Der Einmannverlag: Die Katze im Sack
Erzählt man vom Guggolz Verlag, muss man auch vom Quizchampion erzählen. „Die Geschichte wollen immer alle hören“, sagt Sebastian Guggolz, Namensgeber und Gründer des Einmannverlags in Berlin, und lacht. 2015, der Verlag bestand damals seit zwei Jahren, hatte Guggolz Schulden. Lösungsorientiert meldete er sich bei verschiedenen Quizshows an, das ZDF lud ihn zu „Der Quizchampion“ ein, wo Guggolz gegen Prominente und Expert:innen antrat – und gewann. 250.000 Euro. Das reichte. Ein Gehalt zahlt sich der 1982 geborene Verlagschef jedoch weiterhin nicht aus, das Überleben sichern Nebenjobs.
Guggolz hat ortsspezifische Interessen. Nord- und Osteuropa sind die Einzugsgebiete seiner Bücher. Von den zwischen den Färöer und Armenien gesprochenen Sprachen versteht er keine. „Es fing alles an, als ich feststellte, dass es keine litauischen Klassiker auf Deutsch gibt“, erzählt er. Heute schon: Antanas Škėma, den man laut Guggolz auch den „litauischen Camus“ nennt, gehört seit 2017 zum Verlagsprogramm.
Ausschließlich verstorbene Schriftsteller:innen werden im Guggolz-Verlag verlegt. Mitunter sind diese auch in ihren Heimatländern längst vergessen. So ist manchmal Detektivarbeit gefragt. Sind die Verfasser:innen bereits seit mehr als 70 Jahren tot, verlöschen die Rechte etwaiger Nachfahren. Diese gilt es stets aufzuspüren. Gerade in Osteuropa, das staatsideologisch starke Umbrüche erlebte, sei das wegen im Exil lebender Angehöriger mitunter schwer, sagt Guggolz. „Da schreckt man manchmal auch einen Enkel auf, der von der Schriftsteller-Vergangenheit seines Großvaters nur dunkel wusste.“
Doch wie stößt Guggolz überhaupt auf Texte, die nicht übersetzt sind, ohne die jeweilige Sprache zu sprechen? „Ich arbeite sehr eng mit Übersetzer:innen zusammen, die mir gute Vorschläge unterbreiten“, sagt der Verleger. „Aber ja, ich kaufe oft die Katze im Sack.“ Starke Übersetzerfiguren seien ihm am liebsten, Doppelfiguren wie Esther Kinsky, die selbst Romane schreibt und bei Guggolz aus dem schottischen Englisch übersetzt. Neuübersetzungen lässt der Verleger jedoch ebenfalls anfertigen und nennt das Beispiel des Norwegers Tarjei Vesaas, der, einstmals sehr berühmt, in Deutschland weitgehend vergessen war. „Das hat oft auch mit Verlagskonstellationen zu tun“, sagt Guggolz. „Vesaas ist in den 1950er Jahren bei einem kleinen schweizerischen Verlag erschienen, der irgendwann pleitegegangen ist.“ Ihm sei es wichtig, zeitgenössische Übersetzungen für ein stets zeitverhaftetes Publikum anzubieten. „Dabei geht es nicht um Modernisierungen oder einen verklärenden, historisierenden Blick. Aber die zeitliche Lücke zwischen der Erstveröffentlichung und heute ist nicht zu überwinden. Ich möchte, dass man einem Buch seine Entstehungszeit und die der Übersetzerin anliest.“
Seine Aufgabe als Verleger sieht Guggolz darin, zu überlegen, welche Texte und Themen „heute immer noch oder wieder wichtig sind“. So habe er erst, als er einen ukrainischen Klassiker der 1920er Jahre übersetzen ließ, begriffen, wie entscheidend dieses Jahrzehnt für die ukrainische Kulturbildung war, markierte es doch praktisch den einzigen Zeitraum, in dem Literatur auf Ukrainisch erscheinen konnte. „Oder Ungarn“, sagt Guggolz, „das in den 1930er Jahre sehr hart von der Wirtschaftskrise betroffen war.“ Andor Endre Gelléri habe ihn auch die letzte Bankenkrise besser verstehen lassen.
Doch reizt ihn nicht der direktere Zugang auf Fragen der Zeit, durch zeitgenössische Literatur? „Nicht in meinem Verlag“, sagt Guggolz. „Aber dafür bin ich ja jetzt bei Fischer.“ Seit Ende letzten Jahres ist er bei dem Frankfurter S. Fischer Verlag angestellt, kuratiert nun das Klassikprogramm. „In Teilzeit“, betont er. Denn den eigenen Verlag betreibt er weiterhin. Seine „unstete Persönlichkeit“ sei es jedoch, die sich eben manchmal zu neuen Aufgaben überreden ließe. Julia Hubernagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen