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Archiv-Artikel

Denn sie wissen nicht, was tun

Das Ausbildungssystem schafft neue Ungleichgewichte. Daran ändert auch der Pakt nichts: Teenager und Wirtschaft passen eben schlecht zusammen

VON BARBARA DRIBBUSCH

Die Sache mit den Praktika sagt schon alles: 25.000 Praktikumsplätze hat die Wirtschaft jetzt im Rahmen des neuen „Ausbildungspakts“ zugesagt, zusätzlich zu 30.000 neuen Lehrstellen. Die Praktika sollen sich vor allem an schwer vermittelbare Jugendliche wenden. Denn längst hat sich auf dem Ausbildungsmarkt eine Hierarchie gebildet: Ganz oben stehen die Azubis auf hochtechnisierten Lehrstellen in großen Industriekonzernen, ganz unten hingegen die Schulabbrecher, denen der traditionelle Lehrstellenmarkt mehr und mehr verschlossen ist.

„Die Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsmarkt haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt“, erklärt Volker Baethge-Kinsky, Bildungsexperte im Sofi-Institut Göttingen. Nach wie vor verlässt etwa jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Diese Gruppe hatte schon immer schlechte Chancen: Von den Auszubildenden hatten vor rund zehn Jahren nur 3,4 Prozent keinen Hauptschulabschluss. Dieser Anteil ist auf 2,8 Prozent gesunken. „Die Betriebe investieren aus Kostengründen nicht mehr so viel in die Ausbildung von Benachteiligten“, sagt Baethge-Kinsky.

Das Problem verschärft sich, wenn das Lehrstellenangebot insgesamt geringer wird und gleichzeitig die Anforderungen höher werden. „Das Ausbildungssystem muss mit dem Beschäftigungssystem Schritt halten“, meint Geerd Woortmann, Ausbildungsexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin, „deswegen steigen auch die betrieblichen Anforderungen an die BewerberInnen.“

Die Kluft zwischen den hohen Erwartungen der Betriebe und den real existierenden Fähigkeiten der Jugendlichen hat daher einen Begriff populär gemacht, den vor zehn Jahren noch kaum einer im Munde führte: die „Ausbildungsfähigkeit“. Fast ein Viertel der 15-jährigen Jugendlichen hat gravierende Schwächen beim Textverständnis und in Mathematik, ergab die Pisa-Studie. Beim Chemiekonzern BASF hat man in den letzten 30 Jahren anhand der Eignungstests in Rechtschreibung und den Grundrechenarten festgestellt, dass das Niveau der jungen Prüflinge „um 25 bis 30 Prozent zurückgegangen ist“, schildert BASF-Diplompsychologe Peter Klein. Etwa jeder zweite Betrieb gebe heute den Lehrlingen noch nebenbei Nachhilfeunterricht in Rechnen, Deutsch oder sozialen Kompetenzen, berichtet Wortmann, „das hat eindeutig zugenommen“.

Die Frage stellt sich also, ob die BewerberInnen wirklich zu ungebildet oder aber die Anforderungen der Betriebe zu hoch sind – oder ob beides einfach oft nicht zusammenpasst. „Viele Qualifikationen werden in den Eignungstests nicht abgefragt“, sagt Baethge-Kinsky. Ein gutes Beispiel dafür sind die Lebenskompetenzen, die etwa junge Migranten mitbringen. Sie müssen zwei kulturelle Codes, den deutschen und den des Herkunftslandes, integrieren. Das „Code-Switching“ aus dem Deutschen und dem Türkischen beispielsweise kann recht ausgeklügelt sein, wie die Sprachwissenschaftlerin Halime Banaz feststellte. Doch bei einem Eignungstest in deutschem Textverständnis könnte ein solcher Bewerber durchaus schlecht abschneiden: Die Integrationsanstrengung wird nirgends honoriert. Diese Lebenskompetenzen werden in der Wirtschaft schlichtweg nicht abgefragt.

Wie schlecht die Ökonomie und die Jugendlichen zusammenpassen, zeigt sich auch auf andere Weise: Die regionalen Unterschiede im Lehrstellenangebot sind erheblich. In Baden-Württemberg standen beispielsweise im Herbst vergangenen Jahres rund 1.200 noch nicht vermittelten BewerberInnen immerhin noch 2.556 unbesetzte Stellen gegenüber. „Bei uns bleiben immer einige Stellen unbesetzt“, sagt Andrea Schubode von der IHK Region Stuttgart. Ein baden-württembergischer Teenager kann also wählen, einer aus Mecklenburg-Vorpommern hingegen nicht: Dort suchten fast 2.000 nicht vermittelte BewerberInnen noch eine Lehrstelle, nur 180 unbesetzte Stellen waren jedoch im Angebot.

Man mag also von den Jugendlichen nicht nur mehr Textverständnis in Deutsch und bessere Mathekenntnisse, sondern auch mehr Mobilität fordern. Den Umzugsmöglichkeiten sind jedoch Grenzen gesetzt: Die Ausbildungsvergütungen für Lehrlinge liegen im Durchschnitt bei nur rund 598 Euro, im Osten sind es 508 Euro.

Doch nicht nur die Vorbildung, der kulturelle Kontext und der Wohnort spielen bei den Ausbildungschancen von Jugendlichen eine Rolle. Viele Berufe haben einfach ein schlechtes Image, und hier tun sich die Betriebe nach wie vor schwer, willige Jugendliche zu finden.

„Berufe mit schwierigen Arbeitszeiten, etwa in der Gastronomie, und Tätigkeiten, bei denen man vor allem im Freien arbeitet, etwa auf dem Bau, sind wenig beliebt“, sagt Woortmann vom DIHK. Koch, Bäcker, Fleischer, Gebäudereiniger sind die üblichen Ladenhüter auf dem Lehrstellenmarkt. Doch das Verhalten der Jugendlichen ist durchaus rational und spiegelt nur die geringe Vergütung, das niedrige Ansehen und die ungesunden Arbeitsbedingungen wider.

Die Verteilung von Chancen auf dem Ausbildungsmarkt entscheidet letztlich über die berufliche Zukunft. Die Un- und Angelernten werden dabei nach wie vor am schlechtesten dran sein, zumal sie künftig immer weniger direkt bei Firmen, sondern zunehmend über Leiharbeitsagenturen beschäftigt werden. „Für die Ungelernten wird die Zeitarbeit an Bedeutung gewinnen“, sagt Baethge-Kinsky. Und dort liegt die Bezahlung noch mal unter den gängigen Tarifen.