piwik no script img

Denkzettel für El Salvadors Regierung

Bei den Parlamentswahlen in El Salvador zeichnet sich ein Sieg der Ex-Guerilla FMLN ab. Beobachter vor Ort diagnostizieren: „Das Gespenst des Krieges ist verschwunden“  ■ Aus San Salvador Anne Huffschmid

Das salvadorianische Wahlvolk wolle sich offenbar auf ein „ungewisses Abenteuer“ einlassen, meint Mario Valiente, Spitzenkandidat der rechten Regierungspartei Arena, auf seiner ersten Pressekonferenz am Sonntag abend konsterniert. Denn der Noch-Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador wird wider Erwarten seinen Sessel räumen müssen – ausgerechnet für den politischen Erzfeind, der zur Partei konvertierten Ex-Guerilla FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundi Marti – kurz: Frente). Diese hat, zusammen mit der linksliberalen Demokratischen Konvergenz CD und der christlichen Einheitsbewegung MU, als „Kandidat der Zivilgesellschaft“ den populären Arzt Héctor Silva unterstützt und haushoch gewonnen.

Der bärtige 50jährige mit dem „Image eines wohlerzogenen Bourgeois“ aber macht bei seinem ersten öffentlichen Auftritt am Wahlabend keinen sonderlich abenteuerlichen Eindruck: eine „Hauptstadt des 21. Jahrhunderts“ wolle er erschaffen und setze dabei vor allem auf eine „Politik der Stabilität“. Sein unterlegener Widersacher gibt sich unterdessen schicksalsergeben: Der Triumph der Linken sei wohl „Gottes Wille“. Für „diese politische Reife“ bedankt sich wenige Minuten später der Kampagnenchef der FMLN, Facundo Guardado. Nach parteiinternen Hochrechnungen hat die Frente der regierenden Rechten nicht nur die Hauptstadt, sondern zudem einen Großteil der wichtigen Städte des Landes abspenstig gemacht. Auch im Parlament wird sich Präsident Armando Calderón Sol künftig möglicherweise mit einer linksoppositionellen Mehrheit arrangieren müssen. Gestrigen Hochrechnungen zufolge, die auf der Auszählung von 37 Prozent der Stimmen beruhen, hätte die FMLN mit 35,4 Prozent die rechte Arena knapp um 0,1 Prozent überholt; die CD kam danach auf 4,77 Prozent der Stimmen. Nach Ansicht des Politologen Ulises Guman aber deutet dies weniger auf einen allgemeinen Linksruck unter den Salvadorianern, als vielmehr auf einen „Denkzettel“ gegen die Regierungspartei hin.

Das Kalkül, die ehemaligen Guerilleros als kriegstreibende Unholde zu präsentieren, ist nicht aufgegangen. „Das Gespenst des Krieges ist verschwunden“, meint ein Journalist, „heute geht es um andere Themen.“ So waren die Inhalte des 1992 unterschriebenen Friedensabkommens, also die politische Reform von Justiz, Polizei, Armee und anderen Institutionen, im Wahlkampf kaum präsent. Neben den „klassischen Themen“ wie Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Gewalt gehen die Debatten im Nachkriegs-El-Salvador heute auch um neue Themen wie Waldsterben, Stadtökologie und – besonders in der verdreckten Hauptstadt – Alternativen zur Müllentsorgung.

Ein Wermutstropfen im „Bürgerfest“ vom Sonntag, das von den rund 1.000 internationalen Beobachtern als „Beispiel für die Welt“ gelobt wurde, war die mangelnde Wahlbegeisterung der SalvadorianerInnen. Nach ersten Schätzungen machten sich trotz Nulltarif im öffentlichen Verkehr gerade mal 39,75 Prozent der 2,6 Millionen Wahlberechtigten auf den Weg in die Wahlzentren. Und längst nicht alle, die dort ankamen, hatten sich schon für eine Partei entschieden.

Concepción Martinez zum Beispiel sitzt etwas ratlos auf einem Mäuerchen in einer zum Wahllokal umfunktionierten Schule in Zaragoza, einer Kleinstadt südlich von San Salvador. Gleich will sie sich mit ihrer Familie beraten, für wen man denn nun stimmen solle. Bisher war es immer die Regierungspartei gewesen, jetzt aber kommen der 45jährigen Landarbeiterin „Zweifel“. Wenige Meter weiter steht Consuelo, eine 19jährige Gymnasiastin, in der Morgensonne. Die junge Frau hat keine Zweifel: „Arena ist die einzige Partei, die das Wohlergehen des Volkes im Sinne hat.“ Und der Campesino Felix grinst verschmitzt: „Wem ich meine Stimme gebe? Also, das erzähle ich nicht mal meiner Ehefrau.“ Etwas später aber verrät er: „Die alten Parteien haben ausgedient, jetzt müssen wir es mal mit neuen probieren.“

Im Hafen von La Libertad, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt, liegt das Wahlzentrum direkt am Meer. Leichter Fischgeruch hängt in der warmen Salzluft, ungerührt vom Wahltrubel bauen die Händler ihre Stände auf. Maria Modesta ist extra angereist aus ihrem Heimatdorf in den umliegenden Bergen. Über dem verschlissenen Kleid trägt sie ein T-Shirt der Frente. „Bei uns zu Hause fehlt es an allem: Trinkwasser, Strom, Straßen und Telefon“, erzählt sie. Auch Oscar Valladares gibt bereitwillig Auskunft: „Wir wählen Arena“, sagt der junge Mann mit den langen Haaren und einem Baby auf dem Arm. „Die sind am nettesten“, erläuterte er, „und wir wollen nicht, daß hier der Kommunismus kommt wie in Nicaragua.“

Zurück in der Hauptstadt, im Sportpalast nahe des Stadtzentrums. In dem bunkerhaften Betonbau, in dem die Wahltische rund um die Tribüne aufgebaut sind, ist nicht viel los. Aber dafür, sagt Maria Domingo, sei bislang wenigstens alles „ganz friedlich“ verlaufen. Die 40jährige, die als Hausangestellte bei ausländischen Diplomaten arbeitet, hat die Frente gewählt. Nach kurzem Zögern redet sie sich in Rage. „Jetzt versprechen sie uns alles mögliche“, ereifert sie sich über die Regierungspartei, „und danach bleibt dann wieder alles beim alten.“ Natürlich habe auch die Ex-Guerilla Schuld an der gegenwärtigen Misere, aber „an irgend was muß man ja glauben“. Ihre Freundin Irma schaltet sich ein: „Jetzt muß mal die Frente ihre Chance kriegen“, sagt sie und gibt sich als Gewerkschafterin zu erkennen. Ein finster dreinblickender Mann mit Arena- Mütze bemüht sich, etwas vom Gespräch mitzubekommen. Die Frauen werden nervös, drängen zum Ausgang. „Hier ist noch nicht alles so toll mit der Meinungsfreiheit“, sagt Irma zum Abschied, „die passen genau auf, was wir gegenüber Ausländern so sagen.“

Kommentar Seite 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen