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Der Anwalt der Umwelt

Morddrohungen und Hassbotschaften in den sozialen Netzwerken sind für Jürgen Resch Alltag geworden. Doch der Mann, der seit 35 Jahren Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe ist, hat sich davon noch nie einschüchtern lassen. Vor wenigen Tagen sprach er bei „Ökozid“ im Stuttgarter Staatstheater.

DUH-Chef Jürgen Resch vor seinem Auftritt in Stuttgart. Foto: Jens Volle

Von Verena Großkreutz↓

Jürgen Resch sitzt gerade im ICE auf dem Weg von Berlin nach München. Wir führen das Interview übers Telefon. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) war gerade beim Verbände­gespräch der Umweltminister-Konferenz, wo er sich wieder einmal für drei wichtige Maßnahmen eingesetzt hat: gegen Stilllegungen von Bahnstrecken, für die Einführung eines bundesweit gültigen 365-­Euro-Klimatickets und natürlich für das Tempolimit.

100 km/h auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 in der Stadt fordert die DUH seit Langem. „Es gibt im Bereich der Energieeinsparung und Reduktion von Klimagasemissionen keine andere Maßnahme im Verkehrs­bereich, die so schnell und effizient durchgeführt werden könnte“, sagt Resch, „kostenlos und mit sofortiger Wirkung“. Denn man brauche dafür keine neuen Gesetze, die gebe es seit 1973, aus der Zeit der Ölkrise. Man könne das einfach verfügen. Zehn Millionen Liter Diesel und Benzin wären das täglich weniger. Staus und andere Überlastungen würden dadurch deutlich zurückgehen auf den Straßen. „Weil die Aufnahme­fähigkeit von Straßen bei diesen Geschwindigkeiten einfach höher ist“, erklärt er.

Resch ist auf dem Weg nach Hause, an den Bodensee. Am Münchner Hauptbahnhof wird er sein E-Auto nehmen und noch einen Zwischenhalt in Buchloe im Ostallgäu einlegen. Dort wird er der Verabschiedung des Geschäftsführers der mehrwegorientierten Getränkemarkt-Firma Fristo, Andreas Brügel, beiwohnen, der in den Ruhestand geht. Gemeinsam mit dem Getränkefachhandel, den kleinen Brauereien und Mineralbrunnen kämpft Resch seit Jahren für den Erhalt des deutschen, aktuell weltweit größten Mehr­weg­systems. Es geht ihm um eine echte Verpackungsvermeidung und eben nicht um ein „Fake-Recycling“ von Einwegverpackungen. Auf der Gegenseite: die Konzerne Coca-Cola, Nestlé und Danone, die in vielen Ländern die Mehrwegsysteme zu Fall gebracht haben.

In „Ökozid“ ist Reschs Lebensthema auf der Bühne

Aber in den letzten Tagen war der 62-Jährige wegen ganz anderer Dinge in den Schlagzeilen. Es gab Mord- und Folter­andro­hun­gen gegen ihn in den sozialen Netzwerken – in Zusammenhang mit seinem geplanten Auftritt in „Ökozid“ am Stuttgarter Staatsschauspiel. „Ökozid“ ist eine Bühnen-Adaption des gleichnamigen ARD-Films von Andres Veiel, die der Stuttgarter Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski inszeniert hat. Der Plot ist fiktiv und spielt in der nahen Zukunft, im Jahr 2034. 31 Länder des globalen Südens verklagen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof auf Schadensersatz. Durch die Blockade europäischer Klimaschutzmaßnahmen habe die Bundesrepublik ihre völkerrechtliche Pflicht verletzt, einer Erhöhung der weltweiten CO2-Konzentration, die fast ausschließlich durch Verbrennungsprozesse verursacht wird, entgegenzuwirken.

Im Intro des Theaterabends, der seit vergangenem September auf dem Spielplan steht, treten jeweils wechselnde internationale Gast­redne­r:in­nen auf: ganz reale Umwelt­akti­vist:in­nen, die über ihre Arbeit und den Zustand ihres Landes sprechen. Am vergangenen Samstag also Resch, denn der lässt sich nicht einschüchtern. Es ist ja auch sein Lebensthema: genau das zu verhindern, was im Stück verhandelt wird.

