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Denkmaldebatte in Schleswig-HolsteinEchter Schutz nur noch fürs Holstentor

CDU und FDP fordern eine Reform des Denkmalschutzes. Auslöser sind Konflikte, weil Lübeck Bauten aus der Zwischenkriegszeit unter Schutz gestellt hat.

Das Kaufhaus der Arbeitersiedlung Herrenwyk ist heute Museum. Die Stadt Lübeck möchte das ganze Ensemble schützen Foto: Sonja Hnilica

Hamburg taz | In Schleswig-Holstein ist ein Streit um den Denkmalschutz entbrannt. Auslöser sind aktuelle Konflikte in Lübeck. Im ehemaligen Industriegebiet Herrenwyk im Stadtteil Kücknitz protestieren Bür­ge­r:in­nen und die Genossenschaft Lübecker Bauverein, die die Interessen zahlreicher Ei­gen­tü­me­r:in­nen und Mie­te­r:in­nen in der Siedlung vertritt, gegen die Entscheidung der Stadtverwaltung, Teile der Werkssiedlung als „Sachgesamtheit“ unter Denkmalschutz zu stellen.

Die An­woh­ne­r:in­nen waren vorab nicht beteiligt. Viele haben erst aus der Presse von der Entscheidung erfahren. Wegen der hohen Denkmaldichte Lübecks als Unesco-Weltkulturerbe regelt eine Sonderregelung im Denkmalschutzgesetz Schleswig-Holstein, dass nicht das Landesamt für Denkmalpflege, sondern die Stadtverwaltung zuständig ist.

Die Aufnahme von Teilen Herrenwyks als Kulturdenkmal begründet die städtische Behörde für Archäologie und Denkmalpflege mit dem hohen sozial-, industrie-, siedlungs- und baugeschichtlichen Wert der Anlage, die fast vollständig erhalten ist. Als Relikt der frühen Industrialisierung und der NS-Zeit umfasst sie eine Vielzahl von Gebäuden aus den 1920er- und 1930er-Jahren, darunter Fabrikhallen, Ar­bei­te­r:in­nen­woh­nun­gen und andere Strukturen von historischer Bedeutung. Das Gelände symbolisiert als ein Zentrum der Industrieentwicklung nicht nur den gesellschaftlichen Übergang in die Moderne, sondern war während des Nationalsozialismus auch Schauplatz von Zwangsarbeit.

Kulturelle und soziale Spuren

Ein Verlust dieser Elemente würde, so die Argumentation, nicht nur bauliche Substanz, sondern auch kulturelle und soziale Spuren beseitigen, die für das Verständnis der Regionalgeschichte unverzichtbar seien. Am Erhalt der Siedlung bestehe deshalb ein öffentliches Interesse.

Der Bauverein plant eine Klage gegen die Entscheidung, weil sie Modernisierungspläne wie den Ausbau eines Logistikzentrums oder die Schaffung von bis zu 200 Wohneinheiten erschwere. Eine lokale Initiative richtet sich gegen die pauschale Unterschutzstellung, weil sie den Immobilienwert mindere und die Region wirtschaftlich zurückwerfe, wie eine Sprecherin laut Lübecker Nachrichten (LN) auf einer Versammlung am vergangenen Mittwoch sagte.

In der Margarethenstraße im Quartier um den Hanseplatz gibt es parallel dazu einen ähnlichen Konflikt: Dort plante der Lübecker Bauverein, einen Wohnblock aus den 1930er-Jahren abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Die Stadtverwaltung möchte das Gebäude hingegen als bauliches Zeugnis für das Neue Bauen in Lübeck erhalten und stellte es im August 2024 unter Schutz. Der Bauverein soll es sanieren.

CDU fordert Staffelung nach „Denkmalwert“

Der sieht sich damit finanziell überfordert. Eine Sanierung sei fast so teuer wie ein Neubau und wohnungspolitisch der falsche Weg, weil so viel weniger Wohnungen gebaut werden könnten, sagte Genossenschaftsvorständin Christine Koretzky den LN.

