: Der Erleuchtete meditiert in hellem Mehl
■ Erhabener Glanz, buddhistisch aufgeschnatzt: Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert mit „Im Jahr des Tigers“ südkoreanische Kunst zwischen Religion und High-Tech-Moderne
Die golden glänzende Kunststoffmasse liegt schlaff über den Boden gegossen da. Das Objekt „Witz“ des koreanischen Künstlers Choi Jeong-Wha ist eine vier mal vier Meter große aufblasbare Krone, der mit einem kräftigen Gebläse während der Ausstellung „Im Jahr des Tigers“ Leben eingehaucht wird. Für das atmende, sich rhythmisch aufrichtende und wieder in sich zusammenfallende Gebilde im Haus der Kulturen der Welt bieten sich viele Interpretationen an: eine leere Hülle, vorgetäuschter Glanz, pulsierendes Leben, Kraft und Schwäche, Aufbruch und Zusammenfall. Choi verwendet mit Vorliebe kitschige Objekte als Medium, so wie diese dekorative, bombastische Krone, um, wie es im Katalog heißt, „das Dilemma der vorgefundenen Wirklichkeit herauszustreichen“.
Der 1961 geborene Choi gehört zu der südkoreanischen Künstlergeneration, die in die boomende Industrienation hineingewachsen ist. Tradition und Hypermodernität, das war schon während der diesjährigen Filmfestspiele ein häufiges Thema der Nachwuchsregisseure aus Süd-Korea. Auch bei den Arbeiten der 15 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler findet diese Auseinandersetzung einer nach den Wurzeln forschenden Generation statt. „Im Jahr des Tigers“ wird außerdem von einer Fashion-Show im Foyer begleitet, im Rahmenprogramm gibt es Musik, Tanz und Theater aus Süd- Korea. Das Land, dessen Kunstszene seit der Etablierung der Kwangju-Biennale 1995 mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, zeigt sich als eine Nation, die im rasanten Tempo den Übergang von den landwirtschaftlichen Wurzeln zu Industrie und Hochtechnologie zurückgelegt hat.
Knallig bunt präsentieren sich indessen die drei bemalten Gestalten aus Kiefer, unübersehbar die Liebe zur reinen, prallen Farbe. Doch die Skulpturengruppe „Ursprung der Geschichte“ von Kang Yong-Myeon zeigt Mutter, Vater und Tochter in eigenartiger Verstimmung. Sie wirken sprachlos, scheinen Welten voneinander entfernt. Den koreanischen Traditionen nachspüren zu wollen, erklärt der Künstler, sei Motor seiner Arbeiten. Die westliche Kunsttradition sei bedingungslos übernommen worden, mit seinen Skulpturen wolle er diese Anregungen zwar nicht missen, jedoch seine eigenen bzw. die seiner Vorfahren mit einbringen.
Wenn von koreanischer Tradition die Rede ist, denkt man an Konfuzianismus, buddhistische Religion, Christentum und Schamanismus. Obwohl Buddha im modernen koreanischen Leben nur mehr eine Nebenrolle spielt, taucht er in den künstlerischen Beiträgen sehr häufig auf. Die Künstlerin Ahn Sung-Keum etwa hat eine Statue des Erleuchteten zerteilt und läßt ihn in zwei Hälften auf koreanischem Mehl meditieren. Etwas zu teilen, auseinanderzuschneiden ist an sich eine aggressive Geste. Doch es spricht auch für ungetrübte Neugier, hinter bzw. in die Dinge blicken zu wollen, um so ihr wahres Wesen zu enthüllen.
Yoo Young-Ho hat den Körper seines „Haus-Menschen“ aus lauter Slumhäusern zusammengestellt. Dabei wurden die aschgrauen Unterkünfte von ihm bewußt ästhetisch zugerichtet. Es sind Gebäude, die man anstarren und ihrer Form wegen zugleich bewundern kann. Nirgends gibt es Bewohner, die von der Armseligkeit der Unterkünfte sprechen oder den Blick schamhaft abwenden lassen – das Ganze ist eine sehr poetische Betrachtung.
Oft geht es um das Verhältnis zum Detail: So hat Kim Young-Jin eine aufwendige Projektionsmaschinerie gebaut, um Wassertropfen in anderem Licht erscheinen zu lassen. Ein kleines Stück Natur, herausgezogen aus dem Umfeld, der großen Masse des Wassers, wird dabei unter die Lupe genommen. Zuletzt unterzieht der in New York lebende koreanische Künstler Kang Ik-Joong sich selbst der minutiösen Betrachtung: Während der U-Bahn-Fahrten zwischen seinem Zuhause und verschiedenen Jobs bemalte er taschengerechte Leinwände. Im Haus der Kulturen werden diese etwa acht Zentimeter großen Quadrate zu einem Tagebuch, das Beobachtungen und Gedanken verschmilzt. Constanze Suhr
„Im Jahr des Tigers“, bis 21.6., Haus der Kulturen der Welt (die Ausstellung wird von zahlreichen Musik-, Tanz-, Theater-Veranstaltungen und Symposien begleitet)
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