Im Falle Stuttgarts steht für Resch fest: Die hiesige Automobilindustrie müsse „die Kurve kriegen“, um nicht zum zweiten Detroit zu werden. „Jedes Jahr kommen 500.000 Autos mehr auf deutsche Straßen, anstatt dass sie abgemeldet werden. Ich glaube, dass die Autoindustrie in Stuttgart nur eine Überlebenschance hat, wenn sie sich an die Spitze des Ver­bren­ner­aus­stiegs stellt und auf klimaverträgliche effiziente Fahrzeuge setzt. Und sich selbst darum kümmert, Ladenetze aufzubauen. Und nicht auf den Staat wartet.“ Statt E-Autos zu bauen, setze Daimler aber auf den SUV, auf diesen „Stadtpanzer“. Nur ein paar hundert Meter vom Schauspielhaus entfernt, im Landgericht, läuft deshalb derzeit eine Klimaklage der drei DUH-Bundesgeschäftsführer gegen Mercedes-Benz. Der Konzern soll bis 2030 den Verkauf von Verbrenner-Neuwagen weltweit einstellen.

Die Mord- und Folterandrohungen, die üblen Beschimpfungen der Person Resch, die ein paar Tage zuvor als Kom­men­tare auch auf der Facebook-Seite des Stuttgarter Schauspiels aufgetaucht waren und längst gelöscht wurden, seien zunächst „ein Schock“ gewesen, berichtet der Intendant Burkhard C. Kosminski. Schließlich sei ja auch gedroht worden, das Theater in die Luft zu sprengen. Aber schnell war klar, dass man damit an die Öffentlichkeit müsse. Die Drohungen gegen Resch wurden zur Anzeige gebracht. Seitdem sei Ruhe, sagt Kosminski einen Tag vor dem Event im Schauspielhaus. Die Gefahr werde vom BKA und der Polizei als gering eingeschätzt. Polizei werde aber natürlich vor Ort anwesend sein. In abgeschwächter Form habe es solche Anfeindungen auch gegeben, als die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future in „Ökozid“ aufgetreten ist.

Mercedes-Benz-Chef Källenius will lieber nicht reden

Trotzdem wurde Kosminski vom krassen Hass gegen Resch überrascht. „Schließlich hatten wir als Red­ne­r:in­nen ja auch Leute aus der Wirtschaft und Automobilindustrie angefragt. Etwa alle Vorstände von Mercedes, Porsche und VW. Aber alle haben abgesagt. Herrn Källenius, den Vorstandsvorsitzenden von Mercedes-Benz, habe ich sogar zweimal eingeladen. Der hat nicht mal geantwortet. Und Herr Zetsche hat mitgeteilt, dass es ihm termin­lich nicht möglich sei zu kommen. Dabei hatten wir gar keinen festen Termin angefragt.“ Gründe für die Verweigerung eines Gedankenaustauschs? „Wir hören da raus“, sagt Kosminski, „dass die Kommunikationsabteilungen den Leuten raten: Da könnt ihr nicht gewinnen.“ Das sei sehr schade, denn kontroverse Positionen hätten seine „Ökozid“-Inszenierung erst richtig interessant gemacht. „Aber die haben alle gekniffen“, resümiert er.

Woher die Morddrohungen gegen Resch kamen, war schnell klar. Kommentare wie „Sein Ableben wäre eine Erlösung für Deutschland. Ein wahrer Grund zur Freude“ oder „schickt den mal Fallschirmspringen – aber mit dem Fallschirm vom Möllemann“ stammen aus der Facebook-Gruppe „Stoppt die DUH“, die 50.000 Mitglieder hat, also aus dem Kreis derer, für die Resch, der bekannt ist für seine erfolgreichen Klagen gegen die Automobil­industrie, ein rotes Tuch ist. Von dort wie auch aus der Facebook-Gruppe „Gegen die Deutsche Umwelthilfe“ mit über 20.000 Followern wird Resch schon seit längerem bedroht. Da werde diskutiert, was ein Profikiller koste und ob man für den Mord an Resch zusammenlegen wolle oder wie man die Exekution durchführe, erklärt Resch. Und es werden Lügen über ihn verbreitet, die ihn zum „Pharisäer“ abstempeln sollen. Massiv passiert das seit 2019, nachdem die DUH ein breites Bündnis für ein generelles Tempolimit auf den Plan gebracht hat.

