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Der Aufstand der reichen Regionen

Nicht mehr die armen Provinzen ziehen gegen das Zentrum zu Felde, sondern die wohlhabenden, die nicht länger teilen wollen  ■ Aus Rom Werner Raith

Daß Flamen und Wallonen seit jeher nicht miteinander können und daher auseinanderstreben, weiß man; daß die Nordiren sich den britischen Herrschern nicht beugen wollen ebenfalls. Daß in Spanien die Basken und die Katalanen sich nur ungern aus Madrid regieren lassen, tun sie der Welt mit unterschiedlich lauten Knallern alle paar Wochen kund; und daß die Südtiroler sich auch nach einem dreiviertel Jahrhundert zwangsweiser Zugehörigkeit zum Stiefel lieber nach Norden orientieren, erfährt man aus den Graffiti in Bozen und den Rundfunksendern der ganzen Provinz. Insofern ist die Tendenz, die großen Zentralstaaten mit Autonomiebegehren zu nerven, nichts Neues. Neu ist jedoch, daß die Vorreiter der Selbständigkeitsbewegungen gewechselt haben. Nicht mehr nur die armen und offenkundig aus ideologischen oder wirtschaftlichen Gründen unterdrückten Regionen wollen sich von den Zentralen abspalten, sondern immer öfter auch gerade die Prunkprovinzen der betreffenden Länder. Und oft sind es gerade ehemalige Verfechter straffer staatlicher Einheit, die nun voranmarschieren. Zum Beispiel hat sich in Spanien neben dem Baskenland und Katalonien nun auch in der Provinz Galizien eine Autonomiebewegung entwickelt, die ausgerechnet von einem ehemaligen Minister des Franco-Regimes, Manuel Fraga Iribarne, angeführt wird.

In Norditalien hat der Wahlerfolg der separatistisch-fremdenfeindlichen „Ligen“ mittlerweile alle Parteien gezwungen, über eine größtmögliche Autonomie jener Regionen nachzudenken, die zwar nur knapp ein Drittel des Territoriums und kaum ein Viertel der Einwohner umfassen, doch mehr als 60Prozent des nationalen Reichtums ihr Eigen nennen — etwa die Lombardei mit dem Geld- und Börsenplatz Mailand, Piemont mit der Industriezentrale Turin und das ebenfalls durch Großindustrie geprägte Veneto.

In Schottland fahren Abnabler ebenfalls beträchtliche Erfolge ein: Die „Scottish National Party“ bekam bei den Unterhauswahlen gleich mehrere Prozent dazu — obwohl das britische Wahlsystem ihr das nicht honorierte und vielmehr gar einen der beiden bisherigen Sitze wegknapste. Auch hier geht es um die Neuverteilung des Reichtums, jedenfalls nach Ansicht der Schotten. Sie reklamieren, ganz analog zu Norditalien, daß sie den Süden alimentieren. Als Argumente müssen das Nordseeöl vor ihren Küsten, die Whisky-Produktion und selbst die nun engültig stillgelegten Stahlwerke herhalten. Letztere wurden, so die schottische Grundüberzeugung, nicht wegen der weltweiten Krise auf diesem Sektor geschlossen, sondern aus purer Schikane der Londoner Tories.

In ihren konkreten Plänen unterscheiden sich die Regionalisten allerdings beträchtlich — die Forderungen gehen von einem eher bescheidenen „Freistaat“-Status nach Bayern- Art mit weitreichender Kulturhoheit, der auf der EG-Ebene durch eine Regionalkammer politische Mitsprache erhält, bis hin zu einer De-facto-Auflösung der Zentralstaaten. Schon länger spielt man mit diesem Gedanken in Belgien. Seit die regionalistischen „Ligen“ in Italien mit einem entsprechenden Programm auf Anhieb zehn Prozent der Stimmen im ganzen Land und in den eigenen Gebieten bis zu einem Drittel aller Wähler gewannen, wird das Modell auch andernorts attraktiv. Nach ihrer Vorstellung soll vom Zentralstaat nur noch eine eher lose Föderation von (in Italien drei) „Teil-Republiken“ übrigbleiben, die sich um die Koordinierung (nicht Leitung) der Außen- und Verteidigungspolitik kümmern darf.

Das Argument, die Zerstückelung des großen Gebildes Zentralstaat sei notwendig, um mit kleineren Polit- und Verwaltungseinheiten bürgernäher und gerechter regieren zu können, wirkt dabei nicht immer besonders überzeugend. Denn die Führung der oberitalienischen „Ligen“, kaum dem Ziel einer Separation von Rom nähergekommen, träumt schon von einer Erweiterung ihres Territoriums — statt in Richtung Süden, dem man bisher verbunden war, nun nach Ost, West und Nord, nach Slowenien, Kroatien, nach Vorarlberg und ins Tessin, also überall dorthin, wo Italienisch gesprochen wird. Dies will man allerdings nicht als „Annexion“ verstanden wissen, wie einer Studie der „Ligen“ zu entnehmen ist, sondern „als Schaffung einer transnationalen Großregion“.

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