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Der Fortsetzungsroman: Kapitel 28Alles in Butter

Kurz nach Kriegsende streift das verliebte Paar durch die Ruinen Berlins - mit manch überraschendem Ergebnis.

Es darf wieder geheiratet werden. Bild: dpa

Die letzten Tage vor der Kapitulation verbrachte die Familie in trauter Einigkeit im Luftschutzkeller der Eislebener Straße 4.

Sandy hatte sich zuletzt bei Freunden in Steglitz versteckt. Aber spätestens mit Hitlers Selbstmord am 30. April war das Ende absehbar.

Während sie auf die Rote Armee warteten, soffen Mütterchen, Sandy und Herr Albrecht den letzten Krug Rotwein aus, der von Hatis Vorräten noch übrig war. Keine Ahnung, wer Herr Albrecht war, das steht so in meinen Aufzeichnungen. Vielleicht einer von denen, die in die Wohnung der Streisands einquartiert waren. „Mumi fand’s unwürdig“, erzählte Mütterchen, sich in so einem Moment die Kante zu geben. Mütterchen sah die Sache pragmatisch: „Eh es die Russen saufen, kippen wir’s uns doch lieber selber hinter die Binde.“

„Dann kamen die Rotarmisten“, erzählt Mütterchen, „Bildschöne Jungs“, sagt sie, „sahen aus wie die Leibstandarte Adolf Hitler.“ Ich denke gleich wieder an Vergewaltigung und Mord. Aber Mütterchen sagt: „Die winkten gleich ab. Die suchten nur nach Soldaten.“

Männer in Uniform. Meine Großmutter, ey!

So ging der Krieg zu Ende.

Berlin lag in Schutt und Asche.

Wie Tiere nach einem langen, albtraumgeplagten Winterschlaf kamen die Menschen aus den Kellern gekrochen und begaben sich in den Trümmern ihrer Heimat auf Nahrungssuche.

Mütterchen und Sandy suchten nach Zigaretten. Zwei, drei Tage nach Kriegsende ungefähr, um den 12. Mai rum muss es gewesen sein, da waren sie in dem Karree Ranke-, Tauentzien-, Marburger Straße unterwegs. Die Häuser waren so zerstört, dass man mitten hindurch laufen konnte. Es ist das Karree, dessen Vorderseite direkt auf die Gedächtniskirche zeigt, das Zentrum der City West. Da waren die deutschen Scharfschützen drin gewesen. Deswegen hatten die Flugstreitkräfte den Block fast komplett dem Erdboden gleichgemacht. Heute sind das fast alles Neubauten. Meine Großeltern wussten, wo Soldaten waren, sind auch Zigaretten. Sie suchten und suchten, aber fanden nicht mal einen Stummel. Und dann beim Rausgehen zurück auf die Marburger Straße, kletterten sie durch ein ausgebombtes Ladengeschäft. Ich weiß noch, wie Mütterchen das immer erzählt hat, in ihrem Stuhl sitzend mit den rot-weißen Bezügen, ich erinnere mich an die Bilder, die ihr Erzählen in mir gemacht hat, an die Worte nicht, komischerweise.

Die Tür war verschüttet, hat sie erzählt, deswegen musste man durchs Schaufenster klettern. Die Scheiben waren lange futsch. Und wie sie zurückgeklettert ist auf die Straße und über die Auslage gestiegen, wo früher mal irgendwelche Waren ausgestellt worden waren, da sah sie unter dem Sims…

Nee. Moment. Falsch. Durch die Tür ist sie gegangen, doch durch die Tür. Nicht durchs Fenster. Und auf der oberen Stufe, die zur Ladentür hinführte von der Straße her, da lag so ein grauer Stein. Ein großer grauer Stein. Wie ein Feldstein. Und an diesem Feldstein war – von der Straße her unsichtbar – eine Ecke abgeschabt. Und an dieser Ecke schimmerte es weiß, hell, gelb, glänzend, cremig.

Butter!!!

Mütterchen hatte ein ganzes Kilo Butter gefunden. Bestimmt hat sie damals, in diesem Moment des Glücks, ihre lebenslange Leidenschaft für Butter entdeckt.

Drei Tage später, am 15. Mai 1945, waren Mütterchen und Sandy wieder auf Beutezug durch die Ruinen, als sie am Standesamt vorbeikamen. „Los komm!“, sagte meine Großmutter, „Lass uns mal gucken, ob es schon wieder offen hat!“ Es hatte offen und im Standesamt saß ein „Beamter neuen Geistes“, wie Mütterchen sagte, und als sie das Aufgebot bestellen wollten und ihre Namen nannten, da meinte der Beamte: „Ach, wissen Se watt, Sie nehm’ ick gleich dran. Sie ham so lange warten müssen, jetzt soll ihrem Glück nischt mehr im Weje stehn!“ Zwei Beamte wurden als Trauzeugen dazu geholt oder zwei Sekretärinnen oder der Hausmeister oder was weiß ich, und als meine Großeltern zwei Stunden später nach Hause kamen, da wusste Mumi sofort, was passiert war, und war ein bisschen böse auf die beiden, weil sie nicht Bescheid gesagt hatten, kochte dann aber doch noch den letzten Rest Grieß mit Wasser und schmückte den großen runden Eichentisch im Wohnzimmer mit Blättern und Blümchen, die sie am Straßenrand gefunden hatte. Wie die Butter.

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