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Der Auftrag heißt Irreführung

■ Das Forschungsministerium will den deutschen Wald per Dekret gesund schreiben. Selbst der Forstminister hält den kühnen Vorstoß für Schwachsinn

Zuerst hieß das Zahlenwerk der Bundesregierung „Waldschadensbilanz“, dann Bericht über „neuartige Waldschäden“, seit 1991 „Waldzustandsbericht“. 1992 wies der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) darauf hin, daß Sachsen, nach Rodung der großflächig zerstörten Wälder des Erzgebirges, von einem Spitzenplatz ins Mittelfeld der Waldsterbenshitparade abgerutscht sei. Weil die Abholzung der Baumleichen die Schadensfläche dezimierte, ging auch das Waldsterben zurück. So wurde und wird bis heute überall verfahren.

Mit dem statistischen Trick, empörten sich die Naturschützer, habe die Politik das wirksamste Mittel gegen das Waldsterben erfunden: „Wo kein Wald ist, ist auch kein Waldsterben.“

Doch der BUND irrte. Die Phantasie der Bonner Ministerialen war damit nicht erschöpft. Das beweist eindrucksvoll ein Argumentationspapier, das das Bonner Forschungsministerium (BMBF) Ende September mit der Bitte um Stellungnahme an 16 handverlesene Waldexperten der Republik schickte. Titel des Pamphlets: „Der Waldzustandsbericht der Bundesregierung – Argumente für eine Revision“. Schon im Anschreiben lassen die Autoren aus dem Rüttgers-Referat 421 keinen Zweifel am Zweck der vorgeschlagenen Operation. Textprobe: „Die amtlichen Zahlen des Waldzustandsberichts geben jedes Jahr Anlaß zu umfangreichen, ausnahmslos kritischen Kommentierungen in den Medien.“ Längst sei der Bericht der Bundesregierung „die einzige verbliebene seriöse Informationsquelle für die zahlreichen Stimmen, die weiterhin vor einer bevorstehenden katastrophalen Entwicklung unserer Wälder warnen“. Dem solle die angekündigte „Revision“ abhelfen.

Die von den Forstverwaltungen der Länder jährlich erhobenen und vom Bundeslandwirtschaftsministerium zusammengefügten flächendeckenden Daten über die Waldschäden stützen sich vor allem auf Beobachtungen der sogenannten „Kronenverlichtung“, also den Grad der Nadel- oder Blattverluste gegenüber einem als „gesund“ definierten Normalzustand. Bisher gelten Bäume mit weniger als zehn Prozent Kronenverlichtung als gesund. Die Schadstufe 1 („Warnstufe“) umfaßt kränkelnde Bäume mit bis zu 25 Prozent Blatt- oder Nadelverlusten. Als „deutlich geschädigt“ (Schadstufen 2 bis 4) werden Bäume mit 26 bis 100 Prozent („abgestorben“) Nadel- oder Blattverlust eingestuft.

Nach den Vorstellungen des BMBF sollen die „Schadstufen“ ab 1997 neu erfunden werden – und zwar so, daß der Wald, der seit Jahren in rund drei Fünfteln seiner Fläche als kränkelnd oder krank gilt, schlagartig bis auf einen Rest von unter zehn Prozent gesundet.

Auch kritische Forstwissenschaftler bestreiten nicht, daß der Gesundheitszustand der Wälder nicht allein aus dem Kriterium „Kronenverlichtung“ abgeleitet werden kann. Erstens, weil nicht jeder Blatt- oder Nadelverlust eine Krankheit anzeigt. Zweitens, weil aus der Kronenverlichtung nur schwer allgemeine Rückschlüsse zu ziehen sind auf die Ursachen bestimmter Veränderungen.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, daß neben den Schadstoffemissionen aus Autoverkehr, Kraftwerken, Industrie und Haushalten ein ganzes Bündel anderer Effekte für die Waldgesundheit eine Rolle spielt – Wetterextreme wie Trockenheit, Frost oder Sturm, die Standortbedingungen oder auch klimatische Veränderungen durch den Treibhauseffekt.

Nach den Vorschlägen aus dem Hause Rüttgers sollen künftig alle Bäume gesunddefiniert werden, die nicht mehr als 45 Prozent – also fast die Hälfte – ihrer Blätter oder Nadeln verloren haben. Eine Idee, die selbst konservative Fachleute wie der Freiburger Waldforscher Heinrich Spiecker als „willkürlich und wenig weiterführend“ bezeichnen. Statt Quellen zu nennen, legen die Rüttgers-Beamten größten Wert auf die sprachliche Entsorgung der hergebrachten Bewertung der Waldschäden. Blatt- und Nadelverluste bis 45 Prozent dürften künftig „nicht mehr mit dem Begriff „Schaden“ in Verbindung“ gebracht werden. Aus „Schadstufen“ würden „Zustandsstufen“, Kronenverlichtungen unterhalb der 45-Prozent-Schwelle einem „Elastizitätsbereich“ oder der „natürlichen Variabilität“ zugeordnet.

Selbst im Bonner Forstministerium, das die „Waldzustandsberichte“ zusammenstellt, empfinden die Fachleute die 45-Prozent- Idee des Zukunftsministers als „wenig zielführend“. Mit einer solchen Änderung würde den seit 1984 erhobenen Walddaten ihre wichtigste Qualität genommen: Die Kontinuität, die allein mittelfristige Trends von kurzfristigen Ausschlägen beispielsweise aufgrund der Wetterbedingungen zu unterscheiden vermag.

Mit einigem Stolz erinnern die Beamten des Landwirtschaftsministeriums daran, daß der Waldzustand mittlerweile in 30 europäischen Staaten nach der hierzulande praktizierten Methode erhoben werde. Völlig falsch könne sie wohl nicht sein. Im Berliner Umweltbundesamt herrscht Empörung: Der Druck aus dem BMBF sei nicht neu. Schon in der Vergangenheit sei es stets darum gegangen, mit „Rechenkunststücken“ den Wald zu sanieren. Dazu bestehe nicht der geringste Anlaß.

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