: Der Affe als Method Actor
Peter Jackson verfilmt „King Kong“, spinnt die B-Movie-Story nach allen Regeln der Computertechnik zu Ende und verfeinert den holzschnittartigen Stoff enorm. Den Gollum-Schauspieler aus „Herr der Ringe“ hat er dabei ins Gorilla-Kostüm gesteckt
VON HARALD FRICKE
Er ist der Kleinste seiner Art. Siebeneinhalb Meter genaugenommen. Das ist zumindest die Größe, die Peter Jackson für seinen King Kong angibt – halb so viel wie das Vorbild aus den 30er-Jahren. Damals warben die Kinos mit einem über 15 Meter großen Ungeheuer, und auch der Affe im Remake von 1976 hatte etwa ähnlich gigantische Ausmaße. In manchen Szenen merkt man diesen Unterschied: Wenn King Kong zum Schluss das Empire State Building erklettert und auf einem Sims kurz vor der Hochhausspitze eine Verschnaufpause einlegt, dann sitzt dort 2005 ein zierliches Tier, das in der weit kreisenden Kamerafahrt über die Silhouette von New York arg verloren wirkt.
Vermutlich gehört ein solches Motiv aus Big-Budget-Gaga und Einsiedelkitsch dazu, wenn man Peter Jackson heißt. Seine „Herr der Ringe“-Trilogie hat an die 2,8 Milliarden Dollar eingespielt, allein für den letzten Teil, „Die Rückkehr des Königs“, gab es im vergangenen Jahr elfmal den Oscar. Erfolgreicher als Steven Spielberg, produktiver als James Cameron und tricktechnisch selbst dem Industrial-Light-&-Magic-Schnickschnack von George Lucas überlegen: Jackson hat in knapp fünf Jahren ein Filmimperium mit mehreren Produktionsfirmen und hunderten Angestellten aufgebaut, als neuseeländische Miniaturausgabe von Hollywood. Keine Frage, weiter geht es nicht nach oben auf Weltranglisten, Umsatzkurven und in Box-Office-Charts.
Insofern war man auch einigermaßen erstaunt, als der Regisseur nach dem Tolkien-Spektakel ausgerechnet „King Kong“ neu verfilmen wollte – ist das Original nicht bereits Leinwandmythos genug? Für Jackson mag es zwar ein Kindheitswunsch gewesen sein; immerhin soll er als Neunjähriger schon seine erste eigene Super-8-Version gedreht haben, mit einem Schal anstelle des Gorillas. Wozu aber eine Geschichte noch mal erzählen, die sich ohnehin Bild für Bild in die Ikonografie des Kinos eingeschrieben hat? Schließlich dürften sich in den vergangenen 70 Jahren Heerscharen von Filmwissenschaftlern und Kulturanthropologen an der Konstellation abgearbeitet haben: Hier das Ungetüm aus dem Dschungel – Inbegriff von unbändigbarer Wildnis schlechthin – und auf der anderen Seite die moderne Zivilisation, die in ihrer niederen Gier nach Attraktionen das letzte Exemplar einer fantastischen Spezies zerstört. Dazwischen eine tragische, gewiss auch rassistisch umflorte Liebe, deren Scheitern mit einem der berühmtesten Sätze besiegelt wird, die das Kino hervorgebracht hat: „It was beauty killed the beast.“
Lauter Gegensätze, lauter Unversöhnlichkeiten. An die sich Jackson minutiös gehalten hat. Trotzdem ist sein „King Kong“ alles in allem: größer, genauer, hysterischer, ironischer, dabei auch epischer erzählt. Und deshalb mit 188 Minuten Laufzeit doppelt so lang wie die 1933 entstandene Urfassung von Merian C. Cooper und Ernest Schoedsack. Denn obwohl die Handlung bis ins Detail bekannt ist, gelingt es Jackson, den holzschnittartigen Stoff in seiner Dramaturgie enorm zu verfeinern. So entwickelt sich über das erste Drittel des Films hinweg kaum Action, nur Charakter. Aus dem bettelarmen Schönchen Ann Darrow, dessen Darstellung seinerzeit für Fay Wray den Durchbruch als Scream-Queen brachte, wird in der Besetzung mit Naomi Watts ein ambitioniertes Showgirl, das lieber ernste Rollen spielen würde und es doch nur zum Varieté geschafft hat.
Als das Theater schließen muss – New York befindet sich mitten in der Depression –, nimmt Darrow in ihrer Verzweiflung ein Angebot des dubiosen Abenteuerfilmers Carl Denham (Jack Black) an, der sie für ein Exotic-Drama engagiert, das auf einer ominösen Südseeinsel namens Skull Island spielen soll. Was sie nicht weiß: Denham wird selbst von Geldgebern bedrängt, die für seine Kinovision aus packenden Naturaufnahmen und gefährlichen Tieren nicht viel übrig haben, sondern lieber Sex and Crime sehen würden. Und selbst sein Drehbuchschreiber Jack Driscoll (Adrien Brody) hält Film für eine niedere Kunstform, während er vom Triumph als Bühnenautor träumt.
Diese Gemengelage reicht Jackson aus, um fast nebenbei den kulturellen Umbruch jener Ära ins Spiel zu bringen. Das Theater hat ausgedient, das Kino erobert die Massen, indem es ihnen atemberaubende Szenarien aus einer archaischen Vorzeit zeigt. Was aber ist „King Kong“ im Original anderes gewesen als ein solcher Triumph der Sensation? Und was propagiert Jackson mit ebenjenem eigenen Remake und überhaupt all den Mittelerde-Exzessen aus „Herr der Ringe“ – wenn nicht ein Kino, das ganz auf Überwältigung gebaut ist? Denn letztlich geschieht auch im zeitgenössischen XXL-Format alles nach Plan, so wie es sich Cooper und Schoedsack bereits 1933 ausgedacht hatten. Driscoll wird sich in Darrow verlieben und sie wie in einem Groschenroman aus den Klauen der Bestie retten. Denham wird den Gorilla nach New York holen, um ihn als „das achte Weltwunder“ zu vermarkten. Darrow wird für den Affen eine eigenwillige, aber stets unzweideutige Zuneigung empfinden, die sich aus der Erinnerung an gemeinsam verlebte Sonnenuntergänge auf Skull Island speist, bei denen sie in seiner zarten Pfote sitzen durfte. Jackson wird King Kong am Times Square wüten und in einer schwindelerregenden Sequenz auf das Dach des Empire State Building steigen lassen, bevor die Armee ihn endgültig im Kugelhagel eines Fliegergeschwaders erlegt. So weit der stimmige Countdown einer Legende.
Dennoch bleibt ein Rest an Unberechenbarkeit, dann entfaltet sich sogar etwas Horror. Skull Island entpuppt sich als apokalyptischer Ort der Finsternis, die Eingeborenen sind keine edlen Wilden in Baströcken, sondern von Entbehrungen gezeichnete Kannibalen. Sie opfern nicht aus Ehrfurcht vor dem Tiergott, sie wollen nur, dass der Riesenaffe ihr Dorf verschont. Das bunt ornamentierte Ethnotreiben aus der Vorlage von 1933 ist zu einem blutig eingefärbten Ritus geworden, der sich in stakkatohaften Bildern entlädt. Jackson braucht dafür nur einen Moment, in dem sich die bekannten Parameter verschieben – und „King Kong“ nicht mehr sicheres Blockbuster-Kino ist, wohl aber schwärzeste Splattergemetzel. Dazu passt es, wenn Jackson in Interviews erklärt: „Nur weil es fantastische Elemente in einer Geschichte gibt, sollte ein Regisseur nicht in einen fantastischen Stil verfallen.“
Das sind Sätze, die von einem Special-Effect-Maniac wie Jackson durchaus ungewöhnlich klingen. Aber sie entsprechen eben auch dem Hyperrealismus, den er mit „Herr der Ringe“ zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Nichts wird ausgespart, nichts bleibt der Einbildungskraft überlassen, jedes Bild muss den Betrachter physisch anspringen und mitreißen. In diesem Sinn wird auch die eher plumpe, ganz im Vertrauen auf den visuellen Kick mit Kong angelegte B-Movie-Story extrem konsequent und nach allen Regeln der Computertechnik zu Ende gesponnen. Wo damals ein im Stop-Motion-Verfahren bewegter Gummisaurier durchs Gebüsch wackelte, rasen nun ganze Brontosaurus-Horden aufs Publikum zu; wenn King Kong mit einem T. Rex ringt, wird jeder Biss und jede Bewegung so geschmeidig und lebensecht gefilmt wie in einem BBC-Feature; und wer Würmer, Spinnen oder Käfer von der Größe einer Regalwand mag, bekommt eine ganze Grube voller Superpower-Ungeziefer.
Dabei ist „King Kong“ zweifellos ein weiterer Sieg der Animation. Wie schon bei der Figur des Gollum in „Herr der Ringe“ hat Jackson den Schauspieler Andy Serkis in ein Kostüm gesteckt, das nach Beendigung der Dreharbeiten am Computer durch eine Affenoberfläche ersetzt wurde. Parallel entwickelte man eine Software, mit der die menschliche Mimik auf die Gesichtszüge von Kong übertragen werden konnte. Das klingt nach einer Menge Rechnerleistung und schmälert doch keineswegs das Talent von Serkis, der zur Vorbereitung einige Zeit in Ruanda bei Gorillas verbringen musste, um das Verhalten der Primaten zu erlernen. Durchaus mit Gewinn: Noch nie wurde in einem Film so eindrücklich gezeigt, wie gut sich Menschen in Affen einfühlen können. Dass King Kong lebt, ist zwar ein Wunderwerk der Technik; aber wie er lebt, das ist am Ende doch gutes altes Method Acting.
Zugleich bringt der enorme Fortschritt digitaler Postproduktion auch Nachteile. Wenn von den Narnja-Chroniken bis zur Peugeot-Werbung überall die gleichen Tricks angewendet werden, kommt man aus dem Staunen ziemlich schnell heraus. Tatsächlich hat Jacksons unglaublicher Aufwand, mit dem er jeden noch so grotesken Einfall inszeniert, etwas vom billigen Budenzauber aus den Vergnügungshallen des vorletzten Jahrhunderts. Meistens hilft ihm sein exquisiter Trash-Humor aus der Verlegenheit: Mal hängen die gefräßigen Saurier zum Höhepunkt der Schlacht mit King Kong an Schlingpflanzen wie Artisten bei einem Drahtseilakt; und später schwebt der Affe über einen zugefrorenen See im Central Park, als wäre er Teil einer Aufführung von „Holiday on Ice“. In solchen Augenblicken erinnert man sich leicht wehmütig daran, dass Jackson früher Filme wie „Bad Taste“ und „Braindead“ gemacht hat, in denen das grandios Abseitige der Held war, ob als explodierende Schafe oder als zerschredderte Zombies unter dem Rasenmäher.
„King Kong“. Regie: Peter Jackson. Mit Naomi Watts, Jack Black, Adrien Brody u. a. Neuseeland 2005, 188 Minuten