: Der Alltag der Kreissäge
Klänge zerfallen in Stille: In der Konzertreihe „Winter Music“ sind heute in der Akademie der Künste konzentrierte Konzerte von Beat Furrer und Matthias Spahlinger zu hören
Das Motto ist, na ja, ein bisschen fahrlässig gewählt: „Akademische Lust.“ Da hat man sofort einen überengagierten Dozenten vor Augen, der Wörter wie „spannend“ und „Tellerrand“ im Munde führt. Und was, bitte, hat „akademische Lust“ in einem Konzert zu suchen? Meint man ihn am Ende in Mauricio Kagel gefunden zu haben? Der steht, als großer Jubilar, der am heiligen Abend dieses Jahres circa 70.000 Jahre alt wird, im Mittelpunkt des Festivals. Oder möchte man darauf hinweisen, dass noch die knöchernsten Konzepte am Ende Musik von archaischer Wirkung zeitigen, dass der programmierte Komponist Iannis Xenakis, der entmaterialisierte Komponist Matthias Spahlinger bewegen?
Die von der Akademie der Künste zum zweiten Mal ausgetragene Konzertreihe „Winter Music“ stellt, wie bereits im vorigen Jahr, ein liebevoll zurechtsortiertes, aber auch heterogenes Programm vor. Mit einer Inszenierung des „Staatstheaters“ von Mauricio Kagel hat man ein Werk auf die Beine gestellt, das als Epoche machend gilt.
Es wird um 1960 gewesen sein, als Kagel beim Komponieren nicht mehr nur Töne vorschrieb, sondern auch Gesten. Die Entdeckung dieses instrumentalen Theaters verführte den gebürtigen Argentinier in den Sechzigerjahren zu einem Katalog musikalischer Gesten, die stets knapp am Slapstick vorbeistreifen.
„Staatstheater“, das 1971 in Hamburg zur Uraufführung kam und das heute in einer Inszenierung von Christian Kesten zu sehen ist, ist das Opus magnum des instrumentalen Theaters. Der Dirigent der Aufführung darf – so die Partitur – jung sein, soll sich aber zum Greis schminken lassen, um der Aufführung die Würde einer maestrosen Leitung zu verleihen. Im Abschnitt „Kontra/Danse“ werden dezidierte Nichttänzer um eine perfekte Ballettdarbietung gebeten, die sie schlicht nicht liefern können. Dass man „akademische Lust“ nun in einem Werk der späten Sechzigerjahre sucht, grenzt ans Tautologische. „Staatstheater“ stinkt vor studentenrevoltierendem Geist. Es ist, wie der Kagel-Exeget Werner Klüppelholz resümierte, „radikale Negation“.
Eine jüngere Komponistengeneration, namentlich Beat Furrer und Matthias Spahlinger, haben mit Kagels kulturpessimistischer Haltung nichts gemein. Wo Kagel mit dem Gestus der breitspurigen Moderne zum Rundumschlag ansetzt, konzentrieren sich Furrer und Spahlinger in postmoderner Bescheidenheit auf kleine Projekte. Furrer, der heute das Eröffnungskonzert mit dem Kammerensemble Neue Musik Berlin leitet, setzt mit „still“ (1998) den Arbeitstag einer Kreissäge ins Werk, bis die Blechbläser wie Blattzähne in Holzfasern stecken bleiben. Spahlinger hingegen überführt die forensischen Termini „Aussageverweigerung/Gegendarstellung“ in Musik und lässt die Klänge in Stille zerfallen.
Das ist auch akademische Lust, sofern hier mit einer universitär geschulten Haltung eine so überzeugende Ästhetik vorgetragen wird. Und es ist weder „spannend“ noch schaut da jemand über einen „Tellerrand“, sondern Musik, die der Gegenwart einen Funken Legitimation gewährt. BJÖRN GOTTSTEIN
Heute, 20 und 22 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen