: Der Geldbeutel bleibt immun
Bilanz von Barcelona: Geld und Elan fehlen, Pharmafirmen übernehmen die Initiative. Politische und soziokulturelle Aspekte werden vernachlässigt
von DOMINIC JOHNSON
Die Ergebnisse der 14. Welt-Aids-Konferenz, die gestern in Barcelona zu Ende ging, sind nicht die, auf die eigentlich gehofft wurde. Es gab keine substanziellen neuen Geldzusagen, und, so der Tenor vieler Teilnehmer: Vom Elan, der bei der letzten Welt-Aids-Konferenz in Südafrika vor zwei Jahren zu spüren war, sei nichts übrig geblieben.
In einem Bereich gab es handfeste Resultate. Spaniens Gesundheitsministerin wurde bei ihrer Eröffnungsrede ausgepfiffen, weil das Gastgeberland manchen Aidsaktivisten aus Entwicklungsländern die Einreise verwehrt hatte. Der Gesundheitsminister der USA musste seine Rede abbrechen – nach Buhrufen, weil sein Land den Globalen Aidsfonds der UNO nicht ausreichend finanziert. Aktivisten von Act Up Paris, einer Selbsthilfegruppe von HIV-Infizierten aus Frankreich, demolierten Stände von Pharmakonzernen aus Protest gegen hohe Medikamentenpreise. Die Entfremdung zwischen Betroffenen und Entscheidern, zwischen Infizierten und ihren Lobbyisten auf der einen Seite und Regierungen und Konzernen auf der anderen, steigt.
Das liegt auch daran, dass sich der weltweite Kampf gegen Aids in einer Übergangsphase befindet. Nicht vor 2003 will das UN-Aidsbekämpfungsprogramm UN-Aids die Ergebnisse der Sondersitzung der UN-Vollversammlung zu Aids vom Juni 2001 evaluieren, auf der unter anderem der „Globale Fonds zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria“ zur Koordination des weltweiten Kampfes gegen die Epidemie gegründet wurde. Erst 2004, auf der nächsten Welt-Aids-Konferenz in Thailand, werden dann mögliche Veränderungen diskutiert. Damit stieß UN-Aids-Direktor Peter Piot auf Kritik bei Aktivisten, die jetzt schon zu wissen meinen, was man ändern müsse.
Denn der erzwungene Stillstand, so ein Vorwurf, verlagert die Initiative hin zur Pharmaindustrie, die gerade nach Kräften versucht, ihre moralische Unschuld zurückzugewinnen. Die großen Pharmakonzerne haben mit den meisten armen Ländern umfassende Preissenkungen bei ihren eigenen patentierten Aidsmedikamenten vereinbart, die dennoch im Schnitt fünfmal so viel kosten wie Generika – Kopien patentierter Mittel von Firmen in Entwicklungsländern. Ihre Gewinne päppelt die Pharmaindustrie nun mit der Entwicklung neuer, teurer Mittel für die Infizierten der reichen Industrienationen auf. Gleichzeitig wird die Forschung über Impfstoffe und Aidsprophylaxe ausgeweitet.
Das findet Armin Schafberger von der Deutschen Aids-Hilfe direkt kontraproduktiv – „zum Beispiel, wenn gesagt wird, dass Sexarbeiter morgens eine Tablette einnehmen und dann ohne Kondom arbeiten können“. Er sieht „eine Medikamentalisierung auf allen Ebenen der Prävention“, in der gesundheitspolitische und soziokulturelle Aspekte verdrängt werden. Gemeint sind staatliche Entscheidungen über Prioritäten im Gesundheitswesen sowie der gesellschaftliche Kampf gegen Ausgrenzung, Stigmatisierung und sexuelle Gewalt. Da fehlen Geld und politischer Wille, so eindringlich die Appelle von Bill Clinton und Nelson Mandela zum Abschluss auch waren.
„Wir könnten 30 Millionen Leben retten, wenn wir einfach täten, was wir schon wissen“, sagte Sandra Thurman von der „Global Business Coalition Against Aids“, ein freiwilliger Zusammenschluss von Unternehmen, die sich in der Aidsbekämpfung engagieren. Zéphirin Diabré von der UN-Entwicklungsorganisation UNDP kritisierte in ihrer Rede: „Für Länder, die von Überschwemmungen oder Bürgerkriegen betroffen sind, halten wir es für selbstverständlich, dass humanitäre Hilfe und Schuldenerlasse notwendig sind. Wir müssen für Länder, die von Aids betroffen sind, das Gleiche tun, denn die Katastrophe ist unendlich verheerender.“
„Konkret an Geld ist bei der Konferenz gar nichts rausgekommen“, bestätigt Katrin Lempp von Ärzte ohne Grenzen (MSF). Vom Standpunkt der medizinisch tätigen Hilfsorganisation relativiert sie aber: „Inhaltlich werten wir als Erfolg, dass die Debatte ‚Prävention ist billiger‘ vom Tisch ist und dass anerkannt ist, dass Behandlung notwendig ist. Prävention ist nicht mehr genug.“ Die militante Gruppe Act Up Paris stimmt zu: „Seit 20 Jahren wird gesagt, nur Präventionsmaßnahmen könnten die Epidemie aufhalten. Das hat die Infizierung und den Tod von Millionen zur Folge gehabt. Eine effektive Prävention bedeutet, die Krankheit anzuerkennen. Antiretrovirale Therapie ist möglich.“
Das geht nicht ohne den Einsatz von Generika, mit Unterstützung der UNO gegen die Pharmakonzerne. Immerhin hat die Weltgesundheitsorganisation, so lobt MSF, die generischen Versionen der drei wichtigsten Aidsmedikamente, AZT, 3TC und Nevirapin, sowie der daraus entwickelten Kombitherapien auf ihre Liste empfohlener Mittel gesetzt. Das könnte immerhin ein kleiner, aber wesentlicher Durchbruch sein.
Die Herausforderung besteht nun darin, diese Mittel auch Kranken in unterentwickelten Ländern zugänglich zu machen. Und hier setzt wieder die Kritik an. Armin Schafberger von der Deutschen Aids-Hilfe: „Man hätte einen Schwerpunkt auf Modelle der flächendeckenden Verteilung von Medikamenten legen müssen. Das kam fast gar nicht.“
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