlt. Auch für die Entwicklung der Mannschaft sind ständige Wechsel nicht von Vorteil. Neue Trainer sind eine neue Chance für Spieler, die mit dem alten nicht konnten: Jerôme Boateng und Piotr Trochowski etwa. Aber weil der neue Coach neue Vorstellungen hat, braucht er nicht nur neue Spieler. Jol nahm seinen Co-Trainer Zeljko Petrovic nicht mit nach Amsterdam, doch Bruno Labbadia, der einen Vertrag über drei Jahre ohne Ausstiegsklausel beim HSV unterschrieben hat, wollte seinen alten Weggefährten Erdinç "Eddy" Sözer. Labbadia soll sie nun bringen. Die Kontinuität.
Werder Bremen hat sie. Thomas Schaaf, seit 1999 Cheftrainer von Werder, nähert sich Matt Busby (1946-1969, Manchester United), Bill Shankly (1959-1974, FC Liverpool), Jock Stein (1965-1978, Celtic Glasgow), Alex Ferguson (1986, Manchester United) und Arsène Wenger (1996, FC Arsenal) - allesamt legendäre "Team-Manager", die, wie in England üblich, die Funktionen des sportlichen Leiters und Trainers in einer (Macht-)Position vereinten.
Ist eine solche - aus deutscher Sicht - Ämterhäufung eine Bedingungen für Kontinuität? Nun, zumindest das Beispiel Thomas Schaaf in Bremen spricht dagegen. Seine ebenso vertrauensvolle wie effektive Zusammenarbeit mit Werders Sportdirektor Klaus Allofs zeigt, dass die Arbeitsteilung nicht notwendigerweise zu einer schwachen Stellung des Trainers und einer starken des sportlichen Leiters führt.
Es wird sich zeigen, ob Schaaf mit Allofs künftigem Assistenten Frank Baumann ebenso gut zusammenarbeiten wird. Dafür spricht schon mal, dass beide sich seit elf Jahren kennen - und dass Baumann so klug ist, seine neue Tätigkeit mit einer Pause zu beginnen, um seinen ehemaligen Mitspielern nicht von heute auf morgen in neuer Position gegenüberzutreten.
Kontinuität muss auch das Team Manager-Modell nicht bringen, wie Felix Magath beim VfL Wolfsburg bewiesen hat. Es gibt immer jemanden, mit dem man sich überwerfen kann, wenn man will. Die Vorstellung, Magath sei ein Alleinherrscher gewesen, ist angesichts eines Sponsors von der Größe des VW-Konzerns ohnehin absurd. Spätestens bei der Meisterfeier wurde deutlich, wer in Wolfsburg herrscht. Magath nicht. Armin Veh, Magaths Nachfolger, bekommt dessen Machtfülle, ist aber konzilianter. Magath wiederum erhält die Wolfsburger Machtfülle auch bei Schalke 04.
Der Rest der Liga setzt aufs kontinentale Modell. Bei Hannover 96, wo auch in der fußballfreien Zeit an Trainer Dieter Heckings Stuhl gesägt wird, resultiert dessen schwache Position aus der Art und Weise, wie der von jedem Fußball-Sachverstand freie Präsident Martin Kind den Club führt. Kind ist auf andere angewiesen, wenn er die Leistung der Mannschaft beurteilen will, weil er sich ein Urteil nicht zutraut. Das wissen Spieler und Zeitungen, die in Hannover mehr Einfluss haben als anderswo.
Für die Medien ist Kontinuität Gift. Es waren vor allem die Journalisten, die Schaaf und Hecking loswerden wollten. Ein neuer Trainer - und die Zeitung schreibt sich von alleine.
Als Labbadia vorgestellt wurde, wiederholte Hoffmann, dass der Verein zum Trainer stehen werde, auch wenn es "sportlich nicht so gut läuft". Klang so, als fürchte Hoffmann, dass der HSV keine gute Saison spielt. Kontinuität zu beschwören ist leicht. Ob der hibbelige Hoffmann hinter Labbadia steht, wenn es schlecht läuft, sehen wir dann.
Allofs und Schaaf haben sie auch in dieser - für Werder schweren - Saison, hinbekommen, die Kontinuität. Belohnt mit dem DFB-Pokal. Wie schwer das war, kann man an Schaafs Falten und seinem Vollbart sehen. Nach der Saison wurde versucht, Schaaf nach Wolfsburg zu schreiben und zum HSV. Er schwieg und blieb.
So geht Kontinuität.
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