Denkmalstreit in Jena: Vom Sockel stoßen

Was tun mit Philosoph und Judenfeind Jakob Friedrich Fries? Jena, eine Stadt mit vielen Denkmälern, ringt um den Umgang mit problematischen Geehrten.

Steinerner Männerkopf vor Efeu, um 90 Grad nach rechts gedreht: Denkmal Jakob Friedrich Fries' von Robert Härtel in Jena

Wäre er wenigstens berühmt: das Jakob-Friedrich-Fries-Denkmal im Jenaer Fürstengraben (hier gekippt) Foto: Michael Nitzschke/imagebroker/imago

JENA taz | Steinerne Männerköpfe schauen auf vorbeifahrende Autos und in den gegenüberliegenden Botanischen Garten. Hier in Jena nennt man die in der Straße Fürstengraben aufgereihten Denkmäler „via triumphalis“.

Über der Thüringer Universitätsstadt hängt Nebel, im Herbstlaub vor einer der Büsten steht der Stadthistoriker Rüdiger Stutz. Er kennt die Jenaer Denkmallandschaft so gut wie die Winkel seiner braunen Ledertasche, die er auf einer Bank abstellt. Den rauschenden Straßenverkehr hinter sich, spricht der Stadthistoriker über den toten Mann, dessen steinernes Konterfei vor ihm auf dem ­Sockel steht: Jakob Friedrich Fries.

Der 1773 geborene Denker ist umstritten: Fries war nicht nur Philosoph, sondern publizierte 1816 auch die Schrift „Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden“: eine „Recension“ des Texts „Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht“. Deren Verfasser, der Berliner Völkerkundler Friedrich Rühs, hatte geschrieben, wenn sich jüdische Menschen nicht zur Taufe bewegen ließen, bleibe nur ihre Ausrottung – und Fries sah es genauso. Deshalb wird heute der Ruf laut, seine Büste müsse vom Fürstengraben verschwinden.

In der Stadt fallen neben steinernen Denkmälern auch zahlreiche Tafeln auf, die an Hauswänden zumeist an lange verblichene Denker erinnern. An manchen Häusern hängen mehrere solcher Tafeln. Im Fürstengraben zählen unter anderem Hegel, Schiller und ein Burschenschaftsdenkmal zu Fries’ steinernen Nachbarn. Jena ist erkennbar eine Universitätsstadt – und sichtlich stolz auf ihre Tradition.

Taufe oder Tod

Stadthistoriker Stutz sagt, engagiert gestikulierend, dass die „via triumphales“ zur „Selbst­identifizierung“ des Bildungsbürgertums der Stadt gehöre. Und nähme man die Fries-Büste vom Sockel, könne man gleich weitermachen mit anderen problematischen Porträtierten. Man brauche „nachvollziehbare Gründe“, warum es ausgerechnet Fries treffen soll. Bekannt ist der etwa auch als Ideengeber der sogenannten Urburschenschaft, 1815 in Jena gegründet zur Vereinigung deutscher Burschenschaften und zur Disziplinierung von Studenten.

Immer wieder gibt es in Jena Streit ums Erinnern. Von „Diskussionen, die immer mal wieder entfachen“, spricht Historiker Stutz. Das Burschenschaftsdenkmal vor dem Hauptuniversitätsgebäude ist verhüllt, dauerhaft – nachdem es 2010 mit Farbe beschmiert worden war und aufwändig gereinigt wurde. Auch eine Büste von Karl Marx wurde bereits abgebaut: Nach einer langen Diskussion hat man sie 1992 ins Magazin gestellt. Und derzeit wird also diskutiert, was mit Fries passieren soll.

Der Philosoph wird in Jena gleich in unterschiedlicher Form geehrt. Es gibt eine nach ihm benannte Straße und eine zweite Fries-Büste, die erst im Jahr 2000 im Hörsaal des Philosophischen Instituts enthüllt worden ist. 20 Jahre später dann wurde sie aufgrund der antisemitischen Äußerungen Fries’ Thema im Jenaer Stadtrat, das Philosophische Institut veranstaltete zwei Seminare zur kritischen Auseinandersetzung mit Fries und seinen problematischen Ansichten. Auch die Büste im Hörsaal wurde zwischenzeitlich verhängt.

„Das ist das einfachste Mittel, um die Diskussion wieder aufzugreifen“, sagt Stutz. Er schlägt auch für die Büste im Fürstengraben „Formen der Verfremdung“ vor. Denn durch das vollständige Abräumen, findet er, „wird eine Diskussion abgeschnitten“. Seit 2008 ist der 66-jährige Stadthistoriker in Jena. Er wisse mittlerweile, dass es in „erinnerungskulturellen Kontroversen keinen Anfang und kein Ende“ gibt. „Die unterschiedlichen Parteien in der Diskussion um die Fries-Büste haben sich noch gar nicht richtig konstituiert“, so Stutz. Universität und Stadt müssten miteinander reden. „Ich würde mir wünschen, dass die Diskussion um das Fries-Denkmal stärker in die gesamte Denkmallandschaft Jenas eingebunden wird.“

Der Stadthistoriker ist geschäftig. Nach dem Gespräch vor der Büste verabschiedet er sich, um zu einer Stolpersteinverlegung zu eilen: An der ehemaligen Kinderklinik soll künftig an die Opfer der nationalsozialistischen „Kindereuthanasie“ erinnert werden.

Am Abend kommt Stutz wieder in den Fürstengraben, um sich in der Thüringer Landesbibliothek bei einer Diskussionsrunde zum Umgang mit der Fries-Büste und anderen Denkmälern ins Publikum zu setzen. Er selbst war auch als Redner eingeladen worden, gibt aber offen zu, dass er „gekniffen“ hat: Er habe sich der philosophischen Auseinandersetzung mit Fries und dessen Schriften nicht gewachsen gefühlt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und dem Projekt „Rassismus, Sexismus, Antisemitismus in Werken der klassischen Deutschen Philo­sophie?“ des Philosophischen Instituts.

Dass es in der Philosophie neben Fries noch weitere antisemitische und rassistische Köpfe gibt, ist Phi­lo­so­ph:in­nen in der Stadt bewusst. Seit dem vergangenen Jahr setzt sich ein Team um Professorin Andrea Esser auseinander mit problematischen Denkmustern bei Kant, Hegel und anderen Philosophen-Kollegen. Es brauche „Druck von außen“, damit sich das Fach mit Rassismus, Antisemitismus und Sexismus befasst, erklärt Joël Ben-Yehoshua, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Projekt arbeitet und auf dem Podium sitzt. Auf der Website www.erinnerngestalten.uni-jena.de hat das Institut für Philosophie bereits Vorschläge gesammelt für einen Umgang mit Fries.

Kritik am „Personenkult“

Für die einen ist der 1843 verstorbene Fries ein einflussreicher Vertreter des deutschen Kan­tia­nismus beziehungsweise Nachkantianismus, für andere ein eher unbekannter Philosoph. Ben-Yehoshua sagt, Fichte, Hegel und Schelling – auch ihre Büsten stehen in Jena im Hörsaal – gehörten dagegen wenigstens „zu den einflussreichsten Philosophen der Welt“. Aber Fries? Insgesamt sieht der Doktorand den „Personenkult“ kritisch. Naserümpfend sagt er später, eigentlich könnten ruhig alle Büsten raus aus dem Hörsaal. „Mit Ausnahmen“, so Ben-Yehoshua, haben die sich alle zu verschiedenem Grad judenfeindlich geäußert.“

Für den Theologen Martin Leiner hat Fries nicht einfach den „Antijudaismus seiner Zeit zum Vorschein gebracht“. Er sieht ihn gar als den ersten Autor, der „die physikalische Vernichtung der Juden“ überhaupt „ins Gespräch gebracht“ habe. Zusammen mit anderen Pro­fes­so­r:in­nen hat Leiner im vergangenen Jahr einen offenen Brief an den Stadtrat formuliert. Die Ab­sen­de­r:in­nen fordern, „nun endlich“ etwas zu unternehmen in Bezug auf die Fries-Statue „in der Ehrengalerie ‚via triumphalis‘“. Als Pro­fes­so­r:in­nen der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität sei es ihnen wichtig, „in einem Umfeld zu arbeiten“, in dem „Antisemitismus, Bestreitung des Lebensrechts von Behinderten und psychisch Kranken“ sowie „Rassismus“ ausdrücklich abgelehnt würden, heißt es darin weiter.

Die Jenaer Partei „Die Guten“ hatte zusammen mit dem Antrag auf Umbenennung des Friesweges auch jene Umbenennung der Hans-Berger-Straße gefordert; dort ist inzwischen eine Plakette angebracht, die darauf hinweist, dass Berger nicht nur Erfinder der Elektroenzephalografie (EGG) „zur Messung von Hirnströmen bei Menschen“ war, sondern auch Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht Jena – und somit „für zahlreiche Zwangssterilisationen mitverantwortlich“. Der Arbeitskreis „Sprechende Vergangenheit“ kämpft dafür, dass auch an Bergers Büste, die vor der Jenaer Psychiatrie steht, über seine Taten während der NS-Zeit informiert wird.

Wer ist angesprochen?

Bei der Diskussion in der Thüringer Landesbibliothek wird deutlich, dass es verschiedene Formen gibt, mit den Denkmälern in der Stadt umzugehen. Neben einer Kontextualisierung, sagt Historikerin Stefanie Middendorf, gebe es etwa die Möglichkeit, einen „leeren Sockel“ danebenzustellen. Sie fragt auch: „Für wen werden solche Aktionen, wird ein Transfer von Gedenken eigentlich gemacht?“ Die jüdische Aktivistin und Kulturhistorikerin Maya Roisman kritisiert, dass „eine Dominanzgesellschaft“ über Fragen des Erinnerns entscheide, aber nicht diejenigen, die von Diskriminierung betroffen seien.

Der Philosoph Joël Ben-Yehoshua wird sich am nächsten Tag wieder an seine Dissertation setzen und sich statt dem „Personenkult“ lieber wieder den philosophischen Texten zuwenden. Er wird sich mit dem Antisemitismus in den Werken von Johann Gottlieb Fichte befassen, vorher scherzhaft der Schiller-Büste im Eingangsbereich des Philosophie-Instituts seine Kappe überziehen. Auch für ihn gibt es noch viel zu tun. Und der Weg ist dabei schon ein kleines Ziel.

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