CDU und FDP im Kieler Landtag drängen nun auf eine Reform des Denkmalschutzgesetzes. „Wir müssen das Denkmalschutzrecht überdenken“, fordert der Lübecker CDU-Landtagsabgeordnete, Hermann Junghans. Die Lübecker Beispiele stünden exemplarisch „für eine ganze Reihe kritischer Unterschutzstellungen in Schleswig-Holstein“, die als „überzogene Bevormundungen der Eigentümer“ empfunden würden. Ohne ein Mitspracherecht drohe die Akzeptanz für den Denkmalschutz verloren zu gehen, so Junghans. Denkmalschutz müsse nachvollziehbarer und effizienter werden.

Das Holstentor hat eine offensichtlich höheren Denkmalwert als ein 100 Jahre alter Wohnblock

Hermann Junghans, CDU-Landtagsabgeordneter

Junghans schlägt vor, zwischen Denkmalen mit „national herausragender Bedeutung“ und mit „geringer Bedeutung“ zu unterscheiden und nach Denkmalwert zu staffeln. „Das Holstentor hat einen offensichtlich höheren Denkmalwert als ein 100 Jahre alter Wohnblock.“ So könne mit denkmalrechtlichen Genehmigungen effizienter umgegangen werden, das hieße: keine Photovoltaik-Anlage aufs Holstentor, bei Wohnblöcken und anderen Denkmalen in privater Hand aber schon.

Auch die FDP fordert „eine andere Schwerpunktsetzung, mehr Transparenz bei den Entscheidungen, mehr Mitsprache der Eigentümer und selbstverständlich auch Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten“, so ihr Fraktionsvorsitzender Christopher Vogt. Beide Parteien sehen in einer flexibleren Gesetzgebung die Chance, Innovationen wie Photovoltaik oder Breitband-Kabelnetze zu fördern.

Beide Fälle in Lübeck machen die Spannungen zwischen dem Erhalt historischer Substanz und aktuellen Anforderungen an wirtschaftliche Entwicklung, Klimaschutz und den Ausbau von Wohnraum deutlich. Das Industrieareal Herrenwyk ist dafür ein paradigmatisches Beispiel. Die Unterschutzstellung erschwert bestehende Pläne für einen umfassenden Umbau. Diese Pläne, wie man das rund 24 Hektar große Areal nutzen könnte, sind eng mit der historischen Entwicklung des Gebiets verbunden und reichen bis in die 1990er-Jahre zurück.

Das Gelände, das mit dem Bau des Hochofenwerks Lübeck ab 1905 und der parallelen Errichtung der Werkssiedlung zwischen 1906 und 1923 entstand –, wurde nach dem Niedergang der Schwerindustrie in den 1980er- und 1990er-Jahren schrittweise saniert und für gewerbliche Zwecke umgenutzt.

Herrenwyk um 1907 Foto: Fotoarchiv Hansestadt Lübeck

Bis 2000 wurde das ehemaligen Hochofen- und Metallhüttenwerk saniert. Seitdem gibt es einen Rahmenplan für das Gewerbegebiet, nach dem die verkehrsgünstige Lage an der Autobahn Richtung Hamburg und in unmittelbarer Nähe zum Skandinavienkai in Travemünde genutzt werden soll, um Logistik- und Industrieansiedlungen zu fördern.

Parallel dazu gibt es seit den 1990er-Jahren Initiativen zur Schaffung neuer Wohnflächen, die den Wandel zu einem Quartier mit Wohn- und Gewerbenutzung vorantreiben sollen. So hat etwa der Bauverein dort in den 1990er-Jahren ein neues Wohnquartier errichtet. Hintergrund ist die Konversionsstrategie der Hansestadt, die nach dem Wegfall von Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie das Areal für nachhaltige Nutzungen öffnen wollte.

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