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Der Doktor, der den Müllberg bezwingt

Seit 20 Jahren kämpft ein Essener Chefarzt um mehr Ökologie im Krankenhaus, jetzt wurde der erste Krankenhaus-Ökologe eingestellt  ■ Aus Essen Bettina Markmeyer

„Erst wenn Umwelt Geld kostet und man mit Umwelt Geld verdienen kann, wird sich etwas ändern, keinen Tag eher.“ Gesagt habe ihm das der eigene Bruder, der, hoch aufgestiegen in der chemischen Industrie, seine beharrliche Wühlarbeit belächelt haben mochte. Geglaubt habe er dem Bruder lange nicht, sagt Horst Pomp, Chefarzt der Frauenklinik im Essener Bethesda-Krankenhaus. „Heute sehe ich, mein Bruder hat recht. Aber es muß auch solche Idioten wie mich geben.“

Dem unorthodoxen Pragmatiker Pomp hat Hans Vogelsang, der erste Klinik-Ökologe Deutschlands seinen Job zu verdanken. Finanziert wird die Stelle von den Essener Krankenkassen. Selbst Arzt, war Vogelsang zuvor in einem Forschungsprojekt mit der Sondermüllentsorgung in Krankenhäusern befaßt.

Seit Jahren kämpft Horst Pomp schon für Umweltschutz im Krankenhaus. Heute läuft in seiner Klinik-Küche eine Spülmaschine mit Wärmerückgewinnung. Der Hygiene-Fimmel vergangener Jahre, und die, „mit hervorragender Public-relation vorgetragenen Industrieargumentationen, mit Einwegartikeln sei Arbeitskraft zu sparen, Arbeitsabläufe würden angenehmer gestaltet und ähnliches“ (Pomp) setzten Selbstverständlichkeiten wie Geschirr und Spülmaschinen außer Kraft. Die PatientInnen des Essener Uni-Klinikums füttern noch heute mit Lkw-Ladungen von Menüschalen, Folien und Portionspackungen die Müllverbrennungsanlagen. Ein Umstand, der die nordrhein-westfälischen Rechnungsprüfer auf den Plan rief. Die Unikliniken im ganzen Land sind Spitzenreiterinnen in Sachen Verschwendung und Abfall. Die Krankenhäuser in den alten Bundesländern produzieren zwei Millionen Tonnen Müll pro Jahr, ein Prozent des gesamten Dreckberges.

Hier setzte Pomp vor allem an. In Essen-Borbeck, wo früher 29.750 Einweg-Fläschchen pro Jahr weggeworfen wurden, trinken die Babys wieder aus Glasfläschchen. Schnuller werden gereinigt. Der sparsame Umgang mit sterilisierten OP-Tüchern, Instrumenten, Unterlagen, Desinfektionsmitteln, Gummihandschuhen, ja sogar mit Nahtmaterial ist an der Tagesordnung. Allein die Einschränkung der Desinfektionsmittel spart 30.000 Mark jährlich. Die Schwestern auf den Stationen sammeln Papier und Glas. Doch schon an der Krankenhaus-Pforte ignoriert, ja straft die Wegwerfgesellschaft zusätzliche Mühen: Die Entsorgungsfirma weigert sich, dem Krankenhaus einen Container vor die Tür zu stellen.

Horst Pomp hat gezeigt, daß seine Ideen zwei Prozent des Krankenhausetats einsparen, ohne Hygiene, PatientInnenversorgung oder Arbeitsbedingungen zu beeinträchtigen. Dieses Geld müsse für Öko-Investitionen angelegt werden, verlangt der Umweltschützer: „Zu gern wird versucht, mit den freiwerdenden Mitteln andere Haushaltsmittel aufzustocken“. Pomp will investieren: Sonnenkollektoren, zum Beispiel, sollen auf's Dach. Sein derzeitiges Projekt, einen OP-Atemschutz zu entwickeln, der die Einwegmasken ablösen und gleichzeitig besser funktionieren soll, kostet ebenfalls Geld. Andere Ideen rechnen sich bereits: Eine „Patientenbar“ auf den Stationen liefert heute frisches, mit Kohlensäure versetztes Mineralwasser aus dem Hahn. Der motorisierte An- und Abtransport von über 130.000 Pfandflaschen pro Jahr entfällt damit.

Mit einer dreimal verpackten Plastik-Einwegspritze kann im Essener Bethesda-Krankenhaus heute keine Firma mehr verdienen. Es bedurfte vor allem des ausdrücklichen Verzichts auf umweltschädliches Medizingerät und erst nach zahllosen Auseinandersetzungen reagierten erste Lieferanten. Inzwischen kann jede Klinik Mehrweg-Anti-Thrombosestrümpfe, Mehrweg-Absaugsysteme oder sparsame und weniger giftige Reinigungs- und Desinfektionsmittel zumindest bei einigen Medizinartikel-Herstellern kaufen. Doch die wenigsten tun es. Bisher beispielsweise das städtische Klinikum in Braunschweig, die Uni-Klinik Freiburg, das Elisabeth-Krankenhaus in Straubing.

Bisher haben sich 90 von 3.200 westdeutschen Krankenhäusern zusammengeschlossen, um durch Erfahrungsaustausch im ökologischen Management weiterzukommen — und es werden mehr. Aus der Hygieneabteilung der Freiburger Uni-Klinik kommt die jüngst fertiggestellte „Abfallfibel für Kliniken“. Vielerorts drängt das Personal auf mehr Umweltschutz.

Horst Pomp, der „Spinner“ von einst, der dem Stimmungsumschwung in Sachen Umweltschutz inzwischen ein Bundesverdienstkreuz zu verdanken hat, lädt heute zu Kongressen. Schon Ende der 60er Jahre engagierte er sich im Ruhrgebiet gegen die Luftverschmutzung, gehörte 1973 zu den GründerInnen der „Essener Aktion gegen Umweltzerstörung“, macht sich neuerdings gegen die Müllverbrennung stark. Sein Credo „Ökologie ist der beste Gesundheitsschutz“ ist heute Allgemeingut. Rückhalt fand der Arzt anfangs jedoch nur im eigenen Krankenhaus. Allein „die Aufgabe von Unsinnigkeiten“ und umweltschädlicher DIN-Vorschriften oder die Trägheit der Behörden erforderten enorm viel Zeit und Überzeugungskraft, seufzt Pomp. Aufzugeben jedoch ist dem Chefarzt im wohl gesündesten unter den konventionellen Krankenhäusern nie in den Sinn gekommen.

Am 30. Und 31. Mai 1991 findet im Kongreßzentrum des Medizinischen Betreuungszentrums in Berlin-Lichtenberg der 2. Praxisnahe Kongreß zum „Umweltschutz im Krankenhaus“ statt. Veranstalter ist der bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewußtes Management (B.A.U.M.), Tinsdaler Kirchweg 211, 2000 Hamburg 56, Tel.: 040/810101. — Die Abfallfibel für Kliniken gibt es beim Leiter der Klinikhygiene am Klinikum der Albert-Ludwig-Universität, Hugstetterstr. 55, 7800 Freiburg.

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