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Depression im Eichsfeld

Die Kalikumpel von Bischofferode sind deprimiert: Zweieinhalb Jahre nach ihrer Grubenbesetzung werden sie nun doch entlassen  ■ Aus Bischofferode Helmut Höge

Nur der Vikar Konrad, der sich längst bei den Bergleuten in Bischofferode in Amt und Würden befand, ging mir nie ganz verloren“, schreibt Günter Grass in „Ein weites Feld“. „Eigentlich kann er damit nur Christine Haas gemeint haben“, sagt Walter Ertmer, der noch Betriebsratsvorsitzender für die übriggebliebenen 140 Beschäftigten des einstigen Kaliwerkes ist. Vor 1992 waren es noch 700. „Weitere Kündigungen sind jedoch schon wieder raus“, so Ertmer.

Christine Haas ist die evangelische Pastorin des Nachbarorts Großbodungen. Sie hatte sich 1993 und 1994 mit dem Kampf der Kalikumpel gegen ihre Abwicklung durch den neuen Eigentümer Kali & Salz (eine BASF-Tochter) voll solidarisiert, wie man so sagt, und ist auch heute noch – im Gegensatz zu den meisten Bergleuten – durchaus kämpferisch eingestellt: Mit einer Bürgerinitiative versucht sie zum Beispiel das Auffüllen der zu Untertagedeponien umgewidmeten Kaligruben im Eichsfeld mit giftigen oder radioaktiven Abfällen zu verhindern.

„Es ist aber auch eine deprimierende Situation“, entschuldigt Christine Haas ihre resignativ gestimmten Kalikumpel: „Während der Auseinandersetzungen, so anstrengend sie waren, ging es fast allen gut. Danach fiel alles auseinander. Viele wurden krank, vier starben sogar.“ „Wer nur ein bißchen beweglich ist, zieht weg von hier“, ergänzt der mit Aufräumarbeiten unterbeschäftigte Bergmann Ide, der selbst jedoch gerade sein Haus renoviert hat. Nicht einmal die in Bischofferode angesiedelten Rußlanddeutschen wollen bleiben.

Ganze 95 Bergleute sind derzeit noch unter Tage tätig – die meisten erledigen Verfüllungsaufgaben. Der Rest arbeitet einer rheinischen Abrißfirma namens „Westschrott“ zu: „Diesen Namen muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, rät Gerd Jütemann, der sich vom Betriebsratsvorsitzenden zum Bonner PDS-Abgeordneten wegwählen ließ. Bis zum Auslaufen der Beschäftigungsgarantie Ende 1995 sollten 700 bis 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen, versprach damals die Landesregierung – auf dem zu einem „Industrie- und Gewerbepark“ erklärten und zu großen Teilen planierten Kaliwerk „Thomas Müntzer“. Bis jetzt hat sich dort jedoch noch kein Fremdinvestor niedergelassen. Es gibt dennoch 115 Festangestellte. Sie sind zumeist bei Kleinbetrieben aus der Umgebung untergekommen, die es wegen der 90prozentigen „Maximalförderung“ auf das Gelände zog.

Über Tage, das heißt vor allem beim Bau der Autobahn zwischen Nordhausen und Halle, erhofft sich die in Bischofferode tätige Entwicklungsgesellschaft Südharz-Kyffhäuser (ESK) neue Arbeitsplätze für die Bergleute. In der mit 23 Millionen Mark ausgestatteten ESK ist auch der einstige Betriebsrat Heiner Brodhun leitend angestellt. Er darf jedoch nichts sagen. Dafür ist der von der Treuhandanstalt übergewechselte Geschäftsführer Werner Dietrich zuständig.

Dietrich ist – ähnlich wie der größte Bischofferoder Arbeitgeber, Speditionsunternehmer Kielholz, – vor allem enttäuscht vom mangelnden unternehmerischen Elan der Kalikumpel selbst: „Wir hatten mit mehr Ausgründungen gerechnet. Aber die Bergarbeiter waren privilegiert.“ Das sehen auch viele Eichsfelder drumherum so. Christine Haas wird noch heute bisweilen in der Gemeinde für ihr damaliges Engagement kritisiert: „Die Bauern sagen, den Bergleuten ging es immer besser als allen anderen. Erst wenn das alles vorbei ist, sind wir wieder alle gleich.“

Ganz entgegengesetzt sieht Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) gerade in der Radikalität der Bischofferoder Bergleute die eigentliche Ursache für das bisherige Ausbleiben aller segensreichen Geldströme. Die Entwicklungsgesellschaft versucht dessen ungeachtet auch weiterhin, neue Firmen zur Ansiedlung zu bewegen. 1995 gab es in Nordthüringen 50.000 Arbeitslose. Davon waren 20.000 in AB-Maßnahmen oder Umschulung. Die Arbeit der ESK ist erst dann beendet, wenn es in dieser Region keine Arbeitslosen mehr gibt: „Und das kann dauern“, meint ihr Chefentwickler Dietrich. Sein Arbeitsplatz ist also erst mal sicher.

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