piwik no script img

Archiv-Artikel

Den Wald vor lauter Bäumen

IM FORST Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt eine Ausstellung über die Deutschen und den Wald und weiß nicht, warum

Um den Wald als Gegenstand der Herrschaftsgeschichte kenntlich zu machen, wäre ein Vergleich der beiden Symboltiere Hirsch und Ziege lohnend

Was haben eine Blockflöte, ein Klappstuhl Modell SE 18 „Klipp-Klapp“ und der Schwibbogen „Waldidyll“ gemeinsam? Richtig, sie alle sind aus Holz. Darum warten sie gemeinsam hinter Glas in der Ausstellung „Die Deutschen und der Wald“ auf Besucher. Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat sich dieser angeblich besonderen Beziehung angenommen und zeigt rund 550 Exponate über eine Nation „Unter Bäumen“.

Von jeher lud der Wald zum Sammeln ein. Auch die Kuratoren haben fleißig Exponate aus 250 Jahren zusammengetragen: der Wald als Gegenstand der Kunst in Malerei, Literatur, Musik und Film. Das „Kreuz im Gebirge“ von Caspar David Friedrich von 1823 hängt neben dem „Feierabend im Bergwald“ von Otto Keck aus dem Jahr 1939 und dem sonnendurchfluteten „Wald 2“ des israelischen Malers Eldar Farber von 2008. An Säulen klingen Gedichte über den Wald aus Telefonhörern, schöne Ausgaben der Grimms Märchen liegen neben der „Germania“ des römischen Historikers Tacitus.

Per Joystick Bäume fällen

Üppig blühende Heimatfilme wie „Das Schwarzwaldmädel“ werden in Ausschnitten und Plakaten gezeigt. Eine beeindruckende Filmsequenz zeigt einen Harvester bei der Arbeit, eine dieser monströsen Maschinen, mit denen ein Waldarbeiter per Joystick im Halbminutentakt zig Meter hohe Bäume abschneiden, von Ästen befreien, entrinden und stapeln kann. Gezeigt werden der Wald als Wirtschaftsraum, die Entstehung der Forstwissenschaft, Beruf und Mythos des Försters mittels einer Reihung von Hüten; es geht um die Jagd und ihre Machtsymbolik, und, natürlich, um das Waldsterben, dargestellt an alten Titeln des Spiegels.

Die letzten 250 Jahre sind der Fokus, weil, so der Kurator Bernd Ulrich, sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Wald Interessantes zusammengebraut habe: Die forstwissenschaftliche Erkundung des Waldes habe begonnen, zugleich sei der Wald als literarischer Topos wiederentdeckt worden; damit einhergegangen sei die nationale und patriotische Definition des Waldes als deutschen Freiheitsraum, was sich in Darstellungen der Hermann-Schlacht ebenso zeige wie in der begeisterten Rezeption der Germania, in dem die Germanen als urige Waldbewohner auftreten.

Der gewählte Zeitraum ist nicht ganz schlüssig: Einen der wichtigsten Begründer der Forstwirtschaft, Hans Carl von Carlowitz, verbannt er zum Beispiel in den Katalog – er wirkte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ist damit für die Ausstellung zu alt. Der sächsische Oberberghauptmann entwickelte den Begriff der Nachhaltigkeit, mit der er die Versorgung des Bergbaus mit Brenn- und vor allem mit langstämmigem Bauholz sicherstellen wollte. Ergebnis dieses Denkens ist ein bis heute prägender Hochwald. Dass auch Carlowitz Definition von Nachhaltigkeit bis heute trägt, ist Ergebnis einer Niederlage: Verloren haben die Bauern ihre Rechte am Gemeingut Wald, den sie etwa als Viehweide nutzten. Der entwickelt sich als Niederwald, in dem die Baumstümpfe immer wieder neue Triebe ausschlagen. Um den Wald als Gegenstand der Herrschaftsgeschichte kenntlich zu machen, wäre ein Vergleich der beiden Symboltiere lohnend: hier der Hirsch des Hochwaldes, dort die in der forstwissenschaftlichen Literatur bis heute verteufelte Ziege des Niederwaldes.

Mythos fortgeschrieben

Die Willkür des zeitlichen Ausschnitts weist auf das Problem der Schau: Was hat ein großes Schwefeldioxid-Messgerät, das Auskunft über den „Sauren Regen“ geben sollte – mit einem Gipsabguss eines Baumstamms aus dem Belower Wald zu tun, in den ein Häftling des Konzentrationslagers Sachsenhausen das Bild eines Hauses einritzte? Einen Sinnzusammenhang schafft das Museum erst durch die gemeinsame Präsentation und schreibt so den Mythos artig fort, den es zu dekonstruieren vorgibt. Dabei habe der Wald, schreibt Albrecht Lehmann zu Recht im Ausstellungskatalog, „seine politische Bedeutung als Nationalsymbol in Deutschland verloren“.

Als Erkenntnisobjekt ist er allemal interessant, denn nicht nur die Ständegesellschaft focht einen zähen Kampf um die Ressourcen des Waldes. Auch der aufkeimende Liberalismus lenkte seine Energien in den Wald und setzte im Forst auf die Kräfte des Marktes statt auf die Regulierung des Merkantilismus. Die Antwort auf die Frage, ob die Ressourcen des Waldes knapp und wie sie am besten zu erhalten seien, spiegelt auch immer die jeweiligen Machtverhältnisse wider.

Das ist gut zu wissen, denn der Streit darüber, was genau der Reichtum des Waldes sei – die Bereitstellung von Biomasse?, sein Artenreichtum?, seine Fähigkeit, Kohlendioxid zu speichern? –, wird in Zeiten von Klimawandel und dem absehbaren Ende der fossilen Rohstoffe schärfer. Die Kampfzonen liegen heute zum Beispiel in Indonesien oder in Brasilien. Wer hier etwas beitragen möchte, der wird den Blick über die Grenze richten müssen auf einen Wald jenseits der Folklore.

HEIKE HOLDINGHAUSEN

■ „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“. Deutsches Historisches Museum, bis 4. März 2012, Katalog 25 Euro