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Der Gärtner, das Kloster und die Katze auf dem Altar

■ Erich Paulicke (76) und Oskar Dittrich (85) zeigen in der Galerie im Park, wie man mit Kunst „überLeben“ kann

Muß man noch über die Formen und Grade von geistiger Behinderung reden? Sollte man noch den Begriff „Art Brut“ fallen lassen, mit dem Jean Dubuffet alle spontane und unreflektierte Kunst bezeichnete?

Mit dem Krankenhaus Museum, das manchmal auch in die benachbarte Galerie im Park auf dem Gelände des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost hineinschwappt, gibt es einen Ort, an dem solche und ähnliche Fragen häufig gestellt werden. Doch paradoxerweise lösen sie sich am selben Ort genauso schnell in Luft auf. Verantwortlich dafür sind zwei ältere, nein: alte Herren namens Oskar Dittrich und Erich Paulicke sowie vor allem ihre in der Galerie im Park ausgestellte Kunst.

76 Jahre Leben hat Erich Paulicke schon hinter sich, und bei Oskar Dittrich sind es sogar noch neun Jahre mehr. Heute leben beide vor vielen Jahren als geistig behindert eingestufte Männer in Wohngruppen in Rotenburg/Wümme. Eigentlich müßte man nach dem Ausstellungstitel sagen: Sie „überLeben“.

Oskar Dittrich hatte es da etwas leichter. Während er den deutschen Faschismus als Gärtner überlebte, blieb Erich Kalicke kaum etwas erspart. Günzburg/Bayern, Kaufbeuren und schließlich das „Hungerkloster“ Irsee waren die Stationen seiner Deportation in den Horror. Mutmaßlich wurde er dabei mit Knochentuberkulose infiziert. Beinahe wäre er verhungert. Und seine Familie hatte seiner Tötung, also Ermordung schon zugestimmt. Als Überlebende kamen beide nach dem Krieg nach Rotenburg. Und im besten Rentenalter fingen beide ein anderes „überLeben“ an: die Produktion von Kunst.

„Maus“, „Ente“, „Hund“ oder „Ganter“ heißen Bilder von Erich Kalicke, der nach zehn Jahren wieder mit dem Malen und Bildhauern aufgehört. Es ist ein im besten Sinne kindlicher, aber keineswegs unreflektierter Blick, mit dem er die Welt klar, einfach und halb abstrakt auf die Leinwand bannt, in Ytong sägt oder in Ton modelliert. Auf einem großformatigen „Altarbild“, auf dem kerzendünne Menschen mit Katzenohren und Insektenaugen gruppiert sind, hat er seine Erinnerungen an Kloster Irsee verarbeitet. Es lugt Bedrohliches aus dieser starren Ordnung. Man ahnt nur, daß die Wirklichkeit hinter dem Bild das pure Grauen war.

Im Gegensatz zu Paulicke mag der stille Oskar Dittrich vom Malen noch nicht lassen. Im Gegenteil: Der 85jährige entwickelt sich immer weiter. Abstrakte Landschaften, Figurenfamilien mit entfernter Verwandtschaft zu Keith Harings Sippen oder fast monochrome Bilder entfalten in der Galerie im Park eine Kraft, die erstaunlich ist. Einige dieser Bilder könnten in jedem Museum für zeitgenössische Kunst hängen. Fragen nach der „Art Brut“ stellt man sich jedenfalls nicht mehr. „Es ist heute gar nicht mehr feststellbar, ob sie geistig behindert sind“, sagt Achim Tischer vom Krankenhaus-Museum. Dem ist nichts hinzuzufügen. ck

Die Ausstellung „überLeben“ der beiden Künstler Erich Paulicke und Oskar Dittrich ist bis zum 20. Juni in der Galerie im Park, Züricher Straße 40 (Zentralkrankenhaus Ost) zu sehen. Öffnungszeiten der Galerie: mittwochs bis sonntags von 15 bis 18 Uhr

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