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Der Gründer Als Travis Todd vor zehn Jahren aus Nevada nach Berlin kam, war die hiesige Start-up-Szene sehr übersichtlich. Der ehemalige Silicon-Valley-Bewohner baute eine Vernetzungsplattform auf und bloggte über die Berliner Start-up-Szene. Sein neuester Coup ist der 7.000 Quadratmeter große Campus Silicon Allee mit Büros und Apartments in Mitte„Es geht viel um Karmain der Start-up-Welt“

Interview Andreas HartmannFotos Sebastian Wells

taz: Herr Todd, vor sechs Jahren begannen Sie und Ihr Partner Schuyler Deerman unter dem Namen Silicon Allee über die Entwicklung der Berliner Start-up-Szene zu bloggen. Nun ziehen Sie gemeinsam mit einer Partnerfirma in Mitte einen riesigen Campus mit 7.000 Quadratmeter Fläche für Start-ups hoch. Was kommt als Nächstes?

Travis Todd: Der neue Campus soll der Startpunkt für einen neuen Tech-District in Berlin werden.

In der Zukunft sollen wir also nicht mehr sagen, wir gehen nach Mitte, sondern auf die Silicon Allee?

Genau. Das ist der Plan. Wäre toll, wenn der Begriff Silicon Allee in Zukunft noch stärker in Berlin angenommen werden würde als jetzt schon.

Manche dachten, die Silicon Allee wäre bereits ein realer Ort in Berlin. Das war eine Täuschung. Aus der nun wiederum eine neue Realität wird.

Der Name unseres Blogs war anfangs eher als Witz gedacht. Zwei Amerikaner in Berlin, haha, lass uns die Sache, die wir hier planen, doch einfach Silicon Allee nennen. Der Name wurde schnell zum Brand und bald zu der Vorstellung, dass es sich dabei um einen physischen Ort handele, ohne dass wir das irgendwann noch selbst beeinflussen konnten. Der Name Silicon Allee hat sich einfach verselbstständigt und wurde aufgegriffen als Synonym für die Berliner Start-up-Szene schlechthin, vor allem von der ausländischen Presse. Dass es eine Silicon Allee nun wirklich gibt, ist da nur eine weitere interessante Drehung mehr.

Silicon Allee wird nun ein gigantischer Start-up-Komplex über sechs Stockwerke mit Büros und Apartments. Was genau war Silicon Allee, als dies noch der Name Ihres Blogs war?

Ursprünglich war unsere Idee einfach nur, die Start-up-Szene Berlins zusammenzubringen. Ein richtiges Netzwerk existierte zu der Zeit, als wir begonnen hatten, hier noch gar nicht. Es gab bereits vereinzelt Treffen in der Start-up-Szene, aber meist wurden die auf Deutsch abgehalten und drehten sich jeweils um ein ganz bestimmtes Thema. Wir machten das auf Englisch und ohne klare Agenda. Das schlug gleich ein. Auch dass wir auf unserem Blog auf Englisch über die Entwicklung der lokalen Start-up-Szene berichteteten, war damals in der Form neu.

Sind Sie deswegen nach Berlin gekommen? Um als Amerikaner den Leuten hier zu zeigen, wie man es mit den Start-ups richtig macht?

Eigentlich bin ich eher wegen meiner heutigen Frau hierher gezogen. Ursprünglich dachte ich nicht, dass ich länger als sechs Monate bleiben würde, aber jetzt sind es mit Unterbrechungen tatsächlich schon zehn Jahre.

Als Kenner der Start-up-Szene haben Sie selbstverständlich auch selbst das ein oder andere Start-up gegründet, oder?

Mein erstes eigenes Start-up hieß Pro Votes. Das war eine sehr altruistische Firma, mit der wir ein Netzwerk für third parties in den USA herstellen wollten, also für all die kleinen Parteien, die es neben den Demokraten und den Republikanern auch noch gibt. Aber das Ganze hat nicht wirklich funktioniert. Danach habe ich ein anderes Start-up gegründet: Buddy Beers, das war ein Service, mit dem du einem Freund ein Bier in einer Bar spendieren konntest.

Klingt nach einem ziemlich anderen Ansatz als bei Pro Votes.

