Denkräume am Rande der Berlinale: Einladung in den „Braver Space“
Der Jude Shai Hoffmann und der Palästinenser Ahmad Dakhnousn luden zum Gedankenaustausch über Israel/Palästina ein.
Auf der weiten Flur des Potsdamer Platzes steht ein Tiny House. Im Fenster ein Plakat: „Talking about Israel and Palestine“. Die Berlinale hat es dorthin beordert. Während einen Kilometer weiter, im Hebbel am Ufer, an diesem Montagvormittag bei der Diskussionsveranstaltung „Filmmaking as a Tool for Dialogue in Times of Crises“ über die Wirkmacht von Film im tobenden Krieg in Nahost debattiert wird, geht es beim „TinyHouse Project“ von Shai Hoffmann und Ahmad Dakhnous um derzeit kaum vernehmbare Zwischentöne.
Von Samstag bis Montag waren Berlinale-Gänger eingeladen, sich mit dem in Berlin geborenen Juden Hoffmann und dem in einem syrischen Flüchtlingslager aufgewachsenen Palästinenser Dakhnous über ihre Gedanken, Meinungen und vor allem ihre Gefühle bezüglich Israel/Palästina auszutauschen. Das Ziel der beiden politischen Bildner: „Einen Raum öffnen“ – einen intimen Raum, in dem nicht skandalisiert wird.
Bedarf dafür scheint es zu geben: „Es war voll“, sagt Dakhnous. „Die Leute warteten draußen in Schlangen“, ergänzt Hoffmann. Shai Hoffmann bietet für gewöhnlich gemeinsam mit der Deutschpalästinenserin Jouanna Hassoun sogenannte Trialoge zum Thema an. Er beschreibt die Berlinale-Begegnungen so: „Man konnte Unsicherheiten fühlen, aber auch die Erleichterung.“ Dakhnous teilt diesen Eindruck, berichtet aber auch von Momenten der Irritation. Zum Beispiel der Konfrontation mit rassistischen Vorannahmen gegenüber ihm als Palästinenser: „Ein Gesprächspartner behauptete, dass es eine palästinensische Identität überhaupt nicht gibt.“
Differenzierter Austausch mit Grenzen
Hoffmann und Dakhnous wollen das offene Gespräch, aber an dieser Stelle ziehen auch sie eine Grenze: „Da widerspreche ich ganz klar“, sagt Dakhnous, der 2016 nach seiner Flucht aus Syrien in Deutschland ankam. Für Hoffmann ist eine Grenze erreicht, wenn Aktivisten wie die „Filmmakers for Palestine“ auf der Berlinale zwar lautstark protestieren, aber nicht bereit seien, den angebotenen Dialogfaden aufzunehmen. Unpassende Buzzwords wie „Genozid“ oder „Zionismus ist Rassismus“ seien für die Aktivisten oft wichtiger als ein differenzierter Austausch.
Differenzierung heißt für Hoffmann auch: „Ja, ich bin Zionist, ich bin für das Existenzrecht Israels, ich kann aber auch gegen die illegale Besatzung durch die israelische Regierung sein.“
Beide wünschen sich mehr solcher ergebnisoffenen „Braver Spaces“. Den Krieg könnten sie damit nicht beenden. In einer Gesellschaft aber, in der dieses komplexe Thema durch die Echokammern der sozialen Medien zur Polarisierung getrieben wird, könne die Intimität des Tiny House wichtige Signale senden: Wir müssen keine Feinde sein. Nur eines steht auf der Eintrittskarte: Gesprächsbereitschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit