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Der Gast für Gier, Genuss und gute Tat

Im Garten unserer Autorin wächst eine ihr unbekannte Pflanze. Bald stellt sich heraus: Es handelt sich um das invasive Orientalische Zackenschötchen, das heimische Arten verdrängt. Doch es gibt einen Trick, wie man es wieder los wird

Ackersenf? Raps? Nö! Das ist das Orientalische Zacken­schötchen, botanischer Name: Bunias orientalis Foto: bilwissedition/akg-images

Von Gunhild Seyfert

Zack – zack – rumms – zack! Tief in den feuchten Boden schlägt mein Mann mit dem Spaten einen Kreis, rings um eine üppig wachsende, hohe Pflanze, die hellgelbe Blüten an langen Rispen trägt. Wie leuchtende Kerzen stehen viele von ihnen in unserem Garten an einem Hang, den wir für einheimische Wildpflanzen vorgesehen haben.

Ackersenf sei das, oder Raps, über Samen vom Wind herübergeweht von Feldern am Rande der Stadt, dachte ich eine Zeit lang. Aber dann keimte der Verdacht: Dieses Gewächs blüht später als Raps, wächst höher als Ackersenf, und es breitet sich stark aus, verdrängt am Gartenhang die Flockenblumen, die Skabiosen, die wilde Wolfsmilch und noch mehr. Mein Mann und ich inspizierten die Pflanze. Nirgendwo sonst hatten wir sie bislang gesehen. Wir nannten sie „der Neophyt“, das ist botanisch und heißt übersetzt „neue Pflanze“. Als Neophyten gelten alle Pflanzen, die bis zu Christoph Kolumbus’ erster Fahrt nach Amerika 1492 in Europa ursprünglich nicht heimisch waren, die aber seitdem auf Reisen gingen und nun auch hierzulande wachsen. Oft gewollt, wie beispielsweise Tomaten, Kartoffeln oder Mais. Aber oft auch ungewollt, wenn sie auf Schiffen, in Flugzeugen oder Lkws als blinde Passagiere mitreisen.

Die Arbeit mit dem Spaten ist getan, fünf prächtig große Exemplare von „der Neophyt“ haben wir umgelegt. Entwurzelt und erledigt liegen sie auf dem Boden. Aber da stehen noch so viele, diese Arbeit ist bedrückend erfolglos. Da haut mein Mann die Hacke in den Boden, holt tief Luft und ruft entnervt: „Kann man dieses Ding vielleicht essen?“

Man kann. Ein Foto und die App Flora Incognita zur Bestimmung von Pflanzen zeigen: Bei uns am Hang steht das Orientalische Zackenschötchen beziehungsweise Zackenschote, botanischer Name Bunias orientalis, eingewandert aus Sibirien und Südosteuropa. Nach strenger Definition also kein Neophyt, gleichwohl eine invasive Art. So nennt man eingewanderte Pflanzen oder Tiere, die sich stark vermehren und unkontrolliert wuchern und so einheimischen Arten die Ressourcen zum Leben nehmen. Invasive Arten bedrohen die biologische Vielfalt und sollten möglichst frühzeitig beseitigt oder zumindest reguliert werden.

Das Zackenschötchen ist eine dauerhafte Staude, wird bis zu zehn Jahre alt, kommt mit Hitze und Trockenheit gut zurecht und kann sich auch über Ausläufer seiner bis zu zwei Meter tiefen Wurzel ausbreiten. Seinen Namen verdankt es den Früchten, kleinen Schoten mit einem gebogenen Zacken. Wegen deren hohen Eiweißgehalts wurden im vergangenen Jahrhundert Zackenschötchen manchmal sogar als Futterpflanze angebaut. Aber damit ist längst Schluss, denn jede Pflanze bildet 2.000 bis 5.000 Samen, die der Wind weit trägt und die schnell keimen, gern auch dort, wo man sie gar nicht haben will.

Ich reiße eines der langen, dunkelgrünen Blätter ab, die üppig im Garten sprießen. Vorsichtig stecke ich es in den Mund. Oh! Das Zackenschötchen schmeckt bitter und doch angenehm rund. Die Blätter schmeicheln dem Gaumen, sie haben angenehm weichen Biss, sind weder rau noch stachelig.

Seit dieser Kostprobe verwende ich die Blätter des Zackenschötchens gern im Salat. Kleingeschnitten verleihen sie ihm ein sattes Dunkelgrün und erfrischenden Pep. Aus den käuflichen Salatsorten wurden die Bitterstoffe in den letzten Jahrzehnten herausgezüchtet, weil sie ohne gefälliger wirken und sich besser verkaufen. Das Zackenschötchen aber bringt diese charakteristische Geschmacksnote in den Salat zurück. Bitter – das hört sich zwar unangenehm an, aber mein Magen neigt zur Übersäuerung nach zu viel Kaffee, süßen Speisen und bei Stress. Dann sind Bitterstoffe Balsam, bringen den Säure-Basen-Haushalt wieder ins Lot, ich entspanne und bekomme bessere Stimmung.

Doch es ist eine Sache zu wissen, wie gesund Bitterstoffe sind, und eine andere, das Zackenschötchen wirklich zu essen. Mein Mann und ich tasten uns vorsichtig heran, das Kraut zu genießen, das wir vor Kurzem noch verflucht und bekämpft haben. Wie deutlich die Bitternote ausfallen soll, lässt sich leicht über die Anzahl der Blätter dosieren. Ich nehme mindestens zwei bis drei große Blätter pro Person. Ein natives Olivenöl und dunkler Balsamico-Essig passen gut zu einem Salat mit Zackenschötchen. Einige Achtel Tomaten darin sehen schön aus, ein Esslöffel Kürbiskerne mit ihrem nussigen Geschmack runden das Ganze ab.

Nicht je­de:r hat einen Garten und – noch – steht nicht in jedem Garten das Orientalische Zackenschötchen. In Norddeutschland, wo ich lebe, ist es sogar selten. Unser Gartenboden enthält Kalk, vermutlich hat es deshalb bei uns Wurzeln geschlagen. In Thüringen, Nordbayern, Hessen und südlich der Donau, wo es wärmer ist und der Boden über weite Gebiete Muschelkalk enthält, besiedelt das Zackenschötchen üppig Straßenränder und Uferböschungen, Äcker, Wiesen und auch viele ökologisch wertvolle Flächen, auf denen man noch selten gewordene Pflanzen wie wilde Orchideen oder Wiesensalbei bestaunen kann. Na­tur­schüt­ze­r:in­nen sind alarmiert und rufen dazu auf, die Flächen für geschützte Arten zu erhalten und deshalb das Zackenschötchen zu entfernen.

Dabei kann man dann gleich drei Glücksmomente auf einmal erleben: Man kann hemmungslos zugreifen, lecker essen und etwas für den Naturschutz tun. Wann sonst lassen sich Gier, Genuss und gute Tat so leicht verbinden?

Wer ausrückt, das Zackenschötchen zu finden, dem empfehle ich, neben Eimer oder Tasche für die Blätter auch einen Wurzelstecher mitzunehmen. Denn auch die Wurzeln des Zackenschötchens sollen entfernt werden, um seine Ausbreitung zu bremsen. Vor allem aber: Auch die Wurzel kann lecker sein. Im Netz hatte ich gelesen, dass sie leicht nach Meerrettich schmecken soll. Erwartungsvoll ging ich daher voriges Frühjahr in den Garten und zog eine junge Pflanze samt Wurzeln heraus. In der Küche trennte ich sie von den Blättern, schrubbte mit der Wurzelbürste die Erde ab, schnitt sie und gab sie in ein Schälchen mit Creme fraîche und cremigem Joghurt. Fertig war der Dip. Aber dann: Igitt! Was ich gemixt hatte, schmeckte extrem bitter und kein bisschen nach Meerrettich. Leider musste ich alles wegwerfen.

Aus vielen Salaten sind die Bitterstoffe rausgezüchtet. Nicht so aus dem Zackenschötchen – ein Glück!

Wochen später, im Juni, ein zweiter Versuch. Diesmal grub ich eine Pflanze mit großen Blättern aus, da sind die Wurzeln dicker und länger. Von einem Stück streifte ich die Erde ab und biss vorsichtig zu. Da war er – dieser frische Geschmack nach Meerrettich. Ich vermute, dass das Zackenschötchen umso mehr Bitterstoffe in seinen Wurzeln gegen Fraßfeinde bildet, je jünger diese noch sind. Bei kräftigeren Wurzeln lässt die Bitterkeit nach und der Rettichgeschmack kommt durch.

Mein Mann und ich essen diesen Dip gern zu Roter Bete aus dem Backofen. Die frische Rote Bete schneiden wir in mundgerechte Stücke, marinieren sie mit einer Mischung aus reichlich Olivenöl, Senf, gepresstem Knoblauch, gemörsertem Kümmel und Salz. Während das Gemüse in dieser Marinade circa 20 Minuten bei 190 Grad Umluft im Ofen backt, mischen wir den Dip aus 150 Gramm Creme fraîche, 250 Gramm Joghurt und circa 20 Gramm sehr fein geschnittener Wurzeln vom Zackenschötchen. Für den optimalen Kick an Frische und Schärfe empfiehlt es sich, vorher zu testen, wie stark die geernteten Wurzeln nach Rettich schmecken und dann zu entscheiden, wie viele man dafür verwenden will.

Anklang findet der Bunias-Dip, wie ich ihn nach Bunias orien­talisnenne, auch bei unseren Gästen. Der unbekannte Name verspricht Neues. Sie probieren ­unvoreingenommen, später erzähle ich, von welcher neuen Pflanze der Dip seinen Geschmack hat. Vom Neophyten? Machen wir doch das Beste daraus! Essen wir ihn einfach auf.

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