Denkmalstreit in Berlin: Kreuzberg erinnert an Massaker
Der Kulturausschuss stimmt für ein Denkmal, das an die staatlich organisierten Massenexekutionen von 1937/38 im ostanatolischen Dersim erinnert.
Kemal Karabulut, Sprecher der Dersim Kulturgemeinde Berlin, ist stolz. „Zum ersten Mal hat die Kommune einer europäischen Hauptstadt eine für die Dersimer historisch bedeutende Entscheidung getroffen,“ erklärt Karabulut. Bereits Ende März hat der Kultur- und Bildungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg mit den Stimmen von Grünen, SPD, Linke und FDP beschlossen: Die Dersimer erhalten im Bezirk ein Denkmal in Erinnerung an die Massaker von 1937/38. Tausende Dersimer waren damals im Osten der Türkei von Soldaten der türkischen Armee getötet und vertrieben worden.
Gemeinsam mit der Berliner Gemeinde will der Bezirk nun die Ausgestaltung des Denkmals übernehmen. Laut Karabulut werden ausgewählte Künstler eingeladen, Entwürfe einzureichen. Das Denkmal soll laut Beschluss „an einer öffentlich gut begehbaren und sichtbaren Stelle“ in der Nähe der Gemeinde am Waterlooufer liegen.
„Es war ein langer Kampf, der sich gelohnt hat“, sagt Sevim Aydin von der SPD-Fraktion. Ende November fand im Bezirk beim Ringen um den richtigen Umgang mit dem unter anderen in migrationspolitischer Hinsicht nicht einfachen Konflikt ein Kolloquium zum Thema „Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft“ statt. Aydin freut sich darüber, „dass wir ein Zeichen zur Anerkennung der migrantischen Erinnerungskultur setzen konnten.“
So unaufgeregt wie bei der Beschlussfassung Ende März war es in der BVV nicht immer zugegangen. Seit dem Antrag von Aydin und anderen Bezirksverordneten im Dezember 2015 fanden zum Teil heftige Debatten in der BVV statt. National gesinnte türkische Organisationen und Parteien stemmten sich gegen das Denkmal. Diskutiert wurde vor allem darüber, ob es sich bei den Ereignissen von 1937/38 um einen Genozid handelte.
Solche großen Fragen überfordern den Bezirk, glaubt Timur Husein von der CDU-Fraktion, die gegen das Denkmal gestimmt hat. „Es ist nicht die Aufgabe des Bezirks, Ereignisse aufzuarbeiten, die vor 80 Jahren in der Türkei geschehen sind“, sagt der Bezirkspolitiker der taz. Laut Husein habe seine Fraktion deshalb durchgesetzt, dass nicht mehr von einem Völkermord gesprochen werde. Auch habe sich seine Fraktion erfolgreich dagegen gestellt, dass der Gemeinde ein Grundstück vom Bezirksamt geschenkt wird, wie auch mal diskutiert wurde. Die Gemeinde muss sich laut Beschluss damit begnügen, dass das Bezirksamt sie lediglich bei der Suche nach Fördergeldern unterstützen wird.
Der Streit um das Denkmal scheint noch nicht ausgestanden zu sein. „Dieses Vorhaben ist eine Gefahr für das Miteinander und die Harmonie in der Stadt“, verkündet der Berliner Zweig der türkischen Vatan-Partei (Patriotische Partei). „Wir werden das Ganze juristisch anfechten“, sagt deren Sprecher Emre Ünver.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert