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■ Der Entwurf zur Steuerreform steht - nach massivem politischen Streit in den Regierungsparteien. In der CDU muckt eine junge Garde von Landesvorsitzenden gegen die Machtworte des Kanzlers aufDas "System Kohl" wankt

Der Entwurf zur Steuerreform steht – nach massivem politischen Streit in den Regierungsparteien. In der CDU muckt eine junge Garde von Landesvorsitzenden gegen die Machtworte des Kanzlers auf

Das „System Kohl“ wankt

Dieser Tage tritt Otto Lambsdorff als wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP zurück. Das hat auch sein Gutes, denn es bewahrt den Grafen davor, auf unliebsame Weise mit früheren Äußerungen konfrontiert zu werden, wenn er genötigt ist, daß Ergebnis der Steuerreform zu verteidigen. Diese, so wird er offiziös verkünden, sei auch ein Erfolg seiner Partei, trage doch der niedrige Eingangssteuersatz und der niedrige Spitzensteuersatz für Gewerbetreibende eindeutig freidemokratische Handschrift.

Und was ist mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer? Hatte nicht er, hatte nicht sein Parteivorsitzender Wolfgang Gerhardt einer solchen Maßnahme eine eindeutige Abfuhr erteilt? Nun, wird der Graf räsonieren, das müsse man in der Gesamtschau bilanzieren, sie diene ja nur zur Gegenfinanzierung der Einkommenssteuerreform, schlimmstenfalls ein Nullsummenspiel sozusagen. Aber hatte nicht der Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms vor wenigen Monaten noch genau dazu angemerkt: „Das befürworten wir ganz und gar nicht.“ Und hatte nicht der Graf selbst kurz darauf – der Solidarzuschlag war gerade verschoben worden – gesagt, dies Zugeständnis sei wirklich das letzte gewesen, sonst würde sich die FDP „in der Tat selbst umbringen“. Immerhin war die Partei erst Anfang des Jahres als Steuersenkungspartei von den Toten auferstanden.

Nun ist es sozusagen zum allerletzten gekommen, doch die FDP ist nicht tot, und, wie gesagt, der Graf dankt ab. Was bleibt, ist seine nüchterne Koalitions-Erkenntnis, es gebe „keine Möglichkeit, eine weniger schlechte Politik mit jemand anderem zu machen“.

Mit diesem kleinsten gemeinsamen Nenner wollen sich allerdings immer weniger Politiker des christlich-liberalen Lagers zufriedengeben. Ihr Unmut entzündet sich nun an der Einkommenssteuerreform, zum einen, weil sie ihre Klientel nicht befriedigt sehen, zum anderen, weil sie im Ergebnis kein klares Profil mehr erkennen können, vor allem nicht das eigene. Das ist für alle um so schlimmer, als die Abgeordneten sich demnächst in ihren Wahlkreisen um die Aufstellung für die kommende Bundestagswahl bemühen müssen. Der Unmut könnte erst richtig hochkochen, wenn das Reformwerk in die parlamentarische Beratung geht, wenn es dem Sperrfeuer der Lobbyisten und der Blockade der Opposition ausgesetzt ist. Schon jetzt ist von der kargen Schönheit der ursprünglichen Modelle nur noch wenig zu erkennen. Kompromisse sind nun mal wäßrig und grau.

Mit ihrer Forderung nach dem Rücktritt Waigels schließt sich eine FDP-Frau wie die Landeschefin von Sachsen-Anhalt nur dem gleichlautenden Ansinnen des niedersächsischen CDU-Vorsitzenden Christian Wulff an. Der nämlich hatte am Wochenanfang unversehens die Rolle eingenommen, die in der Koalition ansonsten dem FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle vorbehalten ist. Wulff klagte die notwendigen „Impulse für Wachstum und Beschäftigung“ ein und sah bereits angesichts von Waigels Reformwerk „Frustation statt Faszination“ aufziehen. Vor allem die Mehrwertsteuererhöhung sei der Bevölkerung nicht vermittelbar. Die Forderung nach einer Kabinettsumbildung wurde laut und veranlaßte den Bundeskanzler zu einer harschen Replik. Doch damit ist der Konflikt, und das beunruhigt die CDU, nicht erledigt. Denn die Reihe derjenigen, die in der Steuerreform „einen grundsätzlichen Streit über unsere Reformfähigkeit“ erblicken, reicht vom hamburgischen CDU-Chef Ole von Beust über den niedersächsischen Fraktionschef Wulff und seine Kollegen in Hessen und im Saarland, Roland Koch und Peter Müller, bis zu Günther Öttinger in Baden-Württemberg. Diese junge Garde kämpft um ihre Mehrheitsfähigkeit vor allem bei der jungen Wählerschaft. Auch wenn sich ihre Attacke gegen den CSUler Waigel richtet, so ist doch das eigentliche Ziel innerhalb der eigenen Partei zu suchen. In der Sache machen sie gegen ihre Parteifreunde vom Arbeitnehmerflügel Front, die eine Mehrwertsteuererhöhung zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen verwenden wollen und sich die Verteidigung der Restbestände des sozialen Sicherungssystems auf die Fahne geschrieben haben. Gegen die Blüms und Geißlers macht sich Wulff für einen „völligen Richtungswechsel“ stark, hin zu einem verschlankten und vereinfachten Staat und zu Sozialsystemen, die auf lange Sicht tragfähig sind. Bei aller Konkurrenz untereinander eint dieses Anliegen die Landesfürsten, mit ihrer massierten Attacke bringen sie das seit langem erstarrte Parteigefüge, das „System Kohl“, durcheinander. Die über die Stimmung am Hofe Kohl wohlinformierte Frankfurter Allgemeine Zeitung erblickt darin gar eine „Tabuverletzung“ gegen das selbstverleugnende Schweigegebot des Kanzlers.

Die schrillen Töne Wulffs trafen in der Partei allerdings auch auf einen guten Resonanzboden. Denn seit der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble über die Verlockungen einer Kanzlerschaft räsonierte, sind die Diadochen auf der Lauer. „Wer kommt nach Kohl?“ ist eine Frage von bislang nicht vermuteter Aktualität. Und deren Brisanz bleibt, bis der Kanzler darauf eine Antwort gibt. Schäuble muß seinen Führungsanspruch untermauern, indem er die Steuerreform zu einem respektablen Ende bringt. Denn er war es, der das Projekt gegen den Widerwillen Waigels in die Bahn gebracht hat und der es auf dem CDU-Parteitag in Hannover gegen den Unmut so manches Delegierten durchsetzte. Schon damals hat er vor den Lobbyisten und Klientelisten gewarnt, ohne sich allerdings allzusehr in der Sache festzulegen. Gelingt es ihm nicht, die Steuerreform durchzusetzen, werden sich die Zweifel an seiner Fähigkeit zur Kanzlerschaft wieder mehren. Dieter Rulff, Bonn

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