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Archiv-Artikel

Der Armani-Mann

So wechselt man in Würde vom Vorstadtstechertum ins Charakterfach. George Michael ist aus Anlass seines 25-jährigen Bühnenjubiläums auf Tour. Montag war er in Berlin

Wenn das nicht etwas Besonderes ist: ein Konzert, auf dem man seinen Friseur, seinen Dealer und seinen Vermieter trifft (und dafür keinen seiner Freunde oder Kollegen). Vor elf Jahren war George Michael das letzte Mal in Berlin: bei den MTV European Music Awards 1994, als das Brandenburger Tor wunderbar fliedern eingefärbt und damit hellsichtig der Berliner Übergang von dunkler deutscher Vergangenheit in die heitere Popkulturzukunft signalisiert wurde. Und nun ist er wieder da. Ohne wirklichen Anlass zwar, auch wenn es die Tour zum 25-jährigen Bühnenjubiläum sein soll und eine dazugehörige Best-of-Doppel-CD auf den Markt gekommen ist. Diese unterscheidet sich allerdings nur unwesentlich von der Werkübersicht aus den späten Neunzigern und einen großen Teil der 25 Jahre ist George Michael wegen eines Streits mit seiner Plattenfirma überhaupt nicht aufgetreten – doch das ist im Grunde auch unwichtig. Wer Musik auf aktuelle Statements hin hört, ist ohnehin zu Hause geblieben. Bei George Michael geht es um anderes.

Etwa um seine Stimme. Diesen wunderbaren George-Michael-Tenor, die einzige weiße Soulstimme der vergangenen zwanzig Jahre. Oder um diese ganz eigene Körpersprache, die er seit den Wham!-Tagen entwickelt hat. Diese Art, wie er die Hüften schwenkt, mit angewinkelten Armen in die Hände klatscht und dabei glücklich den Kopf zur Seite wirft. Und um die Hits geht es, selbstverständlich. 25 Jahre Gefühl und Erinnerungen an Gefühl. Vom „Wham Rap“ über „I’m Your Man“ und „Careless Whisper“ bis zu „Fastlove“.

Es sind zwei Genres, die George Michael mit gleicher Perfektion bespielt. Da gibt es die Uptempo-Nummern wie „Flawless“ oder eben „Fastlove“, die das Konzert auch einleiten. Sie funktionieren nach dem Prinzip „House für alle“, sind über einen mächtigen, rumsenden Four-To-The-Floor-Beat gebaut und holen das Publikum da ab, wo es steht: Eine Gruppe Jungs beginnt bei „Star People“ zu tanzen, als seien sie Go-go-Tänzer und hätten ein Podest.

Und es gibt die so bewegenden wie rührenden Downtempo-Stücke wie „Jesus To A Child“ oder Roberta Flacks „The First Time Ever I Saw Your Face“ – George Michael gibt sie ganz alleine, einzeln angestrahlt im Dunkel der Riesenbühne, als wollte er Ansprüche auf eine kommende Karriere anmelden, die des Frank Sinatra für das Jahr 2015, des großen Entertainers, der sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Songbook der populären Musik zu singen vermag.

Tatsächlich ist George Michaels Karriere ja auch ein wunderbarer Entwicklungsroman: Zum einen jener von der blondierten Euphorie des Teeniestars mit Wham! zum Eisdielen-Machismo seines ersten Solo-Albums „Faith“, als er sich gerne in verwaschenen Jeans, weißen Feinripp-Unterhemden und Tropfen-Sonnenbrille ablichten ließ. Für „Listen Without Prejudice“ überließ er die visuelle Kommunikation den damals gerade neu erschaffenen Supermodels, um schließlich mit „Older“, einem der schönsten Alben der Neunziger, wieder aufzutauchen: als der Armani-Mann mit offenem Hemd und goldenem Kreuz auf der Brust, der er seither geblieben ist und als der er hier auf der Bühne steht. Bis der Seidenanzug durchgeschwitzt ist.

Zum anderen erzählt George Michael aber noch eine andere Geschichte: wie man es mit Würde schafft, vom fröhlichen Vorstadtstechertum und Mädchenschwarmdasein in die Charakterrolle desjenigen überzuwechseln, der seinen Lebensgefährten verliert. Wie man schwul wird, ohne damit hausieren gehen zu müssen – und wie man in dem Augenblick, als man für seine sexuelle Identität an den Pranger gestellt werden soll, alles richtig machen kann. Indem man nämlich ein libertinäres Lieben-und-lieben-lassen-Utopia entwirft, in dem für alle Platz ist. „Outside“, das Stück, in dem er den Skandal um seine Verhaftung auf einer öffentlichen Toilette in Los Angeles verarbeitete, war dann auch das am stärksten umjubelte Stück des Abends.

Schön auch, wie es ihm gelingt, dem amerikanischen Präsidenten sogar das Cowboy-Image zu entreißen, indem er ihn als Comicfigur aus dem „Shoot The Dog“-Video in einer den Village People nachempfundenen Popgruppe tanzen lässt.

TOBIAS RAPP