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Archiv-Artikel

Der Abend hatte seine Momente

MANIFEST Der Theaterdiscounter brachte vorgestern Oswald Wieners „Die Verbesserung Mitteleuropas“ von 1969 zur Uraufführung

Der Aufführungsort mit seiner merkwürdig aus der Zeit gefallen Atmosphäre passt schon mal für dieses seltsame futuristische Manifest: und zwar auch deshalb, weil er so gar nichts Theaterhaftes hat. Von außen ist es ein leicht verrottetes Gebäude der DDR-Moderne, das früher mal das Ostberliner Fernmeldeamt beherbergt hat. Jetzt residiert der Theaterdiscounter hier in ein paar Räumen des weitläufigen Baus mit seinen langen Fluren und den Türen mit den unübersichtlichen Zimmerfluchten dahinter. Eine davon wird irgendwann geöffnet, und man nimmt Platz auf einer ansteigenden Tribüne und blickt auf die kühle wie unverbindliche Eleganz einer modernen Büroeinrichtung. Vorne zwei Stehpulte für die attraktiven Empfangshostessen, dahinter eine Lamellenjalousie, die immer wieder von bunt behandschuhten Händen auf- und zugezogen wird und auch Videoprojektions-geeignet ist. Ganz hinten schließlich eine magische Spiegelwand, hinter der wechselnde Textakrobaten erscheinen werden.

Oswald Wiener, der Autor des konsequent klein geschriebenen mäandernden Texthappenings von 1969 „Die Verbesserung von Mitteleuropa“, dessen Uraufführung hier nun bevorsteht, ist so eine Art Urahn aller Textflächenproduzenten und Techno-Junkies, sprachmächtiger Sprachkritiker und -befrager, Ausloter der Grenzen von Kunst und Naturwissenschaft. Zudem einer, der die Kunst immer auch ein bisschen blöde fand, deswegen er sich als Kybernetiker bei der Firma Olivetti mit frühen Computertechnologien befasste und das Spektrum seiner Lebenserkundungen auch durch gelegentliche Knastaufenthalte erweitern konnte. „Zivilkonsultent für Fragen der Lebensart“ stand als Berufsbezeichnung auf Oswald Wieners Briefpapier, der 1969 aus Wien, wie er 1935 geboren worden war, nach Berlin umzog, wo er sich als Wirt des Szenerestaurants Exil um die Verbesserung der hiesigen Gastronomie verdient gemacht hat. Diesen Genanteil konnte seine Tochter Sarah Wiener inzwischen deutlich manifestieren.

Wieners experimentelles Buch handelt natürlich nicht wirklich von der Verbesserung Mitteleuropas oder gar der Gastronomie, sondern ist der Versuch einer Beschreibung, wie Sprache funktioniert und das Bild von Wirklichkeit konstruiert. Wirklichkeit, die deshalb immer bloß eine undurchdringliche Sprachfassade bleibt. Sogar ob man ein männliches oder weibliches Wesen ist, ist hauptsächlich ein Sprachproblem. Der Mensch deshalb ausgesperrt aus der wirklichen Wirklichkeit bleibt. Das Leben und auch die Sprache deshalb immer an allem vorbeigehen muss. Wieners Freund, der Dichter Konrad Bayer, hat sich deswegen 1964 umgebracht. Das Buch, das seine Sprengladungen an einigen Säulen der abendländischen Kultur befestigt, endet mit dem Austausch des Menschen durch künstliche Intelligenz.

Und wie sieht das alles jetzt im Theaterdiscounter aus, in Georg Schareggs Theateradaption? Recht kurzweilig, lustig, aber auch etwas brav, muss man leider sagen. Wieners 200-Seiten-Suada, in der er immer wieder auch aus der weiblichen Perspektive das Wort ergreift, wurde auf knappe 90 Minuten Spielzeit heruntergerechnet und auf sechs Rollen, vier männliche und zwei weibliche verteilt. Der Text wurde auch höchst elegant filetiert, dass ihn die Schauspieler nun wie hübsche Sushihäppchen mit den Stäbchen ihrer Schauspielkunst den Zuschauern zu Gemüte führen konnten. Da ist Michael Gerlinger, der im schicken roten Hemd den coolen schaumschlagenden Künstlertyp von heute gibt, Jörg Kleemann als Revoluzzer-Update mit Hornbrille und Armin Köstler als irgendwie an den Großfeuilletonisten Fritz J. Raddatz erinnernder eitler Sprachakrobat, dazu kommt Christoph M. Schüchner, der als schrulliges Bürowesen durch den Abend schleicht. Der ist in einer diffusen wie gegenwärtigen Medienwelt angesiedelt, zu deren Einrichtung auch die beiden hübschen Empfangsdamen Jennifer Sabel und Kristin Warnke gehören. Als bedinge eben das Lebensumfeld die entfremdete Weltsicht. Das ist dem ganz entgegengesetzt, was Wiener abzubilden versucht hat, der Wirklichkeit als Ergebnis der Sprache betrachtete und das Leben nur als Benutzeroberfläche für Sprach- und Technikspiele brauchbar fand. Aber weil Scharegg und seine Spieler dieses Angebot durchaus angenommen haben, hat der Abend seine Momente. ESTHER SLEVOGT