■ Der 1. Mai ist Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse: Heut' tun wir Oma einen Gefallen
Auch RedakteurInnen haben Omas. Und wenn RedakteurInnen ihre Omas besuchen, liegt da vielerorten ein Hauch von Wehmut über der Kaffeetafel. So lecker der Kuchen, so kuschelig die Atmosphäre, zwei von Omas Kummerpunkten lassen sich nie ganz ausräumen: „Ach Junge, wärste doch Arzt geworden“, lautet der eine und der andere: „Ach Mädel, schreib doch mal über das Gute in der Welt.“ Beim Wunsch nach der guten Nachricht stehen die Omas der Republik inzwischen nicht mehr alleine.
Seit immer mehr 68er zu Opas und Omas werden, wünscht sich auch so mancher Wortführer des Umsturzes von gestern Erbauliches zum Frühstück von heute. „Und unbedingt brauchen wir in jedem Ressort eine linke Nachricht, die ermutigt“, forderte zum Beispiel einer der Rudi-Dutschke-Gefährten, die neulich die 68er-taz produzierten. „Das kann ein blockierter Castor sein oder was aus Südafrika.“
Also gut: Begehen wir auf den restlichen 32 Zeilen den 1. Mai als Tag der guten Nachricht.
Statt in einem fort über die gruseligen Aufmärsche irgendwelcher Rechtsextremisten zu berichten, schreiben wir: Tausende von Menschen in allen Teilen Deutschlands haben gestern an Massenkundgebungen der Gewerkschaften teilgenommen und auf diese Weise eine eindrucksvolle Demonstration der Solidarität breiter Schichten der Bevölkerung ... trallala ... trallala. Schon beim Schreiben kommt das Gähnen, und durch den verschleierten Blick meinen wir zu sehen, wie Erich Honecker den Werktätigen sein Cordhütchen entgegenschwenkt. Und mit Erschrecken stellen wir fest: Mit den guten Nachrichten ist es wie mit den Gewerkschaftsdemos — in der Regel sind sie langweilig. Muß das Gute öde sein?
Da eine gut ausgestattete Zeitung über Spezialisten zu allen Fragen der Zeit verfügt, haben wir natürlich auch Experten für Gewerkschaften und Langeweile (wobei, darauf sei ausdrücklich hingewiesen, die beiden Aufgaben nicht in Personalunion wahrgenommen werden). Aus den einschlägigen Ressorts erfahren wir: 1. Gewerkschaftsdemos müssen langweilig sein. 2. Schuld daran ist die Globalisierung, die auch verantwortlich ist für die Finanzkrise in Asien und die Hungersnot in Afrika. 3. Weil wir nicht wissen, was Globalisierung ist, auch wenn's immer in der Zeitung steht, sagt eine Kollegin, früher hieß das Imperialismus. Jetzt verstehen wir zwar, was sie meint, aber der Kollege von der Langeweile protestiert, das sei viel komplizierter. Das ist natürlich keine gute Nachricht. Davon wollen wir uns die Berichterstattung zum 1.Mai nicht verderben lassen und sagen nur noch schnell: Schönes Wetter gestern. Patrik Schwarz
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