Rechte Foren hetzen gegen Umweltaktivist:innen

Wes Geistes Kind diese von rechts infil­trier­ten Foren sind und von wem die Gewaltfantasien gegen Resch befördert werden, hat Kontext im vergangenen Novem­ber genau recherchiert: Die Spur führt zum dubiosen, mit Verschwörungstheorien und Fremdenfeindlichkeit infizierten Münchner Automobilverein „Mobil in Deutschland“, dessen Gründer und Präsident Michael Haberland mit seinem Verein „ein Gegenstück zur Deutschen Umwelthilfe“ sein will samt einer „Allianz gegen Tempolimit“. In der Vereins­publikation „Mobil“ als Verbreiter fake-news-unterfütterter Steinzeitthesen wird viel Geld gemacht im Anzeigenbereich: Dort inserieren Autohersteller und Ölkonzerne auffallend häufig. Resch sieht in diesem Verein „einen Kampfverband der Automobil­industrie“.

Resch stellt stets Strafanzeige gegen Morddrohungen. Zudem führt er vor dem Landgericht in Berlin eine persönliche Klage gegen den Facebook-Konzern Meta. „Ich finde es unglaublich, dass ein soziales Netzwerk viel Geld damit macht, geschützte Räume zu schaffen, wo man Hass schüren und zu Mord und Folter aufrufen kann“, sagte er. „Wenn der demokratische Diskurs, der Austausch von Argumenten, dadurch erschwert wird, dass die Leute fast schon automatisch bedroht werden, wenn anderen ihre Meinung nicht passt, dann glaube ich, dass unsere Zivil­gesellschaft einen massiven Schaden nimmt.“

Wie auch im Kampf für die Umwelt ist Resch fest davon überzeugt, dass sich nur über öffentlichen Druck der NGOs wie die DUH und notfalls Gerichtsentscheide wirklich etwas verändern lässt an den Missständen. Die Erfolge der DUH geben ihm auf ganzer Linie Recht: Von der Einführung des Dosenpfands, des Partikelfilters und der schwefelfreien Kraftstoffe über die Aufdeckung des Diesel-Abgasskandals bis zu den Dieselfahrverboten und grünen Umweltzonen in deutschen Städten waren die Entscheidungen der Gerichte ausschlaggebend.

Bis 2018 gab es massiven Gegenwind der Autoindustrie in Gestalt von Klagen, Drohbriefen, einstweiligen Verfügungen, die die Arbeit der DUH erschwerten. „Nachdem sie alle Verfahren verloren hatte, verklagte sie uns allerdings nicht mehr“, so Resch. Zudem beschloss die CDU auf ihrem Parteitag Ende 2018, die Gemeinnützigkeit der DUH prüfen zu lassen, ihr das Klagerecht zu entziehen und dafür zu sorgen, dass der Verein keine Mittel mehr aus dem Bundeshaushalt erhält. Ebenfalls ohne Erfolg.

Am Schauspielhaus bleibt alles ruhig am 9. Juli. In der TV-Version von „Ökozid“ hat Jürgen Resch einen Auftritt als Zeuge der Anklage, gespielt von Falk Rockstroh. In Stuttgart übernimmt der Schauspieler ­Boris Burgstaller die Rolle und bietet eine kabarettistische Einlage als Kritiker des Daimler-Konzerns und dessen dreistes SUV-Greenwashings. Das ist im Theater eine unterhaltende Lachnummer – in echt zeigt sich Resch, der Anwalt der Umwelt, in der besonnenen, faktenfundierten, eloquenten Haltung des Aufklärers.

So ist das auch in seiner realen Rede zu Beginn von „Ökozid“, in der er zunächst beschreibt, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Etwa wie er während seines Zivil­dienstes bei der Umweltorganisation BUND beobachtete, wie eine Singdrossel, die vor ihm auf einem Ast saß, so wunderschön sang – und dann plötzlich unter Krämpfen zu Boden fiel und später qualvoll starb, wie dann hunderte andere Singvögel, Eulen und Bussarde damals am Bodensee. Und dass man dann herausfand, dass das Pestizid Endrin die Ursache war. Seine anschließende BUND-Kampagne erstritt in nur fünf Monaten ein Endrin-Verbot. Ein Erfolg, der Resch geprägt und dazu gebracht hat, sich seit 40 Jahren hauptberuflich in Umweltschutz-Verbänden zu engagieren.

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