Ja, das Ganze war eher ein Spaßprojekt. Wir hatten Bars in der ganzen Welt, in denen du einem Freund über eine App ein Bier bezahlen konntest. So konntest du ein Bier mit deinem Freund trinken, auch wenn du nicht in derselben Stadt warst wie dieser. Vor zwei Jahren hab ich die Firma dann verkauft an eine Firma im Silicon Valley, die die Sache nun in eine etwas andere Richtung weiterentwickeln will.

Travis Todd

Der Mensch: Geboren in Rino, Nevada, zog Travis Todd vor zehn Jahren nach Berlin. Damals war die Stadt noch nicht die europäische Start-up-Hochburg, die sie heute ist. Todd pendelte zunächst eine Weile zwischen Berlin und den USA hin und her, versuchte es selbst, mal hier, mal dort, mit ein paar Start-ups, auch im Silicon Valley bei San Francisco, wo er 2010 für ein halbes Jahr wohnte. Der 34-Jährige lebt mit seiner Frau und einem Kind in Prenzlauer Berg.

Silicon Allee 2011 gründete Todd gemeinsam mit seinem Partner Schuyler Deerman die Plattform Silicon Allee. Die monatlichen Treffen waren schnell sehr gut besucht, Silicon Allee wurde zu einem wichtigen Vernetzer der Berliner Start-up-Szene. Mit einem Blog wurde weiter über diese berichtet. In den internationalen Medien wurde der Name Silicon Allee so begeistert aufgegriffen, dass manche dachten, eine Silicon Allee, an der sich Start-up an Start-up reiht, gebe es wirklich. In Mitte entsteht nun in Partnerschaft mit der Firma Factory ein riesiger Start-up-Komplex mit Büros und Apartments auf 7.000 Quadratmetern Fläche. (hart)

Heißt das, so richtig super lief dieses Start-up auch nicht?

Ich habe vor allem sehr viel gelernt bei diesem Start-up. Irgendwann war aber klar, dass mit unserer Idee und wie wir sie ausführten, nicht richtig viel Geld zu machen war. Immerhin ha­ben wir mit Buddy Beers aber auch nicht viel Geld verloren.

Haben Sie damals im Silicon Valley gelebt, weil sie es unbedingt dort probieren wollten?

Tatsächlich war es so. Die Sache war klar: Ich hatte ein Start-up, also dachte ich mir, ab nach ­drüben und die Silicon-Valley-Sache ausprobieren. Ich netzwerkte, traf Leute, all das, was du eben so machst in San Francisco.

Nach Buddy Beers hat Sie nichts mehr im gelobten Start-up-Land gehalten?

Ich dachte mir, in Berlin habe ich viel mehr Möglichkeiten, im Vergleich zum Silicon Valley..

Wie war es, als Sie in Berlin aufschlugen?

Als ich hierher kam, war die erste Frage: Was kann ich tun, um mehr amerikanischen Gründergeist nach Berlin zu bringen. Die amerikanische Idee ist, sich zu vernetzen, die eigene Idee mit vielen Leuten zu teilen und offen über alles zu sprechen.

Und das war zu der Zeit hier noch nicht so angesagt?

In Berlin startete damals gerade Rocket Internet so richtig durch, die vor allem durch ihre Firma Zalando bekannt wurden. Und deren Geschäftsgrundlage war und ist es, Internetfirmen aus den USA schlichtweg zu klonen. Wohl auch wegen deren Ideenklau im großen Stil waren die Leute in Berlin ziemlich ängstlich und fürchteten, dass jemand einem die Idee klaut.

Und Sie haben gesagt: Fürchtet euch nicht?

Durchaus. Junge Start-ups müssen lernen, dass es gut ist, zu teilen, weil man in der Start-up-Szene ehrliches Feedback bekommt. Wenn jemand deine Idee mag, bringt er dich auch gern mit den richtigen Leuten zusammen. Wägt man also ab, bringen die Vorteile, die eigene Idee zu teilen, mehr, als die Angst vor dem ziemlich unwahrscheinlichen Fall, dass jemand tatsächlich deine Idee klaut.

Prägt der zweifelhafte Ruf von Rocket Internet, immerhin die mit Abstand größte Internetfirma Berlins, immer noch die hiesige Szene im negativen Sinne?

„Start-ups sind inzwischen der größte Industriezweig in Berlin, die Stadt weiß, was sie an uns hat“

Es gab und gibt sicherlich Spannungen zwischen Rocket-Internet-Firmen und der „authentischen“ Start-up-Szene. Rocket Internets Firmenkultur ist: Sei effizient und mach einfach so viel Geld wie möglich. Wirklich innovativ sind deren Businessmodelle nicht. Rocket-Internet-Firmen waschen deine Kleidung, bringen dir das Essen nach Hause und verkaufen Schuhe. Aber immerhin hat der Erfolg von Rocket Internet auch viel Aufmerksamkeit nach Berlin gezogen. Als die ersten Investoren wegen Rocket Internet nach Berlin blickten, entdeckten sie, dass es neben dieser Firma ja auch noch andere interessante Dinge in der Stadt gibt.

Sie sagten eben, Austausch und Hilfsbereitschaft werden groß geschrieben in der Start-up-Szene. Aber am Ende bleibt man doch Konkurrenz und will vor allem ein gutes Geschäft für sich machen, oder?

Es geht viel um Karma in der Start-up-Welt, würde ich sagen. Wenn ich dich einem Investor empfehle, der in deine Firma investiert und dich zum Mil­lio­när macht, kann ich hoffentlich irgendwann zu dir gehen und dich bitten, jetzt aber doch bitte auch in meine Firma zu investieren. So ungefähr geht dieses Prinzip.

Und das hat man inzwischen auch in Berlin verstanden?

Nicht nur das, sondern auch verbessert. Amerikaner sagen beispielsweise immer „Ich muss dich unbedingt mal diesem oder jenem vorstellen.“ Aber oft ist das nur eine Höflichkeitsfloskel ohne echte Folgen. Wenn jedoch ein Deutscher sagt, er werde dich diesem oder jenem vorstellen, kannst du garantiert am nächsten Morgen in deiner Mailbox sehen, dass er tatsächlich eine E-Mail an deinen erwünschten Kontakt verschickt hat. In Deutschland wird dir nicht so oft ein Gefallen angeboten wie in den USA, aber wenn, dann wird dieser auch sofort erfüllt. In Berlin ergibt das inzwischen einen guten Mix aus amerikanischer Offenheit und deutscher Effektivität und Zuverlässigkeit.

Können Sie eigentlich erklären, was es mit all diesen Lieferdienst-Start-ups in Berlin auf sich hat, die einem das Essen vom Lieblingskoreaner an die eigene Haustür bringen?

Das ist schon ein sehr interessantes Phänomen. Man sieht tatsächlich mehr von diesen Lieferdiensten in Berlin als in anderen Städten. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass Berlin sehr innovativ mit allem rund ums Essen umgeht. Berlin ist Europas Veganerhauptstadt, ständig werden neue Hypes rund ums Essen kreiert, und jetzt lässt man sich eben sein ausgefallenes Essen auch nach Hause liefern. Ich zweifle aber daran, dass der Markt groß genug ist für all die Lieferfirmen, die hier gerade miteinander konkurrieren.

Sie halten sich, weil sie ihren Fahrern Hungerlöhne zahlen, oder?

Diese Lieferdienste bezahlen doch gar nicht mal so schlecht. Eben weil sie gerade so stark im Wettbewerb untereinander sind. Um Leute als Fahrer zu halten, hat man ein wenig mehr zu bezahlen als die Konkurrenz. Die Leute, die ich so kenne und die für diese Lieferdienste arbeiten, Studenten und Musiker, die lieben jedenfalls ihre Jobs dort.

Auf welchen Gebieten sind die hiesigen Internetfirmen denn sonst noch stark?

Einen klaren Trend gibt es da meiner Meinung nach nicht. Das Tolle an Berlin ist, dass die Szene so divers ist. Wir haben hier Lieferdienste, Firmen, die sich mit dem Internet der Dinge beschäftigen, Start-ups, die sich um die Zukunft der Automobilität beschäftigen. Ich hoffe aber, hier in Zukunft noch mehr innovative Firmen zu sehen, anstatt weitere Lieferfirmen oder den nächsten Schuhladen im Internet.

Es heißt oft: Wunderbar, was in Berlin alles passiert mit ständig neuen Firmengründungen und immer mehr Investoren. Aber eigentlich habe man gegen das, was da im Silicon Valley an visionären Dingen vor sich geht, sowieso keine Chance.

Das Silicon Valley wird auch in naher Zukunft die treibende Kraft der Internetrevolution bleiben, klar. Man kann nicht wirklich mit dieser konkurrieren. Die sind dort einfach 20 Jahre weiter in ihrer ganzen Entwicklung. Deswegen bringt der Vergleich mit dem Silicon Valley gar nichts. Wir sollten dagegen lieber schauen, was wir hier gut können, und unsere eigenen Gründer in Berlin unterstützen.

Verstehen Sie Kritiker, die sagen, das, was Leute wie Sie hier treiben mit Ihrem neuen Silicon-Allee-Start-up-Reich, führe zu ähnlich absurd hohen Mieten wie in San Francisco?

Ich habe eine Weile in San Francisco gelebt und kann sagen: Die Stadt ist inzwischen praktisch nicht mehr bewohnbar, wenn du ein normales Gehalt verdienst und keine Silicon-Valley-Dollar. Wir wollen mit Silicon Allee jedoch von Anfang an schauen, welche Auswirkungen unser Tun auch auf unsere Umgebung hat. Fortschritt bringt viele Möglichkeiten mit sich. Aber natürlich auch Gefahren. Die Berliner Politik hat doch inzwischen verstanden, dass man Instrumente einsetzen muss, um die Gentrifizierung zu verlangsamen.

Und wie finden Sie das?

Viele in der Techszene sehen Re­gulierungsmaßnahmen, wie sie beispielsweise gegen das Taxiunternehmen Uber oder die Wohnungsplattform Airbnb eingesetzt werden, als Hindernisse an. Ich denke da etwas anders, am Ende muss es zu einem Ausgleich kommen. Die Innovationen dürfen nicht gefährdet werden, und das Leben in der Stadt muss sozial verträglich bleiben.

Berlin hat einen neuen Senat, einen politisch eher linken. Woher kommt das eigentlich, dass Leute aus der Start-up-Branche am liebsten links wählen, am Ende dann aber immer über die Linken schimpfen?

Travis Todd über Ideenreichtum in der Berliner Start-up-Szene: „Im Großen und Ganzen sind schon eindeutig mehr dumme als brillante Ideen dabei“

Es gibt eine seltsame Dualität im Start-up-Business. Man hat hier viele junge Menschen, die wenig Regulierungen haben und wenig Steuern zahlen wollen und die Mitarbeiter möglichst einfach heuern und feuern dürfen. Man wünscht sich also eigentlich eine neoliberale Politik. Aber andererseits sind diese Leute vom Denken her eher liberal oder links eingestellt. Dieser komische Widerspruch wurde in der Szene bis heute nicht aufgelöst. Das Gute ist, dass es seit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten so etwas wie ein Erwachen gibt, das vielleicht dazu führt, dass man sich nun ernsthafter mit dem Widerspruch auseinandersetzt.

Und was wünschen Sie sich vom neuen Berliner Senat für Ihre Szene?

Ich würde mir mehr Dialog wünschen mit der Politik. Die letzte Regierung hat die Start-up-Szene benutzt, um Berlin und Deutschland an sich zu promoten. Aber sie hat sehr wenig dafür getan, um uns wirklich zu helfen. Gerade ist alles super in der Szene. Wir bekommen genug Geld und gründen ständig neue Firmen. Aber wenn Gründer sich hier beispielsweise weiterhin mit diesen lächerlich komplizierten Steuergesetzen herumschlagen müssen, kann das bald schon wieder ganz anders sein.

Das klingt schon beinahe wie eine Drohung.

Start-ups sind inzwischen immerhin der größte Industriezweig in Berlin, die Stadt weiß, was sie an uns hat. In den letzten Jahren brachten wir mehr Geld in die Stadt als die Immobilienbranche. Zu jedem Job, der in der Start-up-Branche geschaffen wird, entstehen außerdem durchschnittlich vier weitere, so besagen es Studien. Wir brauchen schließlich auch Buchhalter, Putzkräfte und Netzwerktechniker. Start-ups sind also ein inzwischen unverzichtbarer Motor für die Berliner Ökonomie.

Mal ehrlich, Sie als Kenner der Berliner Start-up-Szene: Wie viele der Ideen sind wirklich bahnbrechend?

Im Großen und Ganzen sind schon eindeutig mehr dumme als brillante Ideen dabei. Was man häufig trifft in Berlin, das sind Leute mit brillanten Visionen, aber dummen Ideen. Die wollen dann diese verrückte Supersoftware entwickeln mit Tausenden von Anwendungsmöglichkeiten, ohne darüber nachzudenken, ob die überhaupt jemand braucht. Mit diesen Leuten kann man dann auch nur schwer reden, weil sie so überzeugt sind von ihrer Vision.

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