: Der Besen als lockendes Lustobjekt
■ Das Teatro Imediato tanzt El dia que... Impressionen der Einsamkeit zu Tango-Musik
An einem Bistro-Tisch sitzen zwei Frauen, deren Aufmachung verrät, daß sie noch etwas erleben möchten. Die eine mit rotgeschminkten Lippen und tiefausgeschnittenem Decolleté (Cecília Amado), die andere mit Schlitz im Kleid (Silke Mühlenstedt). Unruhig zappeln sie auf ihren Stühlen und warten darauf, von einem Herrn zum Tanz aufgefordert zu werden.
Dieser Herr kommt zuerst in Gestalt Cecília Amados, die den Prototypen eines südländischen Machos mimt. Während sie im eleganten Tweedanzug und mit tief ins Gesicht heruntergezogenem Schlapphut draufgängerisch auf das Objekt der Begierde losgeht, verwandelt sich Silke Mühlenstedt in eine schüchterne Lehrerfigur mit Pferdeschwanz und Hornbrille. Zur Tango-Musik erfüllt sich für die Dauer eines Tanzes die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit.
Beinahe jedenfalls. Denn die für den harmonischen Tango so typische Vermischung von Strenge und Leidenschaft wird von Cecília Amado und Silke Mühlenstedt immer wieder karikiert. Etwa wenn der Macho aufgrund seiner Körpergröße so gar nicht zu seiner Partnerin passen will – er stößt ständig mit seiner Nase an ihre Brust.
Mit dem Stück El dia que... Impressionen der Einsamkeit spürt Regisseur Jacob Fries der Faszination des Tangos nach. Denn Tango, so sagt er, ist mehr als nur ein Tanz. Es ist der Versuch, mit der Sprache des Körpers der existentiellen Einsamkeit entgegenzutreten und sie in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht zu überwinden. „Theater der Poesie“nennt Fries sein Konzept, das Tanz, Musik, Sprache und Pantomime als gleichberechtigte Mittel akzeptiert. Es soll über den Bauch in den Kopf gehen. Daher auch der Name der Gruppe: Teatro Imediato, Theater direkt.
Der Regisseur hält, was er verspricht. Gerade die Erweiterung durch pantomimische Elemente trägt dazu bei, der melancholischen Grundstimmung komische Seiten abzugewinnen. Am Ende bleiben zwar alle allein. Aber Cecília Amado hat gezeigt, wie mittels Tanz und Phantasie aus einem Stuhl oder einem Besen ein menschliches Wesen entsteht. Auch das ist schließlich ein Weg aus der Einsamkeit.
Joachim Dicks
Nächste Vorstellungen: Freitag - Sonntag, 6.-8. Februar, jeweils 20.30 Uhr, Theater Theatron, Glashüttenstraße